Polizei warnt vor Betrugsindustrie Erpresser erbeuten Milliarden mit Nacktbildern
User werden verleitet, Nacktbilder von sich ins Netz zu stellen, um sie damit zu erpressen - es ist eine weltweit tätige Betrugsindustrie mit Milliardeneinnahmen. Der NDR hat mit Betroffenen und Ermittlern gesprochen.
Das noch junge Phänomen Sextortion setzt sich zusammen aus Sex und Extortion, zu Deutsch Erpressung. In den meisten Fällen lernen Männer beim Dating vermeintlich junge Frauen kennen. Aus Smalltalk wird schnell ein digitales Techtelmechtel. Entweder werden dann Bilder verschickt oder aus dem Schreiben wird ein Videochat.
Wenn das Opfer darauf einsteigt und sich vor der Kamera nackt zeigt, wird das vom Täter mitgeschnitten. Danach folgt die Geldforderung. Behörden warnen weltweit vor der Betrugsmasche.
Für Sebastian* (Name geändert) beginnt es unverfänglich als Flirt auf einer Datingplattform, dann werden Namen und Nummern ausgetauscht, man schreibt sich und endet schließlich in einem Videotelefonat auf WhatsApp: Dort zieht sich die vermeintliche Verehrerin vor laufender Kamera aus und fordert ihn auf, es ihr gleich zu tun. Nachdem er sich entkleidet und schließlich selbst befriedigt hatte, wurden ihm Bildschirmfotos der Aktion geschickt mit der Aufforderung: Wenn er nicht sofort 2.000 Dollar zahle, würden diese Nacktbilder von ihm an all seine Freunde auf Instagram geschickt.
Fälle wie der von Sebastian landen regelmäßig auf dem Schreibtisch von Mario Krause, Kriminalhauptkommissar bei der Taskforce Cybercrime in der zentralen Kriminalinspektion Braunschweig. Bis zu 20 Fälle in der Woche seien es, schätzt der Ermittler. Die polizeiliche Kriminalstatistik zählt unter "Erpressung auf sexueller Grundlage" mehrere tausend Fälle für 2023 auf, dort fließen allerdings auch noch andere Straftaten mit ein.
Die Zahlen seien allerdings wenig aussagekräftig, denn die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, schätzt Krause. Die meisten Betroffenen gingen aus Scham nicht zur Polizei.
Betrugsfabriken in Südostasien
Auch die britische Polizei NCA und das FBI in den USA warnten erst kürzlich vor Täterinnen und Tätern, die weltweit vor allem junge Männer kontaktierten, um sie dann zu erpressen. Diese säßen vor allem in Afrika und auch in Südostasien. Dort habe sich während der Covid-19 Pandemie eine regelrechte Betrugsindustrie entwickelt.
NDR-Reporterinnen haben mit Menschen gesprochen, die unter falschen Vorwänden als Arbeiter in sogenannten Betrugsfabriken in Myanmar oder Kambodscha gelockt wurden, dort arbeiten mussten und später fliehen konnten. Oftmals hinter Stacheldraht und unter Zwang werden dort unterschiedliche Betrugsarten angewandt: Den Opfern werden windige Kapitalanlagen aufgeschwatzt, ihnen wird vermeintlicher Reichtum mit Krypto-Währungen versprochen oder sie werden mit Nacktbildern erpresst.
Globalisiertes Verbrechen
Dem 28 Jahre alten Chinesen Neo Lu (Name geändert) gelang im Dezember 2022 die Flucht aus einer dieser Betrugsfabriken in Myanmar, in der sogenannten Dongmei-Zone an der Grenze zu Thailand. Dort arbeitete er unter Zwang sieben Monate lang, erst als Betrüger und dann als Buchhalter.
In der Fabrik seien vor allem Frauen aus China erpresst und um ihr Geld gebracht worden. Von Fabriken in der Umgebung habe er gehört, dass dort auch Sextortion oder sogenannte Romance Scams genutzt würden, bei denen Frauen in vermeintliche Liebesbeziehungen gelockt und dann betrogen würden. Mit Hilfe kleiner Übersetzungsprogramme werde der Online-Betrug inzwischen auch international umgesetzt, berichtet er.
Blick in den Innenhof der Betrugsfabrik. Menschen sollen dort unter Zwang arbeiten. Quelle: Neo Lu
Geschmuggelte Buchhaltungsunterlagen, die dem NDR vorliegen, zeigen, dass die Betrugsfabrik in den fünf Monaten während Neon Lus Tätigkeit als Buchhalter 4,4 Millionen US-Dollar von 214 Opfern einnahm.
Interpol spricht von globaler Krise
Erst kürzlich sprach Interpol bei einer Pressekonferenz in Singapur von einer "globalen Krise". Die Behörde geht von bis zu drei Billionen US-Dollar Umsatz aus, den Betrugs-Kartelle mit Hilfe von Menschenhandel und Online-Betrug inzwischen verdienten. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt von Myanmar liegt bei rund 62 Milliarden US-Dollar.
Vom zuständigen UN-Büro United Nation Office of Crimes and Drugs heißt es: Der aus Online-Betrug und Menschenhandel generierte Umsatz habe in Südostasien inzwischen den Drogenhandel abgelöst. Auch das FBI geht verstärkt gegen Sextortion und weitere Online-Betrugsmaschen vor, nicht zuletzt, weil in den USA seit 2021 mindestens 20 Teenager Suizid begangen haben, weil sie mit Nacktfotos erpresst wurden.
Ermittler vor großen Herausforderungen
Für die Ermittler in Deutschland sei zunächst einmal die schiere Masse an Delikten ein Problem, sagt Kriminalhauptkommissar Mario Krause. Zusätzlich gerate man schnell an die Grenzen der eigenen Ermittlungen, wenn die Täter im Ausland säßen. Dann müssten sich die örtlichen Behörden kooperationswillig zeigen. Oftmals sei das langwierig und manchmal auch vergebens, berichtet der Cyberermittler.
Zusätzlich wächst die Sorge vor dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei den Betrügern - einerseits könnte sich der Online-Betrug dadurch noch stärker globalisieren, zum Beispiel durch den unkomplizierten Einsatz von Übersetzungssoftware. Andererseits könnten Menschen auch mit künstlich generierten Nacktfotos erpresst werden.
Der Ermittler rät Betroffenen von Sextortion: Nichts bezahlen, den eigenen Account sofort sperren, den Betrüger-Account blockieren und die Polizei zu Rate ziehen. Auch Sebastian hat nicht gezahlt und eine deutliche Lehre gezogen: einer Onlinebekanntschaft nicht mehr leichtfertig vertrauen.
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