Petrischalen mit sogenannten Krankenhauskeimen, die Mehrfachresistenzen gegenüber Antibiotika aufweisen.

Antibiotika-Startup Am eigenen Erfolg gescheitert

Stand: 27.01.2021 18:03 Uhr

Die kleine US-Firma Achaogen war ein großer Hoffnungsträger: Sie hatte ein Antibiotikum gegen resistente Keime entwickelt. Doch überlebt hat sie das nicht.

Ryan Cirz geht durch das Labor. Außer dem Rauschen der Klimaanlage ist nichts zu hören, die Arbeitsplätze sind leer, das teure Equipment ist teils in Kisten verpackt. Bis vor Kurzem war der 40-Jährige hier Chefwissenschaftler. Sein Traum war es, ein Antibiotikum zu erforschen, das gegen resistente Keime hilft und so schwerkranken Patienten das Leben retten kann. Jetzt, im Mai dieses Jahres, ist Cirz der letzte Wissenschaftler hier. Er ist nur noch für die Abwicklung der Firma zuständig.

Dabei war sein Unternehmen Achaogen lange Zeit Hoffnungsträger einer ganzen Branche. Seit sich immer mehr große Pharmakonzerne aus der Antibiotikaforschung zurückziehen, setzen Politiker und Experten weltweit auf kleine innovative Firmen wie Achaogen, in der Hoffnung, dass sie die Lücke schließen. Der US-Staat unterstützte das Unternehmen sogar mit mehr als 100 Millionen Euro. Heute ist Achaogen pleite, ein Traum zerplatzt.

Mit viel Enthusiasmus gestartet

Vor 15 Jahren wurde Achaogen als kleines Start-Up im Süden von San Francisco gegründet. Cirz hatte zuvor schon an der Uni an der Grundlage für den neuen Wirkstoff gearbeitet. Dem Biochemiker war klar, dass dringend neue Antibiotika benötigt werden, da sich resistente Keime zunehmend verbreiteten.

Den Gründern der Firma gelang es, öffentliche Fördergelder zu bekommen und einige Investoren zu überzeugen. Sie kamen gut voran. 2009 hatten sie die erste klinische Studie mit einigen wenigen gesunden Patienten abgeschlossen. Das Mittel erwies sich als vielversprechend. Achaogen wurde sogar in der "New York Times" erwähnt.

Studien kaum bezahlbar

Doch von diesem Zeitpunkt an brauchte das Unternehmen wesentlich mehr Kapital. Denn jetzt mussten die Forscher noch große und teure Studien mit vielen Hundert Patienten durchführen, um zu zeigen, dass das Medikament sicher ist.

Kleine Firmen können das in der Regel nicht allein stemmen. Sie sind auf Geldgeber angewiesen - oder auf große Konzerne. Bei anderen Medikamenten, etwa gegen Krebs, kaufen die Pharmariesen häufig Unternehmen mit einem vielversprechenden Wirkstoff komplett auf, teils für Milliardensummen. Doch Antibiotika sind für die großen Firmen nicht lukrativ.

Um das nötige Geld für die Studien zu bekommen, ging Achaogen 2014 an die Börse. Der Zeitpunkt war offenbar passend. Kurz zuvor hatte die US-Seuchenschutzbehörde die Bakterien, gegen die die Firma das neue Mittel erforschte, als "Alptraum" bezeichnet. Sie seien eine akute Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. Es müsse dringend gehandelt werden. Achaogen konnte Investoren überzeugen und durch den Börsengang ausreichend Geld einnehmen, um die Entwicklung voranzutreiben.

Trotz Zulassung keine Investitionen

Anfang 2018 schien alles auf einem guten Weg. Die klinischen Studien waren abgeschlossen. Das Unternehmen hatte inzwischen mehr als 200 Mitarbeiter und Hunderte Millionen Euro in die Entwicklung des Medikaments investiert. Und im Juni bekam ihr Mittel die Zulassung. Eigentlich ein Riesenerfolg.

Doch die Mitarbeiter von Achaogen hatten da schon eine dunkle Vorahnung. Sie wussten, dass es jetzt noch einmal richtig teuer werden würde: Die Herstellung des Medikaments, die Qualitätskontrollen, der Vertrieb, die Vermarktung. "Und das ausgerechnet zu der Zeit, als um uns herum die Welt zusammenbrach", sagt Ryan Cirz.

Kurssturz durch Spekulationen

Immer mehr Geldgeber zogen sich aus der Antibiotika-Entwicklung zurück und investierten lieber in andere Medikamente, die höhere Gewinne versprachen. Die Kurse von allen börsennotierten Firmen, die sich auf Antibiotika spezialisiert hatten, fielen seit Anfang 2018 - teils sogar dramatisch. Nach NDR-Recherchen stoppten in dem Jahr mindestens zehn Unternehmen ihre Forschung.

Und dann verkündete auch noch Novartis im Sommer als einer der letzten verbliebenen Pharmariesen seinen Ausstieg aus der Antibiotika-Forschung. "Das war ein ganz schlechtes Timing für uns", so Cirz. Damit schwand die Hoffnung, dass ein großer Konzern möglicherweise noch bereit gewesen wäre, die Firma und die Rechte an dem Antibiotikum zu kaufen.

Achaogen hatte vergeblich darauf gehofft, dass ein finanzstarker Partner einsteigt. Schon am Tag der Zulassung sprangen die ersten Investoren bei Achaogen ab und verkauften ihre Aktien. Sie hatten offenbar den Glauben an einen finanziellen Erfolg verloren, auch weil die US-Gesundheitsbehörde dem neuen Antibiotikum vorerst nur die Zulassung für die Behandlung von komplizierten Harnwegsinfekten erteilt hatte - und nicht, wie ursprünglich erhofft, für ein weiteres Krankheitsbild.

Hinzu kam, dass eine Reihe von Spekulanten auf fallende Kurse gesetzt hatte. Sie hatten richtig gewettet: Die Aktie von Achaogen stürzte ab. Das Unternehmen hatte keine Chance mehr, Geld aufzutreiben. "Es war ein Jahr voller Leiden", sagt Cirz.

Von Start up zur Resterampe

Die Geschäftsführer stoppten die Entwicklung von neuen Mitteln, entließen fast alle Wissenschaftler. Die meisten von ihnen fanden schnell neue Jobs und forschen zu anderen Medikamenten.

Anfang Juni 2019, knapp zwölf Monate nach der Marktzulassung, war endgültig Schluss. In einer Auktion versteigerte Achaogen alles, was noch irgendeinen Wert hatte. Das restliche Laborequipment ging für rund 200.000 Euro weg. Die weltweiten Vermarktungsrechte am Antibiotikum kauften eine indische und eine chinesische Firma - für insgesamt weniger als 15 Millionen Euro. Was sie jetzt damit machen, ist ungewiss.

Viele komplexe Gründe

Der Gründer von Achaogen, Kevin Judice, versteht bis heute nicht ganz, wie es dazu kommen konnte. Die Geschichte sei sehr komplex, habe aber viel mit dem Antibiotika-Markt zu tun - und wie schwierig es sei, dass Investoren dabei bleiben. Auf jeden Fall sei es "schrecklich". "Es war vielleicht die größte Freude, die ich als Wissenschaftler gehabt habe und zugleich die größte Enttäuschung", sagt Judice. Er fühle sich frustriert und traurig. Und es sei kein gutes Zeichen für die gesamte Antibiotika-Branche, so Judice.

Ryan Cirz weiß noch nicht, was er in Zukunft machen wird. Am liebsten würde er sofort weiter machen und neue Antibiotika erforschen. Es müsste sich nur ein Geldgeber finden.

Dieses und weitere Themen sehen Sie heute um 21.45 bei Panorama im Ersten. Mehr zum Thema auch unter NDR.de/antibiotika