Generalkonsulat der Russischen Föderation in Bonn.
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Nach Ausweisung von Diplomaten Wie Russland seine Spionage umstellt 

Stand: 07.04.2024 18:00 Uhr

Europäische Länder haben fast 500 russische Spione ausgewiesen. In Deutschland wurden vier Konsulate geschlossen. Doch Russland soll sich neu aufgestellt haben und unter anderem auf moderne Technik und "reisende Agenten" setzen.

Von Von Manuel Bewarder, WDR/NDR, Florian Flade und Palina Milling, WDR

Ein paar Antennen, dazu Satellitenschüsseln - mehrere aber offensichtlich nicht mehr funktionsfähig. Die Technik, die man auf dem Dach des russischen Generalkonsulats in Bonn erkennt, sieht zum Teil ziemlich abgenutzt aus. Viel wichtiger könnten für Russland aber wohl die verschiedenen blickdichten Aufbauten auf den Dächern des Gebäudekomplexes sein: Laut Sicherheitskreisen soll sich dahinter hochmoderne Kommunikations- und Ausspähtechnik verbergen. 

Diese umfassend verbauten Anlagen sollen ein wichtiger Grund sein, warum die russische Führung am Bonner Standort festhält. Nachdem Russland 2023 die deutsche Gesamtrepräsentanz auf 350 Personen - Diplomaten, Lehrkräfte, Mitarbeiter bei Stiftungen - beschränkt hatte, ordnete die Bundesregierung die Schließung von Konsulaten an. Das Putin-Regime entschied sich, nur noch die Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in Bonn zu betreiben. Das hat Folgen für die konsularische Arbeit - aber auch für die Spionage.

Nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" hat sich die Arbeit der russischen Geheimdienste seit dem Start des Angriffskrieges auf die Ukraine verändert. Die Ausweisung von Dutzenden als Diplomaten akkreditierten Spionen hatte Moskau zwar einen Schlag versetzt. Doch Russland soll sich neu aufgestellt haben, wie Recherchen in Sicherheitskreisen ergaben.

Restpersonal im Blick?

Der Recherche zufolge sollen hierzulande noch immer rund 20 Spione als Diplomaten akkreditiert sein. Für die Durchführung von aufwendigen Operationen soll das aber nicht mehr ausreichen - auch weil die deutschen Sicherheitsbehörden meinen, dieses Restpersonal ganz gut im Blick zu haben. 

Die als Diplomaten getarnten Spione stehen seit jeher im Fokus des Verfassungsschutzes. Durch den Diplomatenstatus sind sie weitgehend vor Strafverfolgung geschützt und werden traditionell dafür eingesetzt, Quellen zu rekrutieren, um an Informationen zu gelangen. Bei bis zu einem Drittel des diplomatischen Personals Russlands handele es sich in Wahrheit um Agenten, so die Schätzung der deutschen Spionageabwehr.

Die deutsche Politik scheute bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine ein hartes Durchgreifen gegen dessen Spähtruppen. Die diplomatischen Beziehungen sollten nicht belastet werden. Man wusste, dass Russland im Anschluss eine gleiche Anzahl an diplomatischem Personal ausweisen würde.

Russische Diplomaten ausgewiesen

Diese Zurückhaltung wurde jedoch abgelegt: Deutschland hat im April 2022 insgesamt 40 russische Diplomaten ausgewiesen. Im folgenden Jahr waren es dann nochmal 30 - darunter offenbar fast das gesamte technische Personal, wie in vielen anderen europäischen Staaten auch. Innerhalb weniger Tage ging es für sie per Flugzeug in die Heimat. 

Ähnlich lief es in weiteren Ländern: Nach der Ausweisung von fast 500 Spionen in den vergangenen beiden Jahren ist von dem über Jahrzehnte gepflegten europaweiten Spionagenetzwerk in Botschaften und Konsulaten nicht mehr viel übrig.

Zum Teil soll Russland versuchen, das ausgewiesene Personal in Europa zu ersetzen - etwa durch Spione, die bisher an Botschaften in Afrika eingesetzt waren. Der niederländische Inlandsnachrichtendienst warnte zuletzt zudem davor, dass Agenten mit gefälschten Biographien als Geschäftsleute getarnt eingeschleust werden

Gleichzeitig setzt Russland auf Länder mit freundlich gesinnten Regierungen wie Ungarn oder Serbien. Aber auch in der Türkei, in Dubai oder in Nordafrika sollen russische Spione aktiver sein. Zudem steht das Putin-Regime im Verdacht, auch mit der Organisierten Kriminalität zusammen zu arbeiten.

"Robustere Gangart"

Seit dem Start der russischen Invasion im Februar 2022 fährt Moskau zudem zum Teil eine "robustere Gangart" - so beschreiben es jedenfalls Verfassungsschützer. Das heißt: Man nimmt eher in Kauf, erwischt zu werden und die Operationen sind skrupelloser. Dafür steht zum Beispiel die Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs zum sogenannten "Taurus Leak", um einen Keil in den Westen zu treiben.

Man fälscht Nachrichtenwebseiten, um umfassende Desinformationskampagnen zu starten. In Polen und Tschechien wurden zudem jüngst Netzwerke zur politischen Einflussnahme bekannt - angeblich inklusive Schmiergeldzahlungen an Politiker. Mit Jan Marsalek lenkt offenbar ein einstiger hochrangiger DAX-Manager ein europaweites Agentennetzwerk. 

Belgien greift bei Spionage durch

Das Generalkonsulat in Bonn könnte für die russische Spionage offenbar eine besondere Rolle spielen: Auf der Hardthöhe sitzt immer noch ein großer Teil des Verteidigungsministeriums. In der ehemaligen Bundeshauptstadt gibt es zudem viele internationale Organisationen, deren Arbeit für Moskau interessant ist. Gleichzeitig könnte das Personal von Bonn aus schnell in Nachbarländer wie Frankreich, Niederlande, Luxemburg oder Belgien fahren, um dort aktiv zu werden.

Brüssel als Sitz von Europäischer Union und NATO ist für die russische Führung besonders wichtig für die Informationsgewinnung. Mittlerweile greift Belgien aber ziemlich durch, was Spionage anbelangt. Damit kommt Bonn ins Spiel, denn dort stationierte Agenten wären nicht unbedingt auf dem Schirm der Behörden im Ausland.

Sie könnten sich also oft freier bewegen und zum Beispiel Quellen treffen. Was aber besonders wichtig ist: Ihr Einsatz im Ausland würde beim Auffliegen nicht gleich zu diplomatischen Turbulenzen führen, da sie nicht dort aktiv wären, wo sie als Botschaftspersonal akkreditiert sind. Die "reisenden Agenten" würden so eine Art internationales Schlupfloch nutzen.

Das Führen von Quellen im Ausland ist für Russland offenbar nochmal wichtiger geworden - auch für die Spionagetätigkeit in Deutschland. Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass für Operationen in der Bundesrepublik vor allem das akkreditierte diplomatische Personal in Österreich eine Rolle spielen soll. Die Regierung in Wien hatte sich nämlich nicht an den umfangreichen Ausweisungen von Botschaftspersonal beteiligt. Bislang mussten nur acht Spione Österreich verlassen - dabei soll es in Wien Schätzungen zufolge bis zu 100 russische Agenten geben, die als Diplomaten akkreditiert sind. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 31. Mai 2023 um 15:00 Uhr.