Diplomatische Vertretungen Putins Spione unter Druck
Die russische Botschaft in Berlin gilt als Zentrum der Spionage. Vor einem Jahr wies Deutschland auf einen Schlag 40 russische Geheimdienstler aus. Bald könnten weitere folgen.
Die ersten Raketen waren nur ein paar Stunden zuvor in der Ukraine eingeschlagen, da stellten Polizisten rund um die russische Botschaft in Berlin Absperrgitter auf. Der Polizeischutz für den gigantischen Bau direkt Unter den Linden war massiv hochgefahren worden - so wie es das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vorsieht. Und doch: Der Umgang Deutschlands mit der Botschaft und ihren Mitarbeitern hat sich seither deutlich verändert.
Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, dass Deutschland die Botschaft offiziell als Zentrum von Moskaus Spionage hierzulande gebrandmarkt hat. Im April 2022 waren 40 russische Diplomaten aufgefordert worden, die Bundesrepublik zu verlassen. Es soll sich um Geheimdienstler gehandelt haben, die den diplomatischen Status genutzt haben, um sich zu tarnen.
Risikobereitschaft gestiegen
Die Politik vollzog damit, was die Sicherheitsbehörden vorbereitet hatten: Deutschland hat seine Naivität gegenüber Russland abgelegt. Viele von Putins Spionen sind nun nicht mehr da, die russischen Dienste müssen ihre Aktivitäten jetzt anpassen.
Nach Informationen von WDR und NDR aus Sicherheitskreisen sollen sich die Spionageaktivitäten aus der russischen Botschaft in Berlin seit dem vergangenen Jahr zwar deutlich reduziert haben. Gleichzeitig benötige der Kreml angesichts des Krieges dringend Informationen, sodass die Spionage verstärkt mit anderen Mitteln fortgeführt werde. Dabei würden die russischen Geheimdienstler zunehmend risikobereiter, gleichzeitig machten sie nun häufiger Fehler. Und der Druck wird demnächst womöglich noch größer.
Weniger Diplomaten
Denn auf deutscher Seite gibt es wohl konkrete Überlegungen, die Zahl der akkreditierten Diplomaten grundsätzlich zu reduzieren. Und zwar in Berlin und in Moskau. Damit will die Bundesregierung wohl verhindern, dass der Kreml die ausgewiesenen Spione einfach ersetzt - und gleichzeitig russischen Reaktionen, also dem Rauswurf deutscher Diplomaten aus Moskau, zuvorkommen.
Für Russland gäbe es damit künftig weniger Möglichkeiten, Spione als Diplomaten getarnt nach Deutschland zu schicken. Außerdem müssten dann wohl noch weitere Personen die Botschaft verlassen. Das Auswärtige Amt dementierte eine Anfrage dazu nicht. Man erklärte lediglich, eine solche Maßnahme sei derzeit nicht vorgesehen. Seit dem Angriff auf die Ukraine hatte das Haus von Annalena Baerbock (Grüne) den russischen Botschafter mehrmals einbestellt.
Zuträger aufgeflogen
Vorbei scheinen die Zeiten, in denen Angehörige der Botschaft recht ungeniert Spionage für ihr Land betreiben oder Einfluss ausüben konnten. Zahlreiche Fälle belegen dies: Da war der Mitarbeiter Daniil B., der sich vor allem mit jungen deutschen Politikern vernetzte und sich bei der AfD für einen russlandfreundlichen Kurs einsetzte. Der ehemalige Handelsgesandte der Botschaft wiederum gehörte zu den Gründern des Ostinstituts, das in Mecklenburg-Vorpommern zum Tummelbecken für Russland-Lobbyisten wurde.
Welche Bedeutung Moskaus Botschaft in Berlin für die Spionage-Operationen hierzulande hat, zeigen zwei aktuelle Fälle. So wie jener des deutschen Ex-Reserveoffiziers Ralph G. Mehrere Jahre soll er dem russischen Militärgeheimdienst GRU Informationen geliefert haben. Den Luftwaffen- und Marineattaché an der Botschaft hatte G. ausgerechnet beim Ball der Luftwaffe in Bonn kennengelernt. Ende 2022 wurde G. zu einer Strafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt.
Im Februar wiederum wurde in London ein Ex-Mitarbeiter der britischen Botschaft in Berlin zu 13 Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Er soll jahrelang eine "signifikante Menge" an sensiblen Informationen an Russland weitergeben haben. Die Botschaften beider Länder liegen in Berlin nah beieinander. Das Material soll er dem Verteidigungsattaché der russischen Botschaft übergeben haben.
400 Diplomaten aus Europa ausgewiesen
Für die deutschen Sicherheitsbehörden war es vor einem Jahr offenbar kein Problem, 40 Spione zu benennen, die sich als Diplomaten tarnten. Tatsächlich sollen auf einer Liste mehr als 100 Namen gestanden haben. Rausgeworfen wurden allerdings zunächst vor allem jene, die allzu rücksichtslos vorgegangen waren - wie etwa eine Person, die beim Pipelineprojekt Nord Stream in Mecklenburg-Vorpommern mitgemischt haben soll. Andere hingegen durften bleiben, so wie der russische Kontaktmann des in London verurteilten Maulwurfs.
Der Verteidigungsattaché gilt neben wenigen anderen Vertretern an der Botschaft als sogenannter Resident. So werden jene Geheimdienst-Mitarbeiter bezeichnet, die ganz offiziell als solche angemeldet werden und zum Beispiel den Austausch zu deutschen Nachrichtendiensten pflegen. Selbst wenn diese direkt an Spitzeleien beteiligt sind, legt man in deutschen Sicherheitskreisen meist großen Wert darauf, dass solche Gesprächskanäle bestehen bleiben. Aus diesem Grund durfte offenbar auch ein ausgewiesener russischer Fachmann für Einflussoperationen in Deutschland bleiben, trotz großer Skepsis der hiesigen Behörden.
Insgesamt sind im vergangenen Jahr in Europa rund 400 russischen Spione zur "unerwünschten Person" erklärt worden. Der Austausch zwischen den Ländern soll dabei eng sein. Als Plattform dafür dient vor allem der sogenannte Berner Club, ein informeller Zusammenschluss der europäischen Inlandsgeheimdienste. Die EU-Länder gehören dazu, die Schweiz, Norwegen und Großbritannien.
Peilsender an Waffensystemen
Was andere Länder, aber auch Deutschland, seit Ausbruch des Krieges beobachten: Der Druck auf russischer Seite, Ergebnisse zu produzieren, ist offenbar sehr groß. Von Interesse sollen dabei vor allem Informationen mit Bezug zum Militär, zum Krieg in der Ukraine, aber auch zur Energieversorgung sein. Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten jedenfalls viel Aktivität rund um militärische Einrichtungen der Bundeswehr und der NATO.
Man sorgt sich etwa um Peilsender an westlichen Waffensystemen, mit denen diese später in der Ukraine geortet werden könnten. Mit Drohnen und sogenannten IMSI-Catchern wiederum könnten russische Spione versuchen, die Handys von ukrainischen Soldaten auszuspähen, die hierzulande trainiert werden. In unmittelbarer Nähe einer Kaserne soll sogar ein russisches Diplomatenfahrzeug aufgetaucht sein. Das ist wiederum so auffällig, dass es sich wohl eher um eine gezielte Provokation handeln dürfte, oder um ein Ablenkungsmanöver. Die russische Seite wisse sehr genau, so resümieren Verfassungsschützer, dass die hiesige Spionageabwehr auch nur begrenztes Personal zur Verfügung habe.
Sorge vor Überläufern
Eine Prognose des Verfassungsschutzes war bereits im vergangenen Jahr, dass die russischen Dienste wohl zunehmend auf Spione setzen werden, die getarnt in die EU ein- und ausreisen werden und auf sogenannte "Schläfer-Agenten", also Geheimdienstler, die ohne diplomatische Tarnung agieren, und oft jahrelang unter mit einer gefälschten Identität und bürgerlichen Fassade in einem Einsatzland leben. Solche Spione wurden im vergangenen Jahr mehrfach enttarnt: in den Niederlanden, in Slowenien, Norwegen, zuletzt in Griechenland.
In der russischen Botschaft in Berlin soll kurz nach Kriegsbeginn im vergangenen Jahr teilweise Personal ausgetauscht worden sein. Auch die Sorge vor Überläufern scheint groß zu sein: Moskaus Diplomaten sollen deshalb meist nur noch zu zweit oder zu dritt unterwegs sein. Der Erfolgsdruck in den russischen Diensten scheint indes so groß, dass ungewohnte Risiken in Kauf genommen werden.
Ein Beispiel dafür könnte der mutmaßliche "Maulwurf" beim Bundesnachrichtendienst (BND) sein: Russische Geheimdienstler sollen bei einem Treffen in Moskau im vergangenen Jahr darauf gedrängt haben, dass der BND-Mann Carsten L. schnell Informationen über den Krieg in der Ukraine liefern solle. Am besten gleich die Standortdaten von amerikanischen Raketenwerfern. Rund 400.000 Euro sollen die Russen dem mutmaßlichen Verräter gezahlt haben, das Geld wurde später in einem Schließfach sichergestellt.
In deutschen Sicherheitskreisen ist man verwundert über das robuste Vorgehen der Russen. Eine so hochwertige Quelle wie L., der an einer zentralen Position im BND gearbeitet hat, hätte man früher vermutlich langsam aufgebaut, "kultiviert", wie es im Jargon der Dienste heißt, um sie jahrelang zu nutzen, aber nicht ausgequetscht.