Hafenbeteiligung in Hamburg Kanzleramt will offenbar China-Geschäft durchsetzen
Eine solche Konfrontation ist selten: Obwohl alle Fachministerien den Einstieg von Chinesen beim Hamburger Hafen ablehnen, will ihn das Kanzleramt nach Informationen von NDR und WDR offenbar ermöglichen.
Trotz der Warnungen aller Fachministerien will das Kanzleramt offenbar den Verkauf von Teilen des Hamburger Hafens an den chinesischen Staatskonzern Cosco durchsetzen. Nun ist ein Streit in der Bundesregierung über den Einstieg der chinesischen Firma beim Hamburger Hafen eskaliert. Nach Informationen von NDR und WDR haben alle sechs Ministerien, die an der Investitionsprüfung fachlich beteiligt sind, das Geschäft abgelehnt. Das Kanzleramt drängt der Recherche zufolge jedoch darauf, dass der Einstieg dennoch zustande kommt.
Die chinesische Reederei Cosco will Anteile des Hafenbetreibers HHLA übernehmen und sich mit mehr als einem Drittel am Hamburger Containerterminal Tollerort beteiligen. Beim Wirtschaftsministerium wurde ein Investitationsprüfverfahren gestartet, das für bestimmte Beteiligungsanteile von ausländischen Firmen oder bei kritischer Infrastruktur vorgesehen ist.
Wenn das Bundeskabinett keinen Beschluss fasst und keine Fristverlängerung mehr vereinbart wird, würde das Geschäft laut Gesetz automatisch zustande kommen. Das wäre Ende Oktober der Fall, kurz vor dem geplanten Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in China. "Ergeht bis zum Ende der Frist keine Entscheidung, gilt die Freigabe als erteilt", erklärt der Spezialist für Investitionsprüfungen der Wirtschaftskanzlei CMS, Kai Neuhaus.
Prüfverfahren nicht auf der Tagesordnung
Im Zuge des Investitionsprüfverfahrens hat das federführende Wirtschaftsministerium nach NDR- und WDR-Informationen das Thema bereits zur endgültigen Ablehnung im Bundeskabinett angemeldet. Das Kanzleramt habe das Prüfverfahren dann allerdings seit Wochen nicht auf die Tagesordnung genommen. Somit konnte kein Kabinettsbeschluss gefasst werden. Stattdessen habe das Kanzleramt die beteiligten Fachressorts beauftragt, nach einem Kompromiss zu suchen, damit das Geschäft genehmigt werden kann.
Das Wirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage lediglich, dass man sich während eines laufenden Verfahrens nicht äußere. Das Kanzleramt wiederum werde sich "mit Blick auf die Betroffenheit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der beteiligten Unternehmen" zu laufenden Investitionsprüfungsverfahren nicht äußern, so ein Regierungssprecher. Kabinettsthemen werden demnach durch Staatssekretärssitzungen beschlossen. Aus diesen Arbeitssitzungen werde man nicht berichten.
"Aus Verbundenheit mit Hamburg"
Die Blockade des Kanzleramts ist bemerkenswert, vor allem zum jetzigen Zeitpunkt. Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat sich gezeigt, wie verwundbar Deutschland sein kann, wenn ein autokratisches Regime mit einem Mal die eigenen Interessen durchsetzt. Gerade deshalb lehnen die beteiligten Fachressorts - sie werden von SPD, Grünen und FDP geführt - das Geschäft in Hamburg ab.
Der Grünen-Europaabgeordnete und ehemalige Parteichef Reinhard Bütikofer sagt im ARD-Magazin Panorama: "Die Minister kommen offensichtlich zu der Meinung: Die Risiken sind zu hoch. Sonst hätte es nicht diese Meinung in der Bundesregierung gegeben." Nach Einschätzung von Bütikofer hoffe Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher mit Blick auf Scholz offensichtlich, "dass sein Amtsvorgänger aus Verbundenheit mit Hamburg dafür sorgt, dass es doch passiert".
Mitspracherechte bei Entscheidungen
Für die Ablehnung werden der Recherche zufolge neben der veränderten geopolitischen Lage vor allem zwei Punkte angeführt: Cosco solle nicht nur eine rein finanzielle Beteiligung erhalten, sondern auch einen Geschäftsführer stellen und Mitspracherechte bei Entscheidungen bekommen. Da China zudem heute bereits wichtigster Kunde des Hafens sei, bestehe in Verbindung mit der geplanten Beteiligung am Containerterminal ein "Erpressungspotenzial".
Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel erklärt im Interview mit Panorama: "Die langfristige Strategie der Chinesen könnte natürlich darin bestehen, die Kontrolle über die gesamte Lieferkette, digital wie maritim, in Europa an sich zu reißen." Damit könne China einen Wettbewerbsvorteil bekommen beziehungsweise einen "Missbrauch wirtschaftlicher Macht" einleiten. Die HHLA wiederum erklärte, man äußere sich grundsätzlich nicht zum Inhalt von Vereinbarungen. Man befinde sich jedoch in "sachlich-konstruktiven" Gesprächen mit der Bundesregierung.
BND und Verfassungsschutz warnen
Nicht nur Wirtschafts-, Innen-, Verteidigungs- und Verkehrsministerium sowie Auswärtiges Amt und Finanzministerium warnen vor dem Geschäft. Auch die EU-Kommission hat sich dem Vernehmen nach dagegen ausgesprochen. Am deutlichsten sollen die am Prüfverfahren beteiligten Sicherheitsbehörden gewarnt haben: Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat besonders der Bundesnachrichtendienst (BND) versucht, die Regierung zu sensibilisieren. BND-Präsident Bruno Kahl erklärte am Montag im Parlament öffentlich, man sehe eine chinesische Beteiligung an Kritischer Infrastruktur "sehr, sehr kritisch".
Deutschland ist mit seiner Skepsis nicht allein. Der Austausch mit westlichen Verbündeten wie den USA oder Großbritannien beim Thema China ist sehr eng. Beide Staaten warnen schon länger vehement vor den weltweiten Einflussmöglichkeiten Chinas. Bei dem Thema rückt man stärker zusammen: Im vergangenen Jahr wurde die Einrichtung einer EU-USA-Gruppe Trade and Technology Council (TTC) beschlossen, die darauf abzielt, bei "zukunftsgerichteten transatlantischen Themen" enger zusammenzuarbeiten, etwa bei neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz, bei Handel oder Klima.
Dabei soll es vor allem darum gehen, dem Einfluss Chinas in diesen Bereichen zu begegnen und ihn zurückzudrängen. So sollen beispielsweise Drittstaaten, darunter Schwellen- und Entwicklungsländer, mit Investitionen unterstützt werden, eigene und souveräne Digitalsysteme aufbauen zu können. Bei einem ersten Treffen des TTC im September 2021 in Pittsburgh verabschiedeten die Teilnehmer eine Einigung auf gemeinsame Prinzipien etwa bei Investitionsprüfungen oder der Sicherung von Lieferketten. Die genauen Inhalte gelten als vertraulich.
Deutsche Unternehmen kontaktiert
Aus Unterlagen, die WDR und NDR vorliegen, geht hervor, dass sich die amerikanisch-europäische Arbeitsgruppe damit beschäftigt, wie besonders wichtige Technologien der Zukunft, dazu zählen Halbleiter-Chips, deren Produktion und Lieferketten gesichert werden können. Zudem soll die Erforschung und Entwicklung von neuen Technologien gefördert und intensiviert werden - auch um eine zu starke Abhängigkeit von China in diesem Feld zu verhindern.
Die Bundesregierung hat den Streit um Pekings Griff nach dem Hamburger Hafen öffentlich bislang nicht eskalieren lassen. Skeptisch äußerten sich vor allem Grüne. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte bereits im September, er tendiere "in die Richtung, dass wir das nicht erlauben". Außenministerin Annalena Baerbock sagte zuletzt der "Süddeutschen Zeitung": "Wir müssen uns bei jeder Investition in deutsche kritische Infrastruktur fragen, was das in jenem Moment bedeuten könnte, in dem sich China gegen uns als Demokratie und Wertegemeinschaft stellen würde."
Weniger Scheu vor dem offenen Konflikt könnte die chinesische Regierung haben. Aus Kreisen der deutschen Wirtschaft wird ein schwerwiegender Vorwurf berichtet, nämlich dass die chinesische Botschaft zuletzt deutsche Unternehmen direkt kontaktiert habe. Man solle sich für den chinesischen Einstieg beim Hamburger Hafen einsetzen. Ansonsten drohten Folgen für das eigene Geschäft. Die chinesische Botschaft verwies auf Anfrage auf ein vorheriges Statement der Außenamtssprecherin: Man hoffe, Deutschland werde Prinzipien wie jenen des offenen Marktes treu bleiben, statt normale ökonomische Beziehungen zu politisieren.
Die HHLA-Chefin Angela Titzrath lässt heute mitteilen: Der Hamburger Hafen werde nicht an China verkauft und Cosco erhalte keinen Zugriff auf strategisches Know-How. Sie drängt weiter auf den Deal, ebenso der amtierende Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher.
Das ARD-Magazin Panorama berichtet heute um 21:45 Uhr im Ersten über dieses Thema.