Extremismus in der Bundeswehr Aufklärung in Munitionsaffäre stockt
Die Munitionsaffäre beim KSK beschäftigte die Bundespolitik wochenlang. Doch auch Jahre später sind grundlegende Fragen noch ungeklärt. Das zuständige Gericht hat noch immer nicht über die Zulassung einer Anklage entschieden.
Es war eine veritable Affäre und sie sorgte bundesweit für Schlagzeilen: Als 2021 durch investigative Recherchen bekannt wurde, dass Bundeswehrsoldaten der Eliteeinheit KSK offenbar in großem Stil straffrei Munition zurückgeben durften, die sie zuvor unterschlagen hatten. Das politische Beben reichte bis in die Spitze des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin.
Vor dem Verteidigungsausschuss im Bundestag musste die damalige Ministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), erklären, warum die Parlamentarier nur aus der Presse von einer umstrittenen Amnestieaktion der Bundeswehr erfahren hatten. Und in Baden-Württemberg nahm die Staatsanwaltschaft Tübingen Ermittlungen gegen den damaligen Kommandeur des Kommando Spezialkräfte (KSK), Markus Kreitmayr, auf, der die Aktion befehligt haben soll.
Ein Politikum war das auch deshalb, weil der angesehene Brigadegeneral als Vertrauter der Ministerin galt - und eigens von ihr in die skandalerprobte Problemkaserne im baden-württembergischen Calw entsandt worden war, um dort aufzuräumen.
Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Doch noch immer sind viele Fragen ungeklärt - und stehen auch juristisch noch in der Schwebe. Der Grund: Obwohl die Staatsanwaltschaft Tübingen nach umfassenden Ermittlungen bereits im Februar 2022 Anklage gegen den damaligen KSK-Kommandeur erhob, hat das zuständige Landgericht in Tübingen noch immer nicht darüber entschieden, ob es die Anklage zulässt und es damit zu einem Prozess in der brisanten Angelegenheit kommt. Das bestätigte ein Sprecher auf Anfrage von WDR und NDR.
Affäre mit politischer Sprengkraft
"Die Belastung der zuständigen Kammer", so ein Gerichtssprecher, "mit vorrangig zu bearbeitenden Haft- und Unterbringungssachen ist unvermindert sehr hoch." Damit bleibt einer der bedeutendsten Ermittlungskomplexe innerhalb der Bundeswehr weiterhin offen und so auch die Frage, wer die juristische Verantwortung für den Umgang des KSK mit zuvor möglicherweise massenhaft unterschlagener Munition trägt.
Denn die Sammelaktion bei dem immer wieder in die Schlagzeilen geratenen Kommando Spezialkräfte war in mehrfacher Hinsicht auch politisch brisant: Bereits 2017 hatten Ermittler des Bundeskriminalamtes die KSK-Kaserne im baden-württembergischen Calw nach illegal gehorteter Munition durchsucht. Sie hatten Hinweise bekommen, dass Soldaten das Kasernengelände als ein sogenanntes "Safe House" für den Fall eines "Tag X" einrichten wollten. Fündig wurden sie allerdings nicht.
Doch die Ermittlungsbehörden behielten die Eliteeinheit und seine Soldaten weiter im Visier. Im Mai 2020 fanden sie schließlich im Garten eines KSK-Soldaten kistenweise Munition und zwei Kilo Plastiksprengstoff aus Bundeswehrbeständen, außerdem ein SS-Liederbuch und Postkarten mit Hakenkreuz. Noch während diese gegen den KSK-Soldaten ermittelten, entschied sich die Kommandoführung im KSK in Calw für die unkonventionelle Sammelaktion von Munition.
Kreitmayr sollte das KSK neu aufstellen
Dort war angesichts einer anstehenden Munitionsinventur offenbar klar geworden, dass in der Kaserne Zehntausende Schuss Munition fehlten - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte ein schwieriger Befund. Denn in Berlin wollten Bundestagsabgeordnete längst wissen, wie sich die immer wieder auffallenden Fehlbestände an Munition bei der Bundeswehr erklären ließen.
In Calw jedenfalls erhielten die Soldaten beim KSK nun die Gelegenheit, sogenannte "Fundmunition" zurückgeben, "ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen", wie es in internen Dokumenten heißt, die WDR und NDR einsehen konnten. Auch von einer "Amnestie" war in den Dokumenten die Rede.
Das Ergebnis: Bei der Sammelaktion soll schließlich mehr Munition zusammengekommen sein als zuvor überhaupt vermisst worden war. Unter anderem auch eine Handgranate. Deren Unterschlagung ist ein klarer Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Strafverfolgungsbehörden erfuhren davon jedoch erst viel später - aus der Presse.
Justiz blieb außen vor
Die in Aussicht gestellte "Amnestie" konnte es ohnehin nicht geben. Denn für die Verfolgung von Straftaten ist in Deutschland die Justiz verantwortlich, nicht die militärische Kommandoführung. Und so rief die Amnestieaffäre schließlich auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die nach dem Abschluss ihrer Ermittlungen Anklage gegen Kreitmayr erhob.
Sie wirft dem Kommandeur eine "unterlassene Mitwirkung bei Strafverfahren" laut Paragraf 40 des Wehrstrafgesetzes vor und erhob aufgrund des "besonderen Umfangs und einer besonderen Bedeutung des Verfahrens" Anklage vor dem Landgericht. Das allerdings hat noch immer nicht über die Zulassung entschieden. Dabei dürfte auch Kreitmayr, der sich zu Unrecht beschuldigt sieht, ein Interesse daran haben, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu klären.
Kreitmayrs Anwälte weisen die Anschuldigungen als "tatsächlich und rechtlich unbegründet" zurück. Die Sammelaktion, so die Anwälte, sei "unter Notstandsgesichtspunkten" erfolgt. Auch habe Kreitmayr keine Hinweise auf Straftaten in seinem Verband gehabt. Zudem sei es nie um eine Vertuschung von Straftaten gegangen.
Welche Auswirkungen die inzwischen sehr lange Dauer des Verfahrens auf ein mögliches Disziplinarverfahren gegen den hochrangigen General hat, dazu wollte sich eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Anfrage nicht äußern.