Polizei am Flughafen Leipzig, Archivbild
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Mehrere Bundesländer Zahl der Abschiebungen nach Russland steigt

Stand: 01.10.2024 08:35 Uhr

Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 hatte Deutschland Abschiebungen nach Russland ausgesetzt. Jetzt aber wird in Einzelfällen wieder abgeschoben - wie eine Recherche von WDR und NDR zeigt.

Von Manuel Bewarder, Florian Flade und Reiko Pinkert, WDR/NDR

Nach dem Start des Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 mussten sich russische Staatsbürger zunächst keine Gedanken über eine mögliche Abschiebung in ihre Heimat machen. Rückführungen galten als ausgeschlossen, allein schon aus praktischen Gründen, wie das Bundesinnenministerium damals erklärte. 

Doch seit dem vergangenen Jahr schieben mehrere Bundesländer wieder nach Russland ab, wie eine Recherche von WDR und NDR zeigt. Auch das Bundesinnenministerium bestätigte, dass die Zahl der Abschiebungen nach Russland im laufenden Jahr bis Ende Juni bereits 24 Personen betraf. Neben Bayern und Rheinland-Pfalz haben Hessen, Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen im laufenden Jahr nach Russland abgeschoben.   

Im gesamten Vorjahr 2023 waren es nach Angaben des Bundesinnenministeriums lediglich sieben Personen. Im Jahr 2021, also vor dem Start des Angriffskrieges, gab es laut Bundesinnenministerium noch insgesamt 280 Abschiebungen nach Russland, vor allem mit Charterflügen.

Fehlende Verbindungen nach Russland

Auch wenn der Anstieg bislang moderat ist, ist er doch bemerkenswert. Denn im Grunde herrscht momentan zwischen Deutschland und Russland Eiszeit. Auch die direkten Kontakte der Sicherheitsbehörden sind auf ein Minimum zurückgegangen. Gleichzeitig betonen Bund und Länder angesichts der hohen irregulären Migration immer wieder, dass sie die Anzahl von Abschiebungen erhöhen wollen. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag sogar eine "Rückführungsoffensive" angekündigt, insbesondere von Straftätern und Gefährdern.   

In der Realität gestalteten sich Abschiebungen nach Russland für die deutschen Behörden in den vergangenen Jahren allerdings schwierig: Es gibt zum Beispiel keinen direkten Linienflugverkehr zwischen Deutschland und Russland mehr. Das Rückübernahmeabkommen liegt quasi auf Eis, da zum Beispiel der Informationsaustausch zur Identitätsfeststellung kaum funktioniert.

"Bereits seit Längerem", so heißt es aus dem Integrationsministerium in Rheinland-Pfalz, "werden entsprechende Rücknahmeersuche seitens der russischen Behörden trotz Vorlage eindeutiger Sachbeweise abgelehnt". Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern erklärt, Abschiebungen würden "durch die russische Seite" erschwert.

Rückführungen schwerer Straftäter

Seit Anfang 2024 unternimmt Deutschland aber offenbar verstärkt Anstrengungen, um abzuschieben, und es gelingt wohl zumindest vor allem bei Strafttätern: Nach Angaben des bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen sind seit diesem Jahr "Rückführungen von schweren Straftätern in hervorgehobenen Einzelfällen möglich", erklärte eine Sprecherin.

Ergänzend hieß es, dass aber "nur in sehr seltenen Ausnahmefällen - insbesondere bei schweren Straftätern - begleitete Rückführungen in Abstimmung mit dem Bund" geplant werden könnten. Polizisten seien bei solch "begleiteten Rückführungen" aber nur an Bord, bis die abzuschiebende Person an einem anderen Flughafen in einem Drittland umsteige, um von dort weiter nach Russland zu fliegen. "Die verfügbaren Kontingente sind allerdings eng begrenzt", so Rheinland-Pfalz.

Die Bundespolizei bestätigte auf Anfrage, dass Rückführungen nach Russland über "Kooperationspartner" durchgeführt würden. Gemeint sind  Staaten, in denen die abzuschiebenden Personen umsteigen, um weiter nach Russland zu fliegen. Welche Länder hierbei unterstützen, das erklärte die Bundespolizei nicht.

Wie die Abschiebungen nach Russland mittlerweile konkret ablaufen, das geht aus dem aktuellen Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes hervor, der WDR und NDR vorliegt. Dem vertraulichen Dokument zufolge ist eine Abschiebung per Linienflug, also aus einem Drittstaat, nach Russland gegenwärtig mit Sicherheitspersonal der entsprechenden Fluggesellschaft "grundsätzlich" möglich. Allerdings könne höchstens eine Person pro Flug abgeschoben werden. Werde ein solcher Abschiebeversuch storniert, müsse mit erheblichen Kosten gerechnet werden, heißt es in dem Asyllagebericht.  

Straftäter für die Front rekrutiert

Neben dem schwierigen Vollzug gibt es aber einen weiteren Grund, warum deutsche Behörden bislang bei Abschiebungen nach Russland zurückhaltend agierten: Um Personal für die Front in der Ukraine zu gewinnen, hatte Russland Straftäter im Gefängnis rekrutiert. Die Vereinten Nationen hatten die massive Rekrutierung von russischen Strafgefangenen verurteilt. Auch bei deutschen Behörden gab und gibt es die Sorge, dass abgeschobene Russen für den Kriegsdienst eingezogen und an die Front geschickt werden könnten.  

Der aktuelle Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes zeigt zudem deutlich, wie gefährlich Gegner oder Kritiker des russischen Staates leben. "Neben der Gefahr politisch motivierter Strafverfahren bestehen Bedrohungen für Leib und Leben für Regierungskritiker im In- und Ausland", heißt es in dem Bericht.  

Allerdings, so schreibt das Auswärtige Amt, präsentierten Personen aus Russland im Asylverfahren in Deutschland immer häufiger falsche Unterlagen. "Die Anzahl der im Asylverfahren vorgelegten Vorladungen, Urteile und Beschlüsse, die sich als Fälschungen herausgestellt haben, hat in der letzten Zeit erheblich zugenommen."

Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger kritisierte, dass die deutsche Seite bei Abschiebungen zumindest indirekt mit Russland kooperiere. "Diese inkonsequente Haltung offenbart die doppelten Standards der Grünen", sagte Bünger mit Verweis auf Außenministerin Annalena Baerbock. Es sei "moralisch fragwürdig", an Rückführungen nach Russland festzuhalten.   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. September 2024 um 09:30 Uhr.