Rettungskräfte arbeiten nach einem Raketeneinschlag an einem beschädigten Wohnhaus in Charkiw im Nordosten der Ukraine, Archivbild
Exklusiv

Deutsches Unternehmen im Visier Bauteile für Putins Waffen?

Stand: 09.02.2023 05:03 Uhr

Fast ein Jahr nach der russischen Invasion in die Ukraine wird Russland weiter mit Technologie aus westlichen Ländern versorgt. EU-Sanktionen werden dabei offenbar umgangen. Nach Monitor-Recherchen spielen Drittstaaten wie die Türkei dabei eine entscheidende Rolle.

Von Silke Diettrich, Véronique Gantenberg, Frank Konopatzki und Julia Regis, WDR

Der Firmensitz ist unscheinbar. Mitten in einem Gewerbegebiet in Kerpen bei Köln ist die Firma Smart Impex beheimatet. Die Geschäfte, die von hier aus getätigt werden, sind allerdings brisant. Denn von hier aus wurde bis kurz vor Kriegsbeginn Technologie nach Moskau verkauft, die offenbar auch für die russische Armee von großer Bedeutung ist: elektronische Bauteile, die zum Beispiel für Computer geeignet sind, aber offenbar auch für Waffen, die im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommen.

Den Verkauf dieser Bauteile belegen Zolldaten, die Monitor vorliegen. Auffällig dabei: Die russische Empfängerfirma wurde von Jaroslaw Z. mitgegründet, der zugleich Gesellschafter des deutschen Unternehmens ist. Kurz vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurde der direkte Verkauf nach Russland zwar gestoppt. Doch jetzt zeigen Monitor-Recherchen, wie der Verkauf dieser elektronischen Bauteile über die Türkei offenbar auch während des Krieges weiter betrieben wurde.

"Sie sind das Herzstück russischer Waffen"

Solche elektronischen Bauteile spielen nach Ansicht von Experten eine entscheidende Rolle im Krieg. Sie befinden sich auch in Raketen, die in der Ukraine Wohnhäuser zerstören, Schulen und Krankenhäuser dem Erdboden gleichmachen. "Sie sind das Herzstück russischer Waffen", sagt James Byrne vom britischen Think Tank RUSI, der auf Verteidigung und Sicherheit spezialisiert ist. Mitarbeiter von RUSI fanden vor Ort in der Ukraine in den Trümmern immer wieder westliche Bauteile.

Auch die aus Kerpen gelieferten Bauteile könnten so eingesetzt worden sein. Die Firma stellte jedoch nach Beginn des Krieges ihre Verkäufe nach Moskau ein. Nach dem 24. Februar 2022 fehlen in den Zolldaten der an das russische Unternehmen Fast Impex gelieferten Waren Verkäufe aus Deutschland. Statt der deutschen Smart Impex taucht in den Import-Listen auf einmal eine türkische Firma auf, wenige Wochen nach Kriegsbeginn in Istanbul gegründet, die AZU International. Mitbegründer: Göktürk A., der zugleich Geschäftsführer und Gesellschafter des ehemaligen deutschen Lieferanten Smart Impex ist. Für mehr als 20 Millionen US-Dollar verkaufte das türkische Unternehmen im vergangenen Jahr genau solche Komponenten nach Moskau, die zuvor aus Deutschland bezogen worden waren.

Systematische Umgehung der Sanktionen?

Ein Konstrukt zur Umgehung von Sanktionen? Offenbar ist die deutsche Firma kein Einzelfall: Nach Beginn des russischen Angriffskrieges ist das Exportvolumen der Türkei im Bereich "Halbleiter und elektronische Schaltkreise" quasi explodiert: von rund 300.000 US-Dollar im Jahr 2021 auf mehr als 86 Millionen US-Dollar im Jahr 2022.

"Wir sehen einen massiven Anstieg der Exporte dieser Komponenten aus der Türkei nach Russland, vor allem von Unternehmen, die noch nie mit dieser Art von Komponenten gehandelt haben", sagt die Ökonomin Elina Ribakova, die an einer ausführlichen Analyse russischer Importe beteiligt war. Für sie ist das der Beweis für eine mögliche systematische Umgehung der EU-Sanktionen.

Verkauft auch die deutsche Smart Impex also weiter elektronische Bauteile nach Moskau - über den Umweg einer Firmenneugründung in Istanbul? Die Nachrichtenagentur Reuters erreichte vor zwei Monaten Göktürk A., Gesellschafter bei der deutschen Smart Impex und Mitbegründer der türkischen AZU International. Der gab demnach am Telefon zu, dass die Firma aus Kerpen elektronische Komponenten in die Türkei verkauft, alles weitere sei ein "Firmengeheimnis".

Expertin sieht Ermittlungsbedarf

Die Sanktionsrechtsexpertin Bärbel Sachs sieht angesichts des Firmenkonstrukts Ermittlungsbedarf: "Wenn der deutsche Geschäftsführer nun Geschäfte aus der Türkei durchführt, die aus Deutschland verboten wären, dann ist das ebenfalls ein Verstoß gegen das Embargo und zwar gegen die Verbote und auch gegen die Vermittlungsverbote."

Monitor liegen nun weitere Dokumente vor, die diesen Dreieckshandel offensichtlich bestätigen: So kündigte der Geschäftsführer der deutschen Firma, weil er sich darüber getäuscht fühlte, "dass Lieferungen der Smart Impex GmbH an die Firma AZU in der Kenntnis erfolgten, dass von der AZU Lieferungen nach Russland/Belarus getätigt werden würden". Mit anderen Worten: Weil der Verkauf der Bauteile von der Firma bei Köln über Istanbul nach Russland weiter durchgeführt wurde.

Auf verschiedenen Wegen versuchte Monitor während der Recherche, die Firmen in der Türkei, in Russland und in Deutschland zu erreichen. Vor Ort in Kerpen öffnete niemand die Tür, obwohl mehrere Autos davor standen. Auf schriftliche Anfrage schreibt die Smart Impex: "Wir lassen derzeit die Vorwürfe [...] genauestens prüfen. Die bisherigen Prüfungen belegen, dass unsere verkauften Güter nicht sanktioniert waren/sind."

Im Hintergrund ist man aber offenbar sehr bemüht, die Spuren des Geschäftskonstrukts zu verwischen. In den vergangenen Wochen wurden Anteile verkauft, ein Firmenname sowie Gesellschafterstrukturen in der Türkei und Russland geändert. Das sind Hinweise darauf, dass das Unternehmen offenbar sehr wohl von einem Verstoß gegen europäische Sanktionen ausgeht. Ob es sich im konkreten Fall um einen Sanktionsverstoß handelt, müsste die Kölner Staatsanwaltschaft entscheiden, die auf Anfrage keine Auskunft über laufende Ermittlungen machte.

Beiträge zu diesem und weiteren Themen sehen Sie heute um 21:45 bei Monitor im Ersten.

Silke Diettrich, WDR, 09.02.2023 06:37 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 09. Februar 2023 um 21:45 Uhr in der Sendung "Monitor". Inforadio berichtete bereits um 07:32 Uhr darüber.