Operation "Eureka" 132 Festnahmen bei Anti-Mafia-Razzia
Auch in Deutschland sind Ermittler heute gegen die kalabrische Mafia-Organisation ‘Ndrangheta vorgegangen. Laut MDR und FAZ gibt es Überschneidungen zwischen der Operation und einem zwanzig Jahre alten Anti-Mafia-Verfahren in Thüringen.
Es ist eine Operation, die zeigt, wie die kalabrische Mafia ‘Ndrangheta und ihre mutmaßlichen Unterstützer ein Netzwerk pflegen, das die Welt umspannt. Noch im Morgengrauen fand die Anti-Mafia-Razzia "Eureka" statt.
Filippo Spiezia, Koordinator für Italien bei der EU-Justizbehörde Eurojust, sprach in einer Pressekonferenz in Reggio Calabria von einer Operation "von noch nie vorher gesehener Tragweite".
132 Verdächtige festgenommen
155 Menschen sollen laut Angaben von Spiezia im Fokus der Ermittler gestanden haben. Die europäische Polizeibehörde Europol, bei der die Fäden der gesamten Operation zusammenliefen, meldete im Laufe des Tages die Festnahme von insgesamt 132 Tatverdächtigen.
Ermittler führten in verschiedenen Ländern Razzien durch, unter anderem in Italien, Deutschland, Portugal, Belgien und Spanien. In Deutschland waren Kräfte aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland an dem Einsatz beteiligt.
Insgesamt mehr als 1000 Einsatzkräfte, darunter Spezialeinsatzkommandos und Diensthundeführer, durchsuchten mehr als 60 Objekte. Die Nachrichtenagentur dpa meldete die Verhaftung von etwa 30 Tatverdächtigen.
In fünf Bundesländern durchsuchten die Ermittlerinnen und Ermittler mehr als 60 Objekte.
Offenbar Verbindungen zu ‘Ndrangheta
Im Fokus der Ermittlungen, die rund vier Jahren andauerten, sollen nach Informationen von MDR und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"S (FAZ) hauptsächlich drei mutmaßliche kriminelle Gruppierungen stehen, die offenbar Verbindungen zu ‘Ndrangheta-Clans aus dem kalabrischen Dorf San Luca haben sollen. Sie sollen Kokain aus Südamerika in großen Mengen nach Europa und nach Australien importiert haben.
Dafür sollen manche Tatverdächtigen laut Ermittlern mit dem Primeiro Comando da Capital in Brasilien, mit dem Clan del Golfo in Kolumbien sowie mit einer albanisch-stämmigen Gruppierung in Ecuador zusammengearbeitet haben.
Ermittler gehen außerdem dem Verdacht nach, dass die Tatverdächtigen die illegalen Einnahmen aus dem Drogenhandel vor allem in Deutschland und Portugal gewaschen hätten, durch Investitionen unter anderem in Restaurants, Eisdielen, Immobilien und Autowaschanlagen.
Normale Geschäftstätigkeit als Tarnung
Oliver Huth, Beamter bei Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen und Leiter der Ermittlungskommission "Eureka" in Deutschland, sagte bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf: "Sie haben Eiskugeln verkauft, Espresso. Das sind tägliche Handlungen des Lebens. Gleichwohl ist es uns gelungen, eine Beweiskette nachzuzeichnen, dass dieses tägliche Handeln der ‘Ndrangheta am Ende des Tages zugutekommt".
Spur führt nach Thüringen
Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen mit mutmaßlichen Verbindungen zur ‘Ndrangheta-Clans aus San Luca in Verdacht stehen, Gelder aus illegalen Aktivitäten in Deutschland zu waschen. Nach Informationen von MDR und FAZ soll es bei "Eureka" zahlreiche Überschneidungen zu einem Verfahren geben, das bereits Anfang der 2000er-Jahre in Thüringen geführt wurde.
Deutsche und italienische Ermittler waren im Laufe des damaligen "Fido"-Verfahrens dem Verdacht nachgegangen, dass zahlreiche mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitgliedern aus San Luca Gelder aus dem illegalen Drogenhandel vorrangig durch Investitionen im Gastronomiebetrieb in Thüringen und Sachsen gewaschen hätten.
Als Kellner mehrere Restaurants eröffnet
Nach Informationen von MDR und FAZ sollen Ermittler mindestens drei Menschen bei "Eureka" im Fokus gehabt haben, die auch im Rahmen des "Fido"-Verfahren eine Rolle spielten. Einer von ihnen, Domenico G., zählte damals sogar zu den Hauptverdächtigen.
G. meldete sich bereits 1995 in Erfurt an und gab bei der Ausländerbehörde als Beruf Kellner an, mit einem Monatsgehalt von 2000 DM (1023 Euro). In den Jahren darauf eröffnete er mit seinen Partnern mehrere Restaurants und Eiscafés in Deutschland, später auch in Portugal.
Verfahren plötzlich eingestellt
Dass das Geld für die Investitionen tatsächlich aus illegalen Aktivitäten stammte, konnten Ermittler damals nicht beweisen. Nach zwei Jahren wurden die operativen Maßnahmen des Verfahrens auf merkwürdige Art und Weise voreilig eingestellt. In der heutigen Pressekonferenz in Reggio Calabria bezeichnete Chef-Staatsanwalt Giovanni Bombardieri G. als "Schlüsselfigur einer Reihe von Investitionen in Portugal".
Aus Ermittlungsunterlagen, die MDR und FAZ vorliegen, geht außerdem hervor, dass sich die heutige Operation gegen zwei weitere Menschen richtet, die ebenso im Rahmen der "Fido"-Ermittlungen eine Rolle spielten. So sollen Ermittler in Erfurt einen bekannten italienischen Gastronomen verhaftet haben, dessen Namen bereits im "Fido"-Verfahren auftauchte. Gegen den Gastronomen lag ein EU-Haftbefehl aus Italien vor.
Geldwäsche in Autowaschanlage?
In München soll ein Verwandter jenes Gastronomen im Fokus der Ermittler gestanden haben, der zu "Fido"-Zeiten in Erfurt lebte und sich ebenso im engen Kreis der damals Tatverdächtigen bewegte. Dem Mann sollen drei Autowaschanlagen in München indirekt zuzuordnen sein, die Ermittler als Teil des mutmaßlichen Geldwäschesystems ansehen.
Nachdem MDR und FAZ Anfang 2021 erstmals das Verfahren"Fido" und das merkwürdige Ende dessen operativer Maßnahmen öffentlich gemacht hatten, setzte der Landtag in Thüringen einen Untersuchungsausschuss ein. Die Abgeordneten gehen der Frage nach, warum das Verfahren damals eingestellt worden war. Außerdem wollen sie klären, ob die mutmaßlichen ‘Ndrangheta-Mitglieder Kontakte zur Politik und Institutionen in Thüringen pflegten.
Verbindungen in Politik werden untersucht
"Die heutigen Nachrichten machen deutlich: Unser Ausschuss ist brandaktuell", sagte Madaleine Henfling, Obfrau im Untersuchungsausschuss der Grünen-Landtagsfraktion. Henfling, die einen "enormen Nachholbedarf" bei der Bekämpfung der ‘Ndrangheta in Deutschland sieht, fordert nun auch in den anderen betroffenen Bundesländern und im Bund ähnliche Untersuchungsausschüsse wie in Thüringen.
Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass verschiedene Clans aus San Luca in Deutschland insgesamt sechs Ortszellen, sogenannte Locali, unterhalten würden. Das geht aus einem vertraulichen Dokument hervor, das MDR und FAZ einsehen konnten.
Diese Ortszellen sollen sich demnach unter anderem in München, in Erfurt und im Saarland befinden - drei der Orte, an denen Ermittler im Einsatz waren. Lediglich das Landeskriminalamt Thüringen hatte auf Anfrage die Existenz eines "Locale" in Erfurt bestätigt.