Eingang des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin
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"Pentagon-Leaks" US-Spionage gegen das Verteidigungsministerium?

Stand: 27.04.2023 05:30 Uhr

Ein streng geheimes Dokument aus den "Pentagon-Leaks" legt nahe, dass ein US-Geheimdienst das Bundesverteidigungsministerium ausspionierte.

Von Von Georg Heil, RBB

Es ist ein unscheinbarer gelber Zettel, der die Spionage der USA gegen das Bundesverteidigungsministerium zu belegen scheint. Das Dokument, das der Wochenzeitung "Die Zeit" und dem ARD-Politikmagazin Kontraste vorliegt, stammt aus den sogenannten "Pentagon-Leaks", einem Konvolut von US-Geheimdienstberichten, die im Internet kursieren und von einem 21-jährigen US-Nationalgardisten veröffentlich worden sein sollen.

"Das deutsche Verteidigungsministerium lehnt eine vertiefte Kooperation mit der Volksrepublik China ab, bis China transparenter wird", so die deutsche Übersetzung der englischen Überschrift eines Kurzberichts, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem US-Geheimdienst stammt.

Die Meldung zum deutschen Verteidigungsministerium soll nach kurzer Zeit wieder aus dem Netz verschwunden sein. Kontraste und "Die Zeit" haben das Dokument ausgewertet und halten es für authentisch, eine abschließende Bestätigung der Echtheit ist jedoch nur US-Regierungsstellen möglich. Eine Anfrage an den US-Geheimdienstkoordinator blieb zunächst unbeantwortet. Der mutmaßliche Spionage-Fall beschäftigt nach Kontraste- und "Zeit"-Informationen inzwischen deutsche Sicherheitsbehörden.

Brisant an dem Dokument ist weniger der Inhalt als die Tatsache, dass die USA offenbar immer noch deutsche Regierungsstellen ausspionieren. Schon 2013 war im Rahmen der "NSA-Affäre" bekannt geworden, dass die USA in großem Stil in Deutschland abgehört und mitgelesen haben.

Screenshot eines Dokuments, das Spionage durch einen US-Geheimdienst im Bundesverteidigungsministerium belegen könnte.

Screenshot eines Dokuments, das Spionage durch einen US-Geheimdienst im Bundesverteidigungsministerium belegen könnte.

Streng geheimes Dokument

Über der Meldung findet sich ein Sammelsurium aus Abkürzungen, so bspw. "TS" für die Geheimhaltungsstufe top secret, streng geheim. Als Quelle wird "SI" für signal intelligence, also Fernmeldeaufklärung genannt. Somit könnte die Spionage etwa durch eine abgefangene E-Mail oder durch Hacking der IT-Systeme des Verteidigungsministeriums erfolgt sein.

Die US-Geheimdienstler berichten in ihrer Meldung von einem Treffen am 20. Februar in Berlin: Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums besprachen sich mit einer Delegation der chinesischen Streitkräfte. In Regierungskreisen wurde der Termin bestätigt. Demnach fand das Treffen im Rahmen der üblichen Militärdiplomatie und in Abstimmung mit anderen Ressorts der Bundesregierung statt.

Auf deutscher Seite nahm unter anderem der zuständige Unterabteilungsleiter "Politik II" teil. Gesprochen wurde etwa über den Krieg in der Ukraine, die Spannungen in Bezug auf Taiwan und eine militärische Unterstützung der Vereinten Nationen. Die deutsche Seite soll dabei klar gemacht haben, dass die Chinesen transparenter werden müssten, bevor es eine vertiefte Kooperation geben könne.

Chinesische "Charme-Offensive"

Die Deutschen, so heißt es in dem mutmaßlichen US-Geheimdienstbericht, seien sich bewusst, dass die Chinesen im Rahmen einer Europa-Reise angesichts verstärkten politischen Drucks aus den USA eine "Charme-Offensive" führten. Weiter heißt es, die Deutschen sähen ihre Position als Bestätigung der deutschen Solidarität mit den USA. Das Absurde an der mutmaßlichen US-Spionage: Die US-Botschaft wurde nach Recherchen von Kontraste und "Zeit" sogar ganz offiziell von deutscher Seite über das Treffen mit den Chinesen unterrichtet.

Nach Informationen von "Zeit" und Kontraste liegt das US-Dokument auch der Bundesregierung vor. Wie sie auf die mutmaßliche Spionage des Verbündeten reagieren wird, scheint indes noch unklar. In Berlin will man dies nach "Zeit"- und Kontraste-Informationen davon abhängig machen, wie sich die US-Regierung zu dem Vorgang verhält.

Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewusst, dass Deutschland von US-Geheimdiensterkenntnissen abhängig ist, zudem versucht man angesichts des Ukraine-Kriegs das Verhältnis zu den USA möglichst nicht zu belasten.

"Abhören unter Freunden geht gar nicht"

"Das ist ein relevanter Vorgang, und es gilt der Satz von Frau Merkel: Abhören unter Freunden geht gar nicht", kommentiert der Innenpolitiker Konstantin von Notz von den Grünen den Vorgang. Von Notz betont aber, man müsse zunächst einmal mit den Amerikanern sprechen und klären, wie es zu der mutmaßlichen Spionage kommen konnte.

Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) hält die mutmaßliche Spionage der USA gegen die Bundesrepublik für wenig überraschend, sie habe Tradition. Gressel selbst traf am Tag nach dem Termin im Verteidigungsministerium die mutmaßlich selbe chinesische Delegation.

"Hier wird von den Amerikanern eine Information als 'top secret' eingestuft, die man auch hätte bekommen können, wenn man bei der Stiftung Wissenschaft und Politik anruft oder wenn man ganz freundlich im Verteidigungsministerium nachgefragt hätte", so Gressel zu Kontraste und "Zeit".

Experte fordert "Zeitenwende" auch bei Spionage-Abwehr

Gressel hält es jedoch für problematisch, dass sich Deutschland, das er als "nachrichtendienstlichen Nichtschwimmer" sieht, nicht besser schützt. Schließlich seien Informationen, die die Amerikaner ausspionieren können, auch potenziell für weniger freundlich gesinnte Nationen wie Russland oder China auszuspionieren.

"Die Frage der nachrichtendienstlichen Abwehr ist in der Zeitenwende-Diskussion noch nicht angekommen. Dass auch die deutsche Öffentlichkeit, etwa wenn es dann wirklich um die Befugnisse eigener Nachrichtendienste, um die Verbesserung der Abwehrmöglichkeiten auch in Deutschland geht, den eigenen Behörden auch wirklich vertraut. Ich hoffe, wir kommen dahin. Aber wir sind noch lange nicht da", so Gressel.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 27. April 2023 um 08:30 Uhr.