Legalisierung Das drohende Cannabis-Chaos
Eine Regelung im Cannabisgesetz sieht vor, dass Zehntausende Strafen erlassen werden müssen. Die Justizministerien der Länder laufen dagegen Sturm. Auch wer den Anbau kontrollieren soll, ist völlig ungeklärt.
Am 22. März soll der Bundesrat über das geplante Cannabisgesetz der Ampelregierung abstimmen. Doch aus den Reihen der Justizminister gibt es Kritik. Mit dem Gesetz werde für die Justiz ein riesiges "Bürokratiemonster" geschaffen, sagte Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Das Vorgehen der Bundesregierung nennt sie vor diesem Hintergrund "absolut unverantwortlich".
Das Cannabisgesetz sieht vor, dass noch nicht vollständig vollstreckte Strafen wegen Cannabisdelikten, die künftig nicht mehr strafbar wären, erlassen werden müssen. Badenberg fordert, diese Amnestieregelung zu streichen oder den Justizbehörden eine großzügige Übergangszeit einzuräumen, um eine Vielzahl betroffener Fälle zu bearbeiten.
Um wie viele es dabei insgesamt geht, ließ sich bislang nicht ermitteln. Aussagen von Justizministerien der Länder auf Anfrage von Kontraste legen jedoch nahe, dass es bundesweit wohl um mindestens Zehntausende Verfahren geht.
Bereits verhängte Strafen könnten erlassen werden
Die Justiz soll jene Vollstreckungsverfahren einzeln prüfen. So müsste beispielsweise die Berliner Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben rund 3.500 Verfahren darauf untersuchen, ob rechtskräftige Urteile ganz oder teilweise unter die Amnestieregelung fallen.
"Man muss schauen, welche Akten einschlägig sein könnten. Dann müssen diese Akten aus den Archivräumen, aus den Kellerräumen erst mal zusammengetragen werden und dann müssen sie manuell gesichtet werden", sagte Badenberg.
Wer wegen eines Cannabisdelikts im Gefängnis sitze, müsse womöglich sofort entlassen werden. Zu prüfen sei aber auch: "Stand nur der Vorwurf des Cannabisbesitzes im Raum oder standen auch andere Straftaten im Raum, wie beispielsweise Diebstahl, Untreue, Hehlerei? Da muss eine neue Strafe festgesetzt werden."
Probleme "hausgemacht"?
Andreas Gerhold vom "Cannabis Social Club Hamburg" kann die Kritik der Justizbehörden nicht nachvollziehen. Das Problem der Staatsanwaltschaften sei hausgemacht, erklärte er im Interview mit Kontraste: "Seit gut zwei Jahren ist der Gesetzgebungsprozess im Gange und jeder weiß, was da kommt."
Die Staatsanwaltschaften hätten die Fälle also längst vorsortieren können. "Es kann doch in einem Rechtsstaat nicht wirklich Aussage von Juristen sein, dass es ihnen zu viel Arbeit macht, Strafen auszusetzen, die politisch als ungerecht erkannt worden sind und für die es eine Gesetzesänderung gegeben hat”, sagte Gerhold.
Diese Position vertritt auch die als liberal geltende "Neue Richter*innenvereinigung". Schon im September des vergangenen Jahres sei der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf befasst gewesen. "Dass die Regelung organisatorischen Aufwand für die Justiz bedeuten würde, hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt. Es wäre also möglich - und geboten - gewesen, Vorkehrungen für den Gesetzeserlass zu treffen", erklärt sie in einer Stellungnahme.
Zudem dürften die mangelnde Digitalisierung der Verfahrenspflege und die unzureichende Erfassung der Gründe von Verurteilungen, die nun zum erheblichen Mehraufwand bei der Prüfung der Vollstreckungsverfahren führen sollen, nicht zulasten der Verurteilten gehen.
Das Gesundheitsministerium weist in einer Stellungnahme an die Bundesländer die Kritik der Justizbehörden zurück und geht von deutlich weniger Fällen aus, die es zu überprüfen gelte.
Länder befürchten Mehraufwand
Ein erklärtes Ziel der Ampel-Regierung ist es, die Behörden durch das neue Gesetz zu entlasten. Eine Kontraste-Abfrage bei allen Justizministerien der Länder ergab jedoch, dass nur Bremen von einer langfristigen Entlastung ausgeht. So schrieb eine Sprecherin der Justizsenatorin Claudia Schilling von der SPD: "Wir gehen davon aus, dass es nach der Abarbeitung der Rückwirkungsproblematik deutlich weniger Verfahren gegen Cannabis-Konsument:innen geben wird als bisher."
Acht Landesjustizministerien teilten Kontraste mit, sie könnten den langfristigen Aufwand noch nicht abschätzen. In Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz rechnet man indes mit einer andauernden Mehrbelastung durch das Cannabisgesetz.
Berlins Justizsenatorin Badenberg beklagte gegenüber Kontraste dessen kleinteilige Regelungen. So müssten in der Öffentlichkeit Konsumierende einen Abstand von 100 Metern etwa zu Eingängen von Schulen und Kitas halten. Orte, an denen in dicht besiedelten Städten gekifft werden dürfte, wären eher die Ausnahme als die Regel. Auch die Einhaltung dieser Abstände zu kontrollieren, wäre Aufgabe der Behörden.
Ungeklärte Zuständigkeit
Der Verkauf von Cannabis soll auch mit dem neuen Gesetz verboten bleiben. Allerdings soll es möglich sein, dass sogenannte Anbauvereinigungen gemeinschaftlich Cannabis anbauen und an ihre Mitglieder abgeben können. Die Vereinigungen müssten dafür eine Lizenz beantragen. Möglich sein soll das erst ab Juli, obwohl das Gesetz nach derzeitigem Stand bereits ab April in Kraft treten soll.
Für die Lizenzvergabe und Kontrolle der Anbauvereinigungen sollen laut Gesetz die Länder zuständig sein. Auf Anfrage von Kontraste an die Senats- und Staatskanzleien der Länder zeigt sich: Die Zuständigkeiten sind noch nicht geklärt. Die Landesregierungen sprechen vage von laufenden Abstimmungen in den Ressorts oder halten sich bedeckt, da das Gesetz noch nicht in trockenen Tüchern sei.
Einzig Bayern wird in seiner Antwort sehr konkret: Man wolle das Gesetz sehr restriktiv vollziehen und arbeite daher an einer zentralen Kontrolleinheit.
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