Studie zu Reichsbürgern Noch im hohen Alter gewaltbereit
Üblicherweise lässt bei Extremisten im Alter die Gewaltbereitschaft nach. Bei Reichsbürgern gilt das nicht - das zeigt eine Studie, die auch auch auf fehlende Präventionsangebote verweist.
Im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen löste ein 59-jähriger Reichsbürger Anfang Mai einen größeren Polizeieinsatz aus. Auf der Flucht vor der Polizei rammte er mit seinem Auto einen Streifenwagen und gefährdete mehrere Beamte. Im Vorfeld hatte er den Beamten mit einem "Militäreinsatz" gedroht.
Das ist kein Einzelfall: Reichsbürger halten Gewalt gegen Staatsdiener für legitim und setzen sie auch im fortgeschrittenen Lebensalter ein. Statt ruhiger zu werden, "treten extremistische Radikalisierung sowie Ordnungswidrigkeiten und teils schwere Straftaten überwiegend in vergleichsweise hohem Alter auf", heißt es in einer Studie. Erstellt wurde sie vom Kompetenzzentrum gegen Extremismus (konex) des Innenministeriums Baden-Württemberg.
Gewaltexplosion jederzeit möglich
Die Forscherin Verena Fiebig und der Wissenschaftler Daniel Köhler werteten rund 7000 Presseartikel über Reichsbürgern seit 2003 aus. Ein Ergebnis: Die Lebensläufe von Gewalttätern und Nicht-Gewalttätern ähneln sich stark. Das heißt, es gibt keine Muster, nach dem die einen gewalttätig werden und die anderen nicht. "Es scheint, als könne jeder Anhänger potenziell gewalttätig werden", schreiben die Wissenschaftler.
Bei Reichsbürgern wurden zahlreiche Waffen beschlagnahmt.
Als rechtsextrem eingestufte Reichsbürger neigen demnach sogar etwas weniger zu Gewalt als der Rest der Szene. Die Wissenschaftler schließen daraus: Reichsbürger finden in ihrem eigenen ideologischen Gedankengebäude ausreichend Legitimation für Gewalt. Sie brauchen keinen ideologischen "Brandbeschleuniger" von außen.
Erstmals empirischer Einblick
Seit dem Mord an einem Polizisten in Georgensmünd im Jahr 2016 steht das Gewaltpotential der derzeit geschätzt 19.000 Reichsbürger auf der politischen Agenda. Doch bislang mangelt es an Einblicken in diese Parallelwelt. Die Studie gibt einen Einblick.
Unter den knapp 500 Reichsbürgern, die von ihr erfasst wurden, sind 86 Prozent Männer. Das Durchschnittsalter der wegen Gewalt aufgefallenen Täter liegt bei etwa 50 Jahren. Der jüngste erfasste gewaltbereite Reichsbürger war zum Tatzeitpunkt 21 Jahre, der älteste 77 Jahre alt. Reichsbürger scheinen isolierter zu leben als der Durchschnitt der Bevölkerung, gleichwohl gibt es auch Ehepaare oder Väter und Söhne, die als gewaltbereit in Erscheinung treten.
In Georgsmünd erschoss ein Reichsbürger 2016 einen Polizisten.
Prävention - Fehlanzeige
Erledigt sich diese Spielart des Extremismus wegen des hohen Durchschnittsalters in den kommenden Jahren von selbst? Die Wissenschaftler meinen: nein. Sie haben festgestellt, dass das Durchschnittsalter der erfassten Reichsbürger ab dem Jahr 2015 leicht sinkt. "Die Reichsbürgerbewegung erhält einen relativ konstanten Nachwuchs von jüngeren neuen Mitgliedern."
Es könnte sich also lohnen, über Prävention in diesem Bereich nachzudenken. Während gegen die Ausbreitung von Islamismus und Rechtsextremismus in den letzten Jahren viel Geld geflossen ist, fehlen vorbeugende Ansätze bei Reichsbürgern fast vollständig.
Phänomen lange Zeit nicht ernst genommen
Das mag damit zu tun haben, dass Reichsbürger bis zu den Schüssen von Georgensmünd lange Zeit in Sicherheitskreisen als "Reichsdeppen" nicht für voll genommen wurden. Aber auch das hohe Durchschnittsalter in der Szene mag beim Fehlen präventiver Ansätze eine Rolle spielen. Im Alter verfestigte Überzeugungen lassen sich kaum noch durch gezielte Maßnahmen auflösen.
Bei Lebenskrisen frühzeitig ansetzen
Dennoch könnte sich Prävention lohnen, meinen die Wissenschaftler. Am Beginn von Reichsbürger-Karrieren stehen oft Lebenskrisen. Menschen, die ihren Job verloren haben, als Unternehmer gescheitert oder überschuldet sind, fühlen sich von der Parallelwelt angezogen. Ihnen bietet die krude Ideologie vom illegitimen Staat Bundesrepublik die Möglichkeit, die Schuld für eigenes Scheitern anderen in die Schuhe zu schieben. Widerstand gegen Repräsentanten des Staates wird zu einer Strategie, die eigene Krise zu bewältigen.
Hier könnte Prävention "mit dem Fokus auf Schuldenberatungen und andere Hilfen, die zurück in eine finanzielle Unabhängigkeit führen", ansetzen, heißt es in der Studie.
Solche Angebote würden den in der Reichsbürger-Szene zahlreich aktiven Geschäftemachern das Handwerk erschweren. "Für Milieumanager dienen die Ängste der Menschen sowie gesellschaftliche Krisen als Geschäftsgrundlage, um sich mit kostenpflichtigen Seminaren und Informationen zu bereichern", schreibt Verena Fiebig in der Zeitschrift "Kriminalistik". Die Rechtsextremismus-Expertin arbeitete an der konex-Studie mit. Den Profiteuren des Scheiterns das Wasser abzugraben, könnte ein Weg sein, die Reichsbürger-Szene langfristig auszutrocknen.