Ein Schild in der Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof
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Ermittlungen Will die Hamas Anschläge in Deutschland verüben?

Stand: 03.04.2024 15:34 Uhr

Im Dezember ließ die Bundesanwaltschaft vier mutmaßliche Hamas-Mitglieder festnehmen. Sie sollen geplant haben, Waffen für Anschläge auf jüdische Einrichtungen aus einem Erddepot nach Berlin zu holen. Inzwischen wurde ein Waffenlager gefunden.

Von Michael Götschenberg und Holger Schmidt, ARD-Terrorismusexperten

In den vergangenen Tagen haben deutsche Ermittler europaweit nach Waffendepots gesucht. In Polen, nahe der Grenze zu Deutschland, soll sich ein Erddepot der Hamas befinden. Gemeinsam mit der polnischen Polizei unternahmen die Ermittler aus Deutschland mehrere Versuche, es zu finden. Erfolglos.

Vor ihnen hatten bereits vier Männer vergeblich danach gesucht: Die 45- und 41-jährigen Palästinenser Abdelhamid Al A. und Ibrahim El-R., beide im Libanon geboren, sowie der 34-jährige Ägypter Mohamed B. und der 56-jährige niederländische Staatsangehörige Nazih R.

Die Männer leben seit vielen Jahren in Deutschland, Nazih R. in den Niederlanden. Ausgestattet mit Schaufeln und Campingausrüstung waren sie der Bundespolizei nach der Suche bei der Einreise von Polen nach Deutschland aufgefallen. Was sie denn in Polen gemacht hätten, fragten die Beamten. Spazierengehen und Tanken war die Antwort. Den Bundespolizisten fiel die erdverdreckte Kleidung der Männer auf und, dass sie kurz nach der Kontrolle schon wieder tankten.

Anschlagsvorbereitungen

Die Bundesanwaltschaft rechnet alle vier Männer einem Terrorkommando der Hamas zu und ließ sie am 14. Dezember festnehmen. Seitdem sitzen die vier in Untersuchungshaft. Sie sollen Kontakt zu höchsten Kreisen der Hamas haben. Nazih R., der Schwager von Al-A., war damals in Rotterdam festgenommen worden. Er wurde nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio und SWR vor Ostern diskret nach Deutschland überstellt und ebenfalls dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt. Damit sitzen alle vier Männer in Deutschland in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen dauern an.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa vorbereitet haben. Ihre Befehle sollen sie von führenden Hamas-Kommandeuren im Libanon erhalten haben. Insbesondere Abdelhamid Al A. soll deshalb wiederholt zwischen Berlin und Beirut unterwegs gewesen sein - konspirativ, mit Umwegen über mehrere europäische Flughäfen.

Am Grab des Kommandeurs

Wie eng die Verbindung zur Kommandoebene des militärischen Arms der Hamas offenbar war, machen Fotos und Videos von der Beerdigung des stellvertretenden Kommandeurs der "Qassam-Brigaden" der Hamas, Khalil Hamed Al Kharraz, deutlich. Er war im November vergangenen Jahres getötet worden. Auf den Fotos soll nach den Erkenntnissen deutscher Ermittler Abdelhamid Al-A. als einer der Männer zu erkennen sein, die eng an der Seite des Sarges marschierten. Als der Leichnam am Ende der Prozession aus dem Sarg genommen und nur mit einem Tuch verhüllt in das Grab gelegt wurde, soll Al. A. einer der Männer gewesen sein, die selbst Hand anlegten.

Der 45-Jährige ist laut Vorwurf der Ermittler einer derjenigen, die seit Frühjahr 2023 - also schon deutlich vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober - nach den Waffendepots gesucht haben. Am 5. Oktober, also nur zwei Tage bevor die Hamas ein Blutbad in Israel anrichtete und Hunderte Geiseln nahm, soll er von Beirut nach Deutschland gereist sein. Am nächsten Tag soll Al-A. dann gemeinsam mit Mohamed B. und Nazih R. erstmals nach Polen gefahren sein, um dort nach dem Erddepot zu suchen.

In den folgenden Wochen sollen sie dann mehrere Versuche in unterschiedlicher Zusammensetzung unternommen haben, das Depot in Polen zu finden. Planten sie eine Fortsetzung der Attacken auf Juden in Deutschland? Das ist die Sorge des Generalbundesanwalts. Aus der Behörde heißt es allerdings bei allen Nachfragen lediglich: kein Kommentar. Auch die Beschuldigten schweigen offenbar. Der Bonner Strafverteidiger Mutlu Günal, der einen der Männer verteidigt, wollte sich ebenfalls nicht zu den Vorwürfen äußern.

Beerdigung von Khalil Hamed Al Kharraz am 24.11.2023 in einem libanesischen Flüchtlingslager  (Quelle: X)

Beerdigung von Khalil Hamed Al Kharraz am 24.11.2023 in einem libanesischen Flüchtlingslager. Quelle: X

Schneller Zugriff

Mitte Dezember entschieden sich die deutschen Ermittler jedenfalls, schnell zuzugreifen. Sie befürchteten, Al A. könnte erneut ausreisen. Einen konkreten Anschlagsplan fanden die Ermittler des Bundeskriminalamts bei der Auswertung der Datenträger, die bei den Durchsuchungen beschlagnahmt worden waren, nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio und SWR nicht.

Von der Existenz des Erddepots waren sie jedoch überzeugt und begannen selbst mit der Suche. Das mutmaßliche Depot in Polen konnte bis heute nicht gefunden werden. In Bulgarien jedoch wurden sie mit Hilfe der dortigen Polizei fündig: Sie stießen auf Waffen und Munition, nicht sehr tief vergraben und durch einen Alukoffer und einen Plastiksack vor Nässe geschützt.

Waffen und Munition aus einem Erddepot in Bulgarien, dass deutsche Ermittler der Hamas zuordnen (Quelle: ARD)

Waffen und Munition aus einem Erddepot in Bulgarien, dass deutsche Ermittler der Hamas zuordnen. Quelle: ARD

Hinweis aus Israel

Den Ermittlern bereitet das schlaflose Nächte, doch überraschend kam es nicht: Der erste Hinweis auf die Männer und das Depot erreichte die deutschen Sicherheitsbehörden von einem israelischen Geheimdienst. Darin soll die Rede von bereits seit Längerem bestehenden Waffendepots der Hamas gewesen sein. Doch warum ausgerechnet in Osteuropa, wo die Hamas nach den bisherigen Erkenntnissen über keinerlei Strukturen verfügt? Außerdem verändern Waffendepots der Hamas in Europa völlig das Bild, das man jahrelang von den Hamas-Aktivitäten hierzulande hatte.

Wenn es um die Hamas-Anhänger in Deutschland ging, dann war die Einschätzung der Sicherheitsbehörden über viele Jahre unverändert: "Westliche Staaten wie Deutschland werden von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet", heißt es im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022, "in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten". Diese Einschätzung hat sich seit Ende des vergangenen Jahres geändert und viel spricht dafür, dass der Strategiewechsel schon lange vor dem Oktober 2023 begonnen hat und die Gruppe auch bereit ist, Anschläge in Deutschland und Europa durchzuführen.

Fest steht, dass die Ermittlungen gegen die vier Männer auf eine Anklage zusteuern. Es wäre das erste Mal, dass Hamas-Anhänger in Deutschland wegen der Vorbereitung eines Anschlags angeklagt würden. Auch wenn die vier Männer offenbar noch keinen konkreten Anschlagsplan hatten: Die deutschen Sicherheitsbehörden sind höchst alarmiert. Die Gefahr, die von der Hamas in Deutschland ausgeht, muss neu bewertet werden.

Holger Schmidt, SWR, tagesschau, 03.04.2024 15:42 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 03. April 2024 um 17:09 Uhr.