Corona-Pandemie Jeder Fünfte soll Soforthilfen zurückzahlen
Mehr als jeder fünfte Selbstständige oder Kleinunternehmer, der Corona-Soforthilfen erhalten hat, soll diese ganz oder teilweise zurückzahlen. Das ergeben Recherchen von WDR, NDR und SZ. Mehrere tausend Betroffene klagen dagegen.
Die Corona-Soforthilfe war im März 2020 die erste Unterstützung, die die Bundesregierung Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmern in der Pandemie gewährte. Denn die Betreiber von Bars und Clubs mussten ihr Geschäft ebenso einstellen wie viele Kosmetikstudios oder Friseursalons.
Etwa 13 Milliarden Euro wurden damals an rund 1,8 Millionen Betroffene ausgeschüttet. Dazu kamen in den meisten Bundesländern noch Landesmittel von insgesamt mehr als drei Milliarden Euro. Die Höhe der Ausschüttungen variierten von Bundesland zu Bundesland. Im Schnitt erhielt etwa jeder Antragsteller in Thüringen rund 6.000 Euro Soforthilfe, in Rheinland-Pfalz 7.800 Euro und in Nordrhein-Westfalen 10.500 Euro.
Hohe Zahl an Rückforderungen
Doch auch vier Jahre später kann das Bundeswirtschaftsministerium noch immer nicht sagen, wie viele dieser Zahlungen damals zu Recht flossen. Denn erst Ende 2025 sollen die Schlussberichte mit den abschließenden Zahlen zu den Corona-Soforthilfen aus den Ländern vorliegen, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt. Schon jetzt ist klar, dass in mehr als 400.000 Fällen die Betroffenen die Gelder ganz oder teilweise zurückzahlen sollen, oder dies schon getan haben. Das ergab eine Umfrage von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" unter allen 16 Landesregierungen. Und es könnten weitere Rückforderungen auf Empfänger zukommen.
Mehr als vier Jahre ist es her, da erreichte die erste Corona-Welle Deutschland. Als der Bund noch im ersten Lockdown die "Corona-Soforthilfe" auf den Weg brachte, sollte das Verfahren möglichst unbürokratisch verlaufen, die Gelder schnell ausgezahlt werden. Damals hieß es, das Geld müsse nicht zurückgezahlt werden, wenn die Anforderungen erfüllt wären. Wer einen Antrag stellte, musste eine Existenzbedrohung beziehungsweise einen Liquiditätsengpass, bedingt durch Corona, versichern.
Mehr als 5.000 Klagen Betroffener
Marion Alemeier ist Friseurin in Siegburg in Nordrhein-Westfalen und erinnert sich noch an diese Zeit. Sie musste ihren Laden schließen, für mehrere Wochen. Trotzdem war Alemeier damals noch relativ entspannt, erzählt sie. Als sie den Antrag stellte, sei sie davon ausgegangen, dass sie den Betrag nicht zurückzahlen müsse. In den Tagen und Wochen darauf hätten sich die Bedingungen immer wieder verändert, so Alemeier. Schließlich bekam sie im Dezember 2021 einen Bescheid und sollte Geld zurückzahlen. Sie klagte dagegen und gewann vor Gericht. Insgesamt haben mehr als 5.000 Betroffene bundesweit gegen Rückforderungen geklagt, etwa die Hälfte der Verfahren ist noch offen.
Inzwischen schätzt das Bundeswirtschaftsministerium, dass rund fünf Milliarden Euro an Corona-Soforthilfen zu viel ausgezahlt wurden. Sei es, weil Antragsteller nach Prüfung gar keine Berechtigung auf die Hilfen hatten, oder weil bei berechtigten Anträgen zu viel ausgezahlt worden war.
Kritik des Bundesrechnungshofs
In einer Mitteilung an das Ministerium kritisiert der Bundesrechnungshof das Vorgehen, spricht von "unklaren Anspruchsvoraussetzungen" und kritisiert, dass das Ministerium ganz am Anfang nicht festgelegt habe, "welcher Sach- und Finanzaufwand im Einzelnen berücksichtigt werden konnte".
Erst einige Tage nach dem Anlaufen der Auszahlungen wies das Wirtschaftsministerium die Länder demnach darauf hin, dass klar festgelegt sein müsse, wer überhaupt antragsberechtigt ist. Erst nachdem viele Anträge bereits gestellt waren, konkretisierten viele Länder die Bedingungen dafür, wer Corona-Soforthilfe bekommen soll.
Online-Informationen mehrfach geändert
Reiner Hermann, Vorsitzender der Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe, ist selbst Kleinunternehmer. Er fordert eine faire Berechnung für die Antragsteller: "Wir haben geklagt, um die Berechnung so machen zu können, wie sie ursprünglich offeriert war oder wie sie der normale Mensch als ungeübter Leser, als Nichtjurist, verstehen musste, um da überhaupt mal Klarheit reinzubringen."
Das Oberverwaltungsgericht NRW hält in einem Urteil fest, dass in Nordrhein-Westfalen die Online-Informationen "Fragen-und-Antworten" zu den Corona-Soforthilfen zwischen dem 25. März und dem 31. Mai 2020 15 Mal geändert worden waren. Unter anderem war dort zunächst zu lesen, dass die Soforthilfe auch dazu diene, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt von Solo-Selbstständigen im Haupterwerb zu finanzieren. Drei Tage später war der Absatz, laut Urteilsbegründung, verschwunden.
Das NRW-Wirtschaftsministerium bestätigte auf Anfrage, dass es mehrere Änderungen gegeben habe.
Große Unterschiede zwischen den Ländern
Das Geld für die Corona-Soforthilfe wurde damals zum größten Teil vom Bund bereitgestellt. Die Länder sollten die Programme eigenständig abwickeln und die Gelder auszahlen. Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung ergeben, dass sich die Bewilligung der Soforthilfen in den Ländern stark voneinander unterscheiden. So wurden in Rheinland-Pfalz 63 Prozent aller Soforthilfe-Anträge genehmigt, in NRW 82 Prozent und in Sachsen 94 Prozent.
Auch was die Rückforderungen der Hilfen angeht, gibt es enorme Unterschiede. So hat Berlin bisher nur in fünf Prozent der Fälle die bewilligten Corona-Soforthilfen ganz oder teilweise widerrufen. In Nordrhein-Westfalen wurden mehr als 50 Prozent aller Antragsteller zu Rückzahlungen aufgerufen, in der Regel geht es hier um Teilbeträge. In nur einem Prozent der Fälle, gibt NRW auf Anfrage an, wurden Bewilligungsbescheide ganz widerrufen "etwa weil sich im Nachhinein herausstellte, dass keine Antragsberechtigung vorlag".
Bund will einheitliche Lösung
Die großen Unterschiede zwischen den Ländern liegen auch daran, dass verschiedene Verfahren zum Einsatz kamen. So zahlte NRW anfangs pauschal an alle Antragsteller den Höchstbetrag aus. Erst im Nachhinein musste dann jeder nachweisen, dass er einen Anspruch auf das Geld hatte. Berlin dagegen setzte zunächst auf die Freiwilligkeit der Betroffenen.
Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass die Hilfe-Empfänger anfangs nur zu einer "Selbstüberprüfung" aufgefordert wurden und nur dann Geld zurückzahlen sollten, wenn sie selbst festgestellt hatten, dass sie zuvor zu viel erhalten hatten. Dieser Überprüfung hat inzwischen auch das Bundeswirtschaftsministerium widersprochen. Der Bund strebe für alle Länder einen "vergleichbaren Maßstab" für die Rückforderungen an, "hierzu ist der Bund mit dem Land Berlin im Austausch", teilt Robert Habecks Ministerium mit.
Rückforderungen noch gerechtfertigt?
Bisher liegt dem Bundeswirtschaftsministerium nur vom Land Brandenburg eine abschließende Auswertung der Corona-Soforthilfen vor. Der Bundesrechnungshof kritisiert: "Je länger die Verfahren zeitlich auseinanderliegen, umso stärker fällt ein möglicher Vertrauensschutz der Begünstigten ins Gewicht." Die Frage ist, ob der Bund nach so langer Zeit noch Rückforderungen stellen kann oder sich die Betroffenen nicht darauf verlassen können, dass sie das Geld zu Recht behalten können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die gewährten Leistungen bereits ausgegeben wurden.
Von den vom Wirtschaftsministerium geschätzten fünf Milliarden Euro zu viel gezahlter Corona-Soforthilfen wurden rund 3,5 Milliarden Euro bereits zurückgezahlt. Mehr als 1,5 Milliarden Euro sind aber noch offen. Das Ministerium gibt dazu an, man habe bereits vor dem Start der Antragstellung im März 2020 durch ein Eckpunktepapier die Förderkonditionen des Bundesprogramms transparent kommuniziert. Die Regelungen der Verwaltungsvereinbarung und ergänzenden Vollzugshinweise seien während des gesamten Förderzeitraums nicht verändert worden. Aufgrund der landesspezifischen Umsetzung sei die Bereitstellung der Informationen, Antragsunterlagen und Kommunikation durch die Länder bzw. Bewilligungsstellen erfolgt.
In Baden-Württemberg hob vergangene Woche das Verwaltungsgericht Freiburg in fünf von sechs Fällen von Musterverfahren Rückforderungsbescheide auf. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In Nordrhein-Westfalen waren in drei Musterverfahren mehrere Rückforderungsbescheide vom Oberlandesgericht bereits 2023 für rechtswidrig erklärt worden. Das Land hatte bei der Auszahlung der Gelder bestimmte Bedingungen festgesetzt und sich bei der Rückforderung aber nicht an diese gehalten, so das Gericht. In anderen Fällen entschieden Gerichte zugunsten der Rückforderungen von Corona-Soforthilfen.