Machtmissbrauch an Bühnen "Eine Kultur der Angst"
Bereits 2021 gab es Vorwürfe über Machtmissbrauch an deutschen Bühnen. Zwei Jahre später hat sich offenbar wenig geändert, strukturelle Probleme sind geblieben, wie aus einer rbb-Umfrage für das ARD-Mittagsmagazin hervorgeht.
Es waren schwerwiegende Vorwürfe, die einige Angestellte des Maxim-Gorki-Theaters 2021 gegen die Intendantin des Theaters erhoben. In den Schilderungen der Betroffenen ging es damals unter anderem um verbale Gewalt und Mobbing. Die Liste der Vorwürfe war lang, ohne dass sie allerdings nachgewiesen wurden. Viele Medien beschrieben damals ein "Klima der Angst" an dem Berliner Theater.
Recherchen von rbb-Reportern im Auftrag des ARD-Mittagsmagazins deuten darauf hin, dass sich in der Wahrnehmung einiger Betroffener die Situation am Gorki Theater kaum verbessert hat und viele der damals genannten Probleme weiterhin als solche wahrgenommen werden. Auch zeigen sich Ungereimtheiten bei der Aufklärung der damaligen Vorwürfe durch den Berliner Senat.
Erneut auf die Geschehnisse am Gorki Theater aufmerksam wurde das Reporterteam im Zuge einer mehrmonatigen Recherche zu Vorwürfen des Machtmissbrauchs an deutschen Theatern. Mitarbeitende an deutschen Bühnen waren aufgefordert, sich an einer anonymen Online-Umfrage zu beteiligen. Auch wenn sie nicht repräsentativ ist, zeigt das Resultat: Die Tragweite des Problems geht weit über einzelne publik gewordene Fälle hinaus.
Vielfach Machtmissbrauch wahrgenommen
Von Ende April bis Mitte Juni beteiligten sich mehr als 750 Bühnenschaffende aus ganz Deutschland an der Umfrage. 90 Prozent gaben an, persönlich schon mit einer Form von Machtmissbrauch konfrontiert gewesen zu sein. Laut den Teilnehmenden handelte es sich dabei mehrheitlich um verbale Drohungen.
In knapp 130 Fällen wurde angegeben, dass es sich um sexualisierten Missbrauch handelte. Eine ebenfalls verbreitete Form des Machtmissbrauches sei Willkür bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
Die Umfrageteilnehmer hatten die Möglichkeit, ihre Erfahrungen in der Online-Umfrage auch auszuformulieren und dem Rechercheteam zukommen zu lassen. Mehr als 400 Bühnenschaffende schilderten detailliert ihre Erlebnisse. Einige Beispiele:
Kaum jemand traut sich mehr sich kritisch zu äußern aus Angst, das könne zur Nichtverlängerung führen. Aus demselben Grund schleppen sich die Solisten auch mit Fieber auf die Bühne.
Ich sollte als sehr junger Anfänger mit einer Hauptrolle besetzt werden, allerdings im Austausch mit zu erwartenden sexuellen Handlungen. Dies habe ich abgelehnt und wurde daraufhin mit der kleinstmöglichen Rolle besetzt.
Ich habe angesprochen, dass eine Kultur der Angst geschaffen wird, daraufhin wurde ich (…) aufs Massivste eingeschüchtert.
Angst vor Repressalien am Gorki-Theater
Über die Umfrage meldeten sich auch Mitarbeitende des Maxim-Gorki-Theaters, die von einem problembehafteten Arbeitsklima sprechen. Das Reporterteam sprach daraufhin mit mehr als einem Dutzend aktueller und ehemaliger Mitarbeitenden des Theaters. Die Aussagen lassen darauf schließen, dass sich in den vergangenen Jahren nur wenig geändert hat, was die Arbeitsatmosphäre angeht. Es herrsche nach wie vor ein Klima der Angst. Aus Angst vor Repressalien traue sich kaum jemand Kritik zu äußern.
Damit konfrontiert, verweist die Intendantin darauf, dass sie erst Stellung nehmen könne, wenn ihr die Einzelheiten der Vorwürfe bekannt seien. Außerdem verweist sie auf den Datenschutz ihrer Angestellten.
Bereits im Jahr 2019 wurde die Berliner Kulturverwaltung darüber informiert, dass sich zehn Mitarbeitende an die Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Gewalt in Berlin gewendet haben. In einem Schreiben, das dem rbb vorliegt, werden unter anderem Schilderungen von Mobbing und verbaler Gewalt skizziert.
Keiner fühlt sich zuständig
Ein vorgeschlagener Mediationsprozess zwischen der Theaterleitung und den Betroffenen sei im November 2020 durch die Vertrauensstelle Themis abgeschlossen worden. Diese widerspricht aber in einem Schreiben und teilt dem Reporterteam mit: "Wir können (…) mitteilen, dass sich die Themis Vertrauensstelle weder an Mediationsverfahren in Unternehmen/Theatern beteiligt, noch eigene Mediationen durchführt."
Einen Monat später wurde der Vertrag von Intendantin Shermin Langhoff verlängert bis ins Jahr 2026. Nachgewiesen werden die Vorwürfe nie und die Intendantin teilt uns mit, sie habe "[…] nie Einzelheiten über die 'angeblichen' Vorwürfe erfahren."
Auf Nachfrage zum Schlichtungsverfahren teilt der damalige Kultursenator Klaus Lederer mit, er könne sich nicht mehr ausreichend erinnern und habe keine Akteneinsicht mehr. Die neue Kulturverwaltung wiederum will die Arbeit der alten nicht kommentieren - keiner fühlt sich zuständig. Es gebe inzwischen aber unter anderem Schulungen für Führungskräfte, lässt der neue Kultursenat noch wissen.
Strukturelle Probleme
Die rbb-Umfrage zeigt: Es scheint strukturelle Probleme für die weite Verbreitung von Machtmissbrauch an deutschen Bühnen zu geben. Bühnenschaffende sind durch den derzeit geltenden Tarifvertrag an öffentlichen Theatern, den so genannten Normalvertrag Bühne, kaum gegen eine willkürliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschützt.
Das liegt an der Befristung der Verträge. Sie gelten in der Regel nur für wenige Spielzeiten und verlängern sich danach jedes Jahr automatisch um eine weitere Spielzeit. Das Problem aus Sicht der Bühnenschaffenden: Die Theater können den Künstlern jedes Jahr mitteilen, dass sie das Arbeitsverhältnis zum Ende der Spielzeit nicht verlängern möchten.
Voraussetzung sind eine fristgerechte Mitteilung und ein so genanntes Anhörungsgespräch. Im Anhörungsgespräch genügt es, wenn der Intendant subjektive Gründe benennt, weshalb er den Vertrag nicht verlängern will. Solange die Gründe konkret und nachvollziehbar sind, reicht das aus. Beweisen muss der Intendant sie nicht.
Keine Lösung in Sicht
Die Bühnengewerkschaft GDBA fordert eine grundlegende Reform des Tarifvertrages, inklusive der Nichtverlängerungsregel. "Im Wesentlichen bedeutet der NV Bühne eine große Schutzlosigkeit oder Planungsunsicherheit und Abhängigkeit der Beschäftigen, die mit diesem Vertrag arbeiten", sagt Raphael Westermeier, Landesvorsitzender der GDBA in Nordrhein-Westfalen, dem rbb. Er schaffe so ein großes Machtgefälle und "ermöglicht diesen Machtmissbrauch".
Der Bühnenverein, der die Theater als Arbeitgeber repräsentiert, sieht keine Nachteile darin, dass die Verträge nach jeder Spielzeit beendet werden können. Das Recht zur Nichtverlängerung folge aus der künstlerischen Freiheit, die auch im Grundgesetz verankert sei, da man sich im künstlerischen Prozess zu einer Zusammenarbeit auf Zeit verabrede. Der Tarifvertrag habe sich in den vergangenen Jahren außerdem wesentlich verändert, etwa durch den Schutz von Schwangeren im Nichtverlängerungsrecht und der Erhöhung der Einstiegsgage.
Die Tarifverhandlungen zur Arbeitszeit zwischen dem Bühnenverein als Arbeitgebervertretung der Theater und den Gewerkschaften der Kunstschaffenden (GDBA, BFFS, VdO) sind am Mittwoch allerdings gescheitert. Die Gewerkschaften fordern unter anderem eine geringere Arbeitsbelastung.