Wahlrechtsreform Neuer Gesprächsbedarf, neue Blockade
Die Chancen auf eine Entscheidung über eine Wahlrechtsreform noch vor der Sommerpause sind stark gesunken. Die SPD sieht noch Gesprächsbedarf beim Unions-Vorschlag. Gemeinsam blockieren sie den Gesetzentwurf der Opposition. Die schäumt.
Einiges deutete darauf hin, dass die Große Koalition den Dauer-Aufreger Wahlrechtsreform noch diese Woche abräumen könnte: Nach langem internen Ringen hatte die Unionsfraktion gestern Abend überraschend ihrem Chef Ralph Brinkhaus das Mandat für Verhandlungen über eine Kompromisslösung mit der SPD erteilt.
Brinkhaus verzichtet auf seinen eigenen Vorschlag, Wahlkreise zu reduzieren und Mandate zu kappen. Stattdessen soll es jetzt eine große Reform geben, die Wahlkreise von 299 auf 280 reduziert werden, plus sieben Überhangmandate, die nicht ausgeglichen werden. Und das Ganze, wenn möglich, schon jetzt und nicht erst 2025.
Der Ball liegt also beim Koalitionspartner. Doch die SPD sieht wenig Chancen auf eine schnelle Verständigung. "In dieser Woche halte ich eine Entscheidung für ausgeschlossen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider.
Ein Manko sei, dass das Unions-Modell keine feste Zielgröße für den Bundestag festlege, kritisierte Schneider. Außerdem seien rechtliche Fragen zu klären, wenn Wahlkreise verringert werden sollen. In vielen Wahlkreisen, die dann vielleicht neu zugeschnitten werden müssten, seien schon Kandidaten für die Bundestagswahl nominiert worden, sagte Schneider. Er erwarte, dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble jetzt zu einem Gespräch auch mit der Opposition einlade. Es sei wichtig, alle Parteien bei dem Thema mitzunehmen.
Blockade im Innenausschuss
Einig sind sich Union und SPD vorerst nur darin, den gemeinsamen Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linken zur Wahlrechtsreform vorerst nicht zur Abstimmung im Bundestag zuzulassen. Die GroKo-Parteien weigerten sich, die Beratungen darüber im Innenausschuss abzuschließen, moniert die Opposition. Das Thema sei von der Tagesordnung genommen worden, weil es angeblich noch Beratungsbedarf gebe, berichteten FDP, Grüne und Linke.
"Wir haben dafür null Verständnis", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. Der Entwurf liege dem Bundestag seit 2019 vor, Sachverständige hätten ihn in einer Anhörung für fair und verfassungsgemäß erklärt. "Uns läuft die Zeit davon."
Die drei Fraktionen wollen nun versuchen, über einen Geschäftsordnungsantrag am Freitag doch noch eine Abstimmung zu erzwingen. "Wir werden den Koalitionspartnern diese Handlungsunfähigkeit nicht einfach durchgehen lassen."
Nicht die erste Verhinderung einer Abstimmung
Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte, die Koalitionsfraktionen hätten bereits zum siebten Mal eine Abstimmung über den Gesetzentwurf verhindert: "Das, was die Große Koalition sich beim Wahlrecht leistet, ist eine Farce." Kuhle wies auch den Vorschlag der Unionsfraktion vom Vortag zurück: "Es ist zu spät, es ist zu wenig und es ist zu unambitioniert."
Friedrich Straetmanns von der Linken warf der Union vor, sie habe sich bislang nie ernsthaft mit dem Thema befasst: "Wer gestern erstmals über das Wahlrecht vertieft in der Fraktion redet, der zeigt schon durch das Nichthandeln, dass er eigentlich gar kein Interesse an einer Wahlrechtsreform hat."
Der Vorschlag der drei Oppositionsparteien sieht eine sehr viel deutlichere Reduzierung der Wahlkreise vor. Grüne, FDP und Linke wollen statt 19 Kreisen sogar 49 Kreise weniger. Auch die AfD plädiert für deutlich weniger Abgeordnete. Ihr Vorschlag für eine Verringerung des Bundestages auf 450 Mandate wurde Ende vergangenen Jahres im Bundestag abgelehnt.
Die Große Koalition ist nicht auf die Zustimmung der Opposition angewiesen, zum guten Ton gehörte sie bei einer Wahlrechtsänderung aber schon.