Streit um Vorratsdatenspeicherung EU-Kommission will Deutschland verklagen
Ende April hatte Deutschland die Frist der EU verstreichen lassen, einen Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Das hat nun Konsequenzen: Die EU-Kommission will Deutschland wegen Vertragsverletzung verklagen. Heute soll dies offiziell gemacht werden.
Von Birgit Schmeitzner, BR-Hörfunkstudio Brüssel
Ein Mal im Monat verteilt die EU-Kommission blaue Briefe an die Mitgliedsstaaten, wenn diese gemeinsam beschlossenes EU-Recht nicht umsetzen. Dieses Mal steht auch Deutschland auf der Liste, mit dem Streitfall "Vorratsdatenspeicherung".
Die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger weigert sich, Daten ohne konkreten Anlass sechs Monate lang speichern zu lassen - und hat in der Vergangenheit immer wieder damit argumentiert, dass die europäische Richtlinie ja ohnehin überprüft werde, nämlich wie sich diese Richtlinie mit der Grundrechtecharta verhält und wie sie sich mit dem Datenschutzrecht in der EU verträgt.
Quick Freeze statt Speicherung?
Nicht sehr gut, findet Leutheusser-Schnarrenberger. Sie setzt deshalb auf eine Alternative: das sogenannte Quick-freeze-Verfahren - ein Vorschlag, der im Europaparlament vor Jahren bereits diskutiert wurde aber keine Mehrheit fand. "Leider", sagt der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht, der Europa so langsam in Richtung Überwachungsstaat abdriften sieht: "Quick freeze heißt im Grunde genommen gar keine Vorratsdatenspeicherung, sondern ein Einfrieren der vorhandenen Informationen in dem Moment, in dem ein Verdacht aufgetreten ist. Damit kann man dann in einem Verfahren auf die Informationen zugreifen und verhindert, dass die Daten irgendwann vom Provider gelöscht werden."
IP-Adressen nur sieben Tage lang speichern?
Nach vielem Hick-Hack mit dem CSU-geführten Innenministerium hat Leutheusser-Schnarrenberger noch ein Zugeständnis gemacht: Die IP-Adressen von Computern sollen demnach grundsätzlich sieben Tage lang gespeichert werden. Damit ließe sich nachvollziehen, wann und von wo aus jemand ins Internet gegangen ist - also eine Art Minimal-Vorratsdatenspeicherung. Für Innenminister Hans-Peter Friedrich reicht das nicht aus. Er ist der Ansicht, dass die Ermittlungsbehörden damit weiter zu kurz kämen. Und er argumentiert damit, dass Daten, die nicht mehr da sind, mit Quick freeze auch nicht mehr gesichert werden können.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
Auch die EU-Kommission lehnt diese Quick-Freeze-Variante ab. Michele Cercone, Kommissionssprecher für den Bereich Justiz, schließt aus, dass die geplante Überarbeitung der Richtlinie in diese Richtung geht. An der Vorratsdatenspeicherung an sich wird Cercone zufolge nicht gerüttelt, man dürfe die Behörden in ihrer Jagd nach Kriminellen nicht behindern. Also keine Annäherung zwischen Brüssel und dem deutschen Bundesjustizministerium.
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger war vorab nicht zu einer Stellungnahme zur jüngsten Entwicklung zu bewegen. Ebenso wenig ihr Staatssekretär Max Stadler, der in Brüssel war und an einem Ministertreffen teilnahm. Das nährt den Eindruck, dass das Ministerium den Streit mit Brüssel aussitzen will. Vertragsverletzungsverfahren ziehen sich meist sehr lange hin. Derzeit sind gegen Deutschland mehr als 70 Klagen anhängig.