"Klimaneutral 2030" in Berlin Volksentscheid mit Hindernissen
In Berlin hatten die Wahllokale heute wieder geöffnet. Millionen Berlinerinnen und Berliner konnten darüber entscheiden, ob Berlin schon 2030 klimaneutral werden soll. Doch taten sie das wirklich?
Der Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral" steht gleich vor mehreren Herausforderungen. Die erste ergibt sich aus dem Berliner Abstimmungsgesetz. Damit der Volksentscheid erfolgreich ist, müssen nicht nur mehr Menschen mit "Ja" als "Nein" stimmen - darüber hinaus ist auch erforderlich, dass mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten dem Anliegen des Volksentscheids zustimmen.
In Zahlen ausgedrückt: Mehr als 600.000 Berlinerinnen und Berliner müssen es gut finden, dass Berlin 15 Jahre schneller als eigentlich geplant klimaneutral wird.
Gesetz tritt direkt in Kraft
Ist das geschafft, wird im selben Moment ein Gesetz umgeschrieben: das sogenannte Energiewendegesetz. Aus "Klimaschutzzielen" würden "Klimaschutzverpflichtungen", bisherige Deadlines nach vorn gezogen. So müsste Berlin seine Emissionen bis 2030 um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern.
Dieses Ziel halten viele für nicht erreichbar - auch diejenigen, die es dann eigentlich umsetzen sollen. Der Berliner Senat hat in seiner Stellungnahme schon festgehalten, dass er die grundsätzliche Absicht des Volksentscheids zwar begrüße, die Zielerreichung aber für "unwahrscheinlich" halte. Unter anderem argumentiert die Berliner Regierung, dass wichtige Rahmenbedingungen nicht auf Landes-, sondern auf Bundes- und EU-Ebene festgelegt werden. Berlin könne nicht so einfach früher als alle anderen klimaneutral werden.
Bei Verstoß keine Sanktionen vorgesehen
Wie viel bringen also neue Klimaschutz-Deadlines auf dem Papier, wenn die Politik sie für unrealistisch hält? Kurzfristig vermutlich wenig, denn Sanktionen sind erstmal nicht vorgesehen.
Die Initiative erklärt dem rbb das mit Zeitdruck: "Einen rechtlich wirksamen Sanktionsmechanismus zu formulieren ist juristisch nicht ganz trivial", sagt Stefan Zimmer von der Initiative Klimaneustart. Die Vorlaufzeiten bei einem Volksentscheid seien sehr lang, weitere Verzögerungen sollten nicht riskiert werden. Die Initiative sieht den Ball deshalb bei der Politik, der Senat soll sich selbst Sanktionen ausdenken.
Diese Vorgehensweise bezeichnet der Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza als "Verlegenheitslösung". Gleichzeitig verstehe er aber das Dilemma. Es sei beispielsweise schwierig, dem Senat in so einem Fall Bußgelder aufzudrücken. Doch auch wenn die Politik erstmal nicht direkt bestraft werden könnte: Steht im Gesetz eine Frist und es passiert klimapolitisch zu wenig, um sie einzuhalten, dann drohen der Landesregierung Klagen.
Beispielhaft dafür steht das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts: Vor rund zwei Jahren wurde das Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt, der Gesetzgeber musste nachbessern. Doch Pestalozza rechnet erst auf lange Sicht mit Klagen. Es reiche nicht, dem Senat drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes bereits Untätigkeit vorzuwerfen.
Rekord bei Spendensumme
Doch fest steht auch: Der Volksentscheid hat Dynamik geschaffen. Die Kampagne ist extrem sichtbar. Plakate an 7000 Laternen, 650 Großaufsteller. In dieser Größenordnung konnten zuletzt nur die großen Berliner Parteien Wahlkampf machen.
Tatsächlich steht der Initiative mit insgesamt 1,2 Millionen Euro sogar teils mehr Budget zur Verfügung. CDU und FDP hatten zur Wiederholungswahl jeweils etwa eine Million Euro für den Wahlkampf, die AfD 500.000 Euro. Und unter den Berliner Volksentscheiden ist die Spendensumme ein Rekord.
Ein großer Teil des Geldes kommt aus den USA. 475.000 Euro hat allein das deutsch-amerikanische Investorenehepaar Albert Wenger und Susan Danziger aus New York locker gemacht. Sie glauben, wie sie dem rbb sagen, dass Berlin globales Vorbild werden könne, ähnlich wie Oslo, Paris oder Rom. Finanzielle Interessen bestreitet das Ehepaar ebenso wie die deutschen Großspender, die enge Verbindungen in die Branche der erneuerbaren Energien haben. Dabei könnten einige dieser Spender durchaus profitieren, weil sie zum Beispiel in Fonds investieren, die grüne Technologien fördern.
Physiker Paul Grunow etwa, der auch in der Klimabranche aktiv ist, betont, aus Überzeugung gespendet zu haben, sagt aber auch: "Ich glaube an grünes Wachstum. Ich glaube, dass der Kapitalismus diesen Umbau schnell hinkriegen wird."
Breites Bündnis hinter der Initiative
Auch auf der Straße gibt es viel Unterstützung. Nach eigenen Angaben halfen der Initiative zu Hochzeiten bis zu 2000 Freiwillige - vor allem, aber nicht nur, in den Berliner Innenbezirken. Viele haben bereits Erfahrung mit Kampagnen, sind zum Beispiel als Parteimitglieder geübt im Plakatieren oder arbeiten in der Kommunikation für Start-Ups und NGOs.
Außerdem steht ein breites Bündnis hinter der Initiative: Neben Fridays for Future, den Omas for Future, oder Psychologists for Future unterstützen auch Parteien wie die Piraten Berlin, die Grüne Jugend oder Volt sowie Hilfswerke wie Brot für die Welt den Volksentscheid. Im Gespräch berichtet die Initiative, in ganz Deutschland mit ähnlichen Klimaschutzprojekten vernetzt zu sein.
Das zeigt: Trotz der rechtlichen und praktischen Hürden für den Volksentscheid ist schnellere Klimaneutralität bereits für Teile der Bevölkerung und Wirtschaft erstrebenswert. Selbst wenn Berlin bei einem erfolgreichem Volksentscheid die Verpflichtungen nicht bis 2030 erreichen sollte, dieser Druck scheint in der Politik angekommen: Im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen verkündeten SPD und CDU jüngst, fünf Milliarden Euro in den Klimaschutz zu investieren. Er sei ein Kernthema für Berlin.