Ein Mann steht am 29.11.2022 mit einer Fahne mit der Aufschrift "Klima-Liste" neben Demonstranten vor dem Roten Rathaus.
Analyse

Klima-Volksentscheid in Berlin Warum selbst Befürworter zweifeln

Stand: 12.01.2023 15:47 Uhr

Eine Bürgerinitiative will Berlin Druck machen für mehr Klimaschutz. Doch noch bevor der Volksentscheid "Klimaneutral 2030" überhaupt auf den Weg ist, zweifeln selbst die Befürworter schon an der Umsetzbarkeit.

Eine Analyse von Tom Schneider, rbb

Schwerfällig schiebt sich der Verkehr durch die morgendliche Dunkelheit. Autos im Schritttempo, dazwischen mal ein überfüllter Bus der Berliner Verkehrsbetriebe, der von der blockierten Busspur in den Stau wechseln muss. In der Rushhour auf der Berliner Sonnenallee wirken Stichworte wie "Verkehrswende" oder "Klimaneutralität" Lichtjahre entfernt.

Als "größten Problemfall für den Klimaschutz", bezeichnete gerade erst Klimaminister Robert Habeck den Verkehrssektor. Anders gesagt: In einer Stadt wie Berlin ist er ein gewichtiger Hemmschuh für das Projekt, klimaneutral zu werden. Viele politische Kräfte in der Hauptstadt wollen mehr Klimaschutz, die Grünen führten bereits vor Jahren Wahlkampf mit dem Plan, die Stadt innerhalb des riesigen S-Bahn-Rings verbrennerfrei zu machen.

Politikum Terminfindung

Doch in der rot-grün-roten Stadtregierung scheinen die ganz großen Klimaschutz-Ambitionen dem Realismus gewichen zu sein. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass eine Bürgerinitiative aus Umweltschützern der Regierung Beine machen will. "Berlin 2030 klimaneutral" lautet der Titel, den die Initiatoren per Volksentscheid zum Maß der Dinge machen wollen. Sozusagen ein Booster für die Klimapolitik, in der sich aus Sicht von umweltbewegten Kritikern trotz großer Worte wenig bewegt. Der Linken-Frontmann Klaus Lederer gab im Dezember unumwunden zu, dass ihn ärgere, dass im Senat "die Dynamik dieses Volksbegehrens unterschätzt wurde".

Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ahnt mittlerweile wohl die Brisanz in einer in puncto Volksentscheide zum Revolutionären neigenden Stadt. Das prägte die Debatte um die Terminfestsetzung der Bürgerbefragung. Nicht wie naheliegend am Tag der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar wird sie stattfinden, sondern bei einem zusätzlichen Urnengang am 26. März. Grund sei nach der Pannenwahl von 2021 allein die Sorge um eine reibungslose Abgeordnetenhauswahl, versicherte im Dezember eine genervt wirkende Regierende Bürgermeisterin.

Problem: Ein Bürgerentscheid für schnellen Klimaschutz wäre für die Politik bindend. Das im Berliner Energiewendegesetz von 2021 festgesetzte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 würde vorverlegt auf 2030. Doch in weniger als sieben Jahren klimaneutral zu werden, halten die politisch Verantwortlichen für keinesfalls realisierbar. Giffey wirbt für ihre Ideen, die bereits über die bundesweiten und europäischen Pläne einer 55-Prozent-Reduktion von CO2-Emissionen bis 2030 hinausgingen. "Wir in Berlin wollen das möglichst schneller schaffen und streben bis 2030 eine 70 Prozent Reduktion an und vor dem Jahr 2040 eine 90 Prozent Reduktion", sagte die SPD-Politikerin.

Klimaaktivisten fremdeln zunehmend mit den Grünen

Die mitregierenden Grünen werben um Verständnis, dass das radikale Ziel der Klimaneutralität bis 2030 völlig unrealistisch sei. "Wir, auch ich persönlich, möchten zwar alles tun, um so schnell wie möglich klimaneutral zu werden, gerne auch vor 2045", sagte Umweltsenatorin Bettina Jarasch. "Aber wir können nicht gesetzlich etwas zusagen, von dem wir nicht sicher sind, dass wir es auch umsetzen können."

In der Debatte über den Volksentscheid wird aus Sicht der Grünen-Politikerin aber zu viel über gesetzlich festgeschriebene Zielzahlen diskutiert und zu wenig über konkrete Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen. Sie halte für sinnvoller, "alles, was sich technisch, praktisch und politisch durchsetzen und machen lässt, zu tun, damit wir schneller werden", so Jarasch.

Den Klimaaktivistinnen und -aktivisten in der Hauptstadt sind diese Töne gerade von den Grünen zunehmend fremd. "In der Berliner Regierung, auch bei den Grünen, fehlt der politische Wille zum nötigen Handeln", konstatiert Stefan Zimmer von der Initiative des Volksentscheids. "Die Geschichte hat uns mehrmals gezeigt - bei der Mondlandung oder zuletzt beim Bau der LNG-Terminals - wenn der politische Wille da ist, wird das Undenkbare machbar."

Die damalige Verkehrsenatorin Bettina Jarasch (Mitte) fährt Ende November zur Eröffnung mit dem Fahrrad durch die neue Fahrradstraße in der Charlottenstraße zwischen Unter den Linden und Leipziger Straße.

Auch Umweltsenatorin Jarasch (vorn im Bild) sieht den geplanten Klima-Volksentscheid kritisch.

CDU wandert auf schmalem Grat

Doch mit kühnen Visionen ist es so eine Sache in Wahlkampfzeiten. Am 12. Februar findet die Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl statt, im Stadtstaat eine Abstimmung vom Rang einer Landtagswahl. Die CDU würde der Regierenden Bürgermeisterin nur allzu gern das Amt abjagen. Da gilt es, auf dem schmalen Grat zu wandern, zwischen Kritik am linksgrünen Bündnis und gesellschaftlich gewollter Klimapolitik.

Die Kritik: Der Senat aus SPD, Linken und Grünen habe seit 2016 wenig bewegt, gerade auch im wichtigen Gebäudesektor. "Statt vorbildhaft voranzugehen, hat der Senat gerade mal auf rund zwölf Prozent der öffentlichen Dächer Photovoltaikanlagen aufgestellt", bemerkt CDU-Landeschef Kai Wegner. "Auch die Möglichkeiten von Unternehmen, Startups und der Wissenschaft nutzen SPD, Grüne und Linke viel zu wenig. Ich setze auf attraktive Förderprogramme und Technologieoffenheit."

Hier schimmert bereits durch, dass die CDU, sollte der Angriff auf SPD-Bürgermeisterin Giffey überhaupt gelingen, ziemlich sicher mit in Berlin traditionell starken Grünen klarkommen muss. Allerdings könnten die Grünen im eigenen Lager auch Federn lassen müssen, wenn zu viel beim Klimaschutz auf der Strecke bleibt. Gut sichtbar etwa im morgendlichen Berufsverkehr auf den vielbefahrenen Achsen der Hauptstadt.