Interview zu Trump "Extrem impulsgesteuert"
"Trumps Strategie ist die aggressive Herabsetzung und Verletzung von anderen" - so beschreibt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth das Verhalten des künftigen US-Präsidenten. Was wirklich dahinterstecken könnte, erklärt Wirth im Gespräch mit tagesschau24.
tagesschau24: Herr Wirth, zunächst einordnend für unser Gespräch: Was kann so eine Ferndiagnose und was kann sie nicht?
Hans-Jürgen Wirth: Psychiatrische oder psychologische Diagnosen sollte man nicht stellen, ohne mit einem Menschen persönlich intensiv gesprochen zu haben. Man kommt sonst zu oberflächlichen Fehldiagnosen. Außerdem widersprechen Ferndiagnosen der psychotherapeutischen Ethik. Auf der anderen Seite kann man schon psychologische Aussagen machen, die das Auftreten, die Argumentationsweise, den Umgangsstil betreffen. Und man kann auch das Menschen- und Weltbild erkennen, das hinter einer politischen Agenda steht.
tagesschau24: Trump werden schwierige Charakterzüge vorgeworfen wie große Ichbezogenheit und vor allem auch Wankelmütigkeit. Ist da etwas daran, oder geht es darum, ihm zu schaden?
Wirth: Eine der grundlegenden Kommunikationsstrategien von Trump ist die aggressive Herabsetzung, Entwertung und Verletzung von anderen - seiner Gegner, seiner Kritiker - auch von Journalisten. Gleichzeitig ist er extrem leicht narzisstisch kränkbar. Auf Kritik in Fragestellungen reagiert er extrem dünnhäutig - wie zuletzt bei seiner Pressekonferenz. Er antwortet stereotyp mit einem aggressiven Gegenangriff. Sein Motto lautet: "Angriff ist die beste Verteidigung".
Die Entwertung anderer und die leichte Kränkbarkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Denn der leichten Kränkbarkeit liegt die Angst zugrunde, selbst entwertet zu werden. Das spricht für ein sehr fragiles Selbstwertgefühl.
tagesschau24: Welche Charakterzüge erkennen Sie noch?
Wirth: Eine andere Strategie ist, dass er andere in den Himmel hebt und lobt. Aber in diesem Lob von anderen steckt immer auch ein Stück Selbstbeweihräucherung. Bei der Pressekonferenz hat er gesagt: "Wir werden die besten Arbeitsplatzbeschaffer sein, die Gott je erschaffen hat." Im Grunde will Trump aber sagen: "Ich bin der Größte, den Gott je erschaffen hat."
Seine Wankelmütigkeit kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn er einerseits die mexikanischen Einwanderer als Vergewaltiger und Betrüger entwertet, auf der anderen Seite aber dann wieder sagt, er liebe die Mexikaner. Er richtet es sich so ein, wie es ihm in den Kram passt.
tagesschau24: Biograf David Johnson, der Trump mehrmals getroffen hat, spricht von Soziopathie, nicht aber Psychopathie. Wo ist denn da der Unterschied?
Wirth: Das sind Diagnosen, die man heute gar nicht mehr verwendet, weil sie eine Abwertung beinhalten. Das, was Johnson vielleicht meint, ist die enorme Rücksichtslosigkeit, die Trump zu seinem Programm erhoben hat. Trump vertritt eine Moral, besser gesagt eine Pseudo-Moral der Rücksichtslosigkeit. Er sieht soziale Beziehungen nur unter dem Gesichtspunkt der Macht und der Nützlichkeit für ihn selber. Er instrumentalisiert andere Menschen.
tagesschau24: Wenn wir das beziehen auf das, was seine Aufgabe ist als Präsident: Eine solche Ichbezogenheit kann doch auch in Konflikt geraten mit einem Amt, in dem es natürlich auch darum geht, an andere zu denken?
Wirth: Trump hat Probleme, seine Affekte zu kontrollieren. Er ist extrem impulsgesteuert und hat dadurch Schwierigkeiten, sich auf Gesprächspartner einzulassen, wenn er die Fäden nicht vollständig in der Hand hat. Doch in der Politik geht es vor allem um Interessenausgleich und Kompromisse. Da wird er es nach meiner Voraussage sehr schwer haben. Es geht ja auch um Symbolpolitik. Denken wir an Obamas Reise nach Hiroshima: Hier stellt sich die Frage, ob Trump die Sensibilität hat, sich in andere Bevölkerungsgruppen und Nationen einzufühlen und zu sehen, wie man in Kontakt kommen kann.
tagesschau24: Ein gewisses Maß an Ellenbogen braucht man aber doch auch, wenn man in die Politik geht?
Wirth: Ein gesundes Selbstbewusstsein und Macht gehören zusammen. Problematisch wird es dann, wenn die Macht benutzt wird, um der eigenen Eitelkeit zu frönen und sich selbst zu erhöhen. Dann findet ein Machtmissbrauch statt, und das ist problematisch. In der Politik ist die sachbezogene Auseinandersetzung mit den Problemen gefragt und nicht die Selbstdarstellung.
Das Interview führte Charlotte Maihoff