Studie zu neuer "Landlust" Lieber im Grünen als in der Großstadt
Günstiger Wohnraum, digitales Arbeiten und gute Kinderbetreuung: Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben auf dem Land. Eine Studie sieht darin Chancen, aber auch Herausforderungen für kleine Gemeinden.
Deutlich mehr Menschen als noch vor zehn Jahren ziehen von der Stadt aufs Land. Aktuell verzeichneten bundesweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne, sagte Frederick Sixtus vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung bei der Vorstellung einer Studie in Berlin - "ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde".
Eine ähnliche Entwicklung erleben demnach die Kleinstädte. "Diese Veränderungen im Wanderungsverhalten deuten sich schon länger an, seit 2017 hat die neue Landlust dann an Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt", so Sixtus.
Demnach sind es vor allem Menschen zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern sowie Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, die ländliche Regionen für sich entdecken. Erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, schneller Internetanschluss für das digitale Arbeiten oder eine gute Kinderbetreuung lockten die Menschen in den Ort. Ebenfalls verstärkt in "Landlust" sind die über 50- und über 65-Jährigen, dagegen bevorzugt die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen weiterhin die Großstädte.
Chance, aber auch Herausforderungen
"Das wachsende Interesse am Landleben ist für die kleinen Gemeinden grundsätzlich eine gute Nachricht", sagte Institutsdirektorin Catherina Hinz. "Es bietet die Chance, viele demografische Herausforderungen ländlicher Regionen abzumildern." Junge Familien mit Kindern sorgten dafür, dass Schule und Kita erhalten blieben; zudem seien sie als Fachkräfte bei ländlichen Mittelständlern sehr begehrt.
Der Zuzug stelle für kleine Gemeinden aber auch eine Herausforderung dar. "Neuzugezogene und Alteingesessene müssen das Zusammenleben aktiv gestalten. Eine funktionierende Dorfgemeinschaft ist kein Selbstläufer", so Hinz. Wer selbst auf dem Land aufgewachsen sei und nur vorübergehend in der Stadt gelebt habe, wisse in der Regel, was ihn oder sie erwartet. Manche Zugezogene dagegen müssten das Zusammenleben auf dem Dorf erst lernen.
Vereine sind hier der Studie zufolge die zentralen Anlaufstellen für Zugezogene, um im Ort Fuß zu fassen. Für die Belebung der Ortskerne seien aber auch neue Ideen nötig. Vielerorts auf dem Land verschwänden im Ortskern etwa immer mehr Treffpunkte wie Kneipen, Gaststätten oder Bäckereien.
Appell: "Donutdörfer" vermeiden
Für die in Zusammenarbeit mit der Wüstenrot Stiftung erstellte Studie besuchte das Berlin-Institut sechs Gemeinden, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben: Allmendingen in Baden-Württemberg, das am Nord-Ostseekanal gelegene Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großharthau in Sachsen, Mehlmeisel in Bayern, Sanitz bei Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Wanfried im hessischen Teil des Werratals. Bei der Analyse wurden laut Studienautorin Eva Eichenauer Kommunen in Speckgürteln und klassischen Urlaubsregionen explizit ausgeklammert, um kein verzerrtes Bild zu bekommen.
Laut Eichenauer ist es auch nachteilig für das Zusammenwachsen, wenn Zugezogene in Neubaugebiete außerhalb der Ortsmitte ziehen, wo sie unter sich bleiben. Die Verantwortlichen in den Rathäusern stünden deshalb vor der Aufgabe, den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten. "Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten zuerst die Ortskerne belebt werden, damit keine sogenannten 'Donutdörfer' entstehen, wo in der Mitte nichts ist", sagte Eichenauer. Zudem brauche es passende Wohn- und Infrastrukturangebote für alle Alters- und Einkommensgruppen. Beklagt werde beispielsweise der Mangel an Mietwohnungen auf dem Land.