Urteil des Bundesverfassungsgerichts Suizidhilfe bleibt umstritten
Kritik, Besorgnis und Zustimmung: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf Sterbehilfe hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Ärzte fordern nun gesetzliche Regelungen. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert.
Von Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion
Viel Kritik von Kirchenvertretern, große Zustimmung dagegen von den Sterbehilfevereinen, von denen einige in Karlsruhe geklagt hatten. Unter den Klägern waren - neben Schwerstkranken, die sterben wollen - auch Ärzte, die das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe kippen wollten.
Zu ihnen gehört Dietmar Beck, Facharzt für Palliativmedizin in Stuttgart: "Das wichtigste ist, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht mehr von einer Strafnorm beeinträchtigt ist. Nun können wir nach unserem ärztlichen Wissen und Gewissen entscheiden. Im Einzelfall können wir dem Patienten, der sehr gequält ist ein Mittel zur Verfügung stellen können, was sein Leben beendet."
"Aber er ist an seinem Leidensende"
Auch Robert Roßbruch, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben, ist sehr zufrieden mit dem Urteil. Er hatte ebenfalls geklagt. Als Rechtsanwalt vertritt er einen Patienten, der an einer besonders schweren Form von Multipler Sklerose leidet und sterben will: "Für meinen Mandanten bedeutet das konkret, dass er ab morgen die Möglichkeit hat, über professionelle Hilfe suizidieren zu können. Er kann tun, was er möchte, ohne seine Familienangehörigen mit einzubeziehen. Bei seiner Familie ist es so, dass sie festhalten und klammern. Sie wollen, dass er weiterlebt. Doch er ist an seinem Leidensende und möchte diese Suizidhilfe in Anspruch nehmen."
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen Ärzte nicht mehr befürchten, dass sie sich strafbar machen, wenn sie Hilfe beim Suizid leisten. Den entsprechenden Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches erklärten die Verfassungsrichter heute für nichtig.
Der Kern des Urteils lautet: Jeder hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dies schließt die Freiheit mit ein, sich selbst das Leben zu nehmen und sich dabei von anderen helfen zu lassen. Dieses Recht ist nicht auf schwere oder unheilbare Krankheiten beschränkt. Es besteht in jeder Phase des Lebens. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle fasste die Entscheidung am Ende seiner einführenden Worte so zusammen: "Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren."
Wird Selbsttötung normal?
Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe CDU sagte nach der Urteilsverkündung, dass der Bundestag als Gesetzgeber die Entscheidung nun ausführlich analysieren müsse. Er selbst bedauere das Urteil, so der CDU-Politiker: "Ich verhehle nicht, dass ich die Entscheidung insgesamt bedauere. Ich glaube, dass sie entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Entscheidung geeignet ist, einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Normalisierung des Selbsttötung als Handlungsoption den Weg zu bereiten, wie es ja auch die ausdrückliche Zielsetzung eines Teils der beschwerdeführenden Vereine ist."
So wie Gröhe hatte sich auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese dafür stark gemacht, dass gewerbsmäßige Sterbehilfe verboten wird. Sie befürchtet, dass nach dem Urteil die Zahl der Suizide zunimmt und der Druck auf alte und pflegebedürftige Menschen steigt: "Mir geht es um den Schutz von Menschen, die pflegebedürftig, alt und krank sind, deren Selbstbestimmung auch gewahrt werden muss. Das Gericht hat sehr stark den Autonomiebegriff geprägt, eines sehr stark frei entscheidenden Menschen, sogar ohne Bedingung für die Suizid-Beihilfe. Das macht mir schon Sorgen."
Debatte über Konsequenzen
Die spannende Frage ist nun, welche Konsequenzen der Gesetzgeber, sprich der Deutsche Bundestag aus dem Urteil zieht. Nach der Entscheidung darf er Sterbehilfevereinen durchaus konkrete Vorgaben machen, etwa um sicherzustellen, dass auf kranke Menschen kein Druck ausgeübt wird. Im Urteil regen die Richter an, dass für Sterbewillige Beratungspflichten vorgeschrieben werden. Über all diese Fragen dürfte es nun erneut eine breite, kontrovers geführte Debatte geben.
Aktenzeichen 2 BvR 2347/15 u.a.