Was nach dem SPD-Mitgliederentscheid kommt Nachdenken über einen Plan B
Heute Nacht ist der SPD-Mitgliederentscheid zu Ende gegangen. Nun wird ausgezählt, verkündet wird das Ergebnis morgen. Zwar gilt es als wahrscheinlich, dass die Mehrheit für den Koalitionsvertrag gestimmt hat, aber ganz sicher ist das nicht. Für diesen Fall kursieren in Berlin bereits verschiedene Szenarien. tagesschau.de erklärt, wie es weitergehen könnte.
In der Nacht endete das Votum der SPD-Mitglieder über die Große Koalition. Doch die Anspannung der Parteiführung dürfte sich erst am späten Samstagnachmittag lösen, wenn Parteichef Sigmar Gabriel das Endergebnis bekannt geben wird. Zwar rechnen Partei und Beobachter mit einem positiven Ergebnis, da sie die überwältigende Beteiligung der Mitglieder als positives Zeichen werten.
Ein Restrisiko bleibt dennoch. Immerhin haben sich die Jusos auf ihrem Bundeskongress gegen den Koalitionsvertrag ausgesprochen - und der SPD-Jugendorganisation gehören etwa 55.000 stimmberechtigte Parteimitglieder an. Über einen Plan B will in der Parteiführung dennoch niemand nachdenken. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass es eine Mehrheit für den Koalitionsvertrag und den Weg der SPD in die Regierungsverantwortung geben wird. Deshalb wird nach meiner Überzeugung ein Plan B nicht erforderlich sein", schreibt der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier in einem Chat mit Mitgliedern auf spd.de. Dennoch kursieren in Berlin verschiedene Szenarien für die Tage nach dem SPD-Mitgliederentscheid.
Am wahrscheinlichsten: Die Mehrheit stimmt mit Ja
Geht der Mitgliederentscheid positiv aus, werden wohl spätestens am Sonntag die Mitglieder der künftigen Bundesregierung und die Ressortzuschnitte bekannt gegeben. Für Montag ist die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages geplant. Am Dienstag soll das Kabinett der Großen Koalition aus Union und SPD vereidigt und Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt werden. Bundespräsident Joachim Gauck kommt dabei die verfassungsrechtliche Aufgabe zu, dem Bundestag einen mehrheitsfähigen Kandidaten oder eine Kandidatin vorzuschlagen. Für die Wahl ist im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erforderlich. Ist diese erreicht, wird der oder die Gewählte unverzüglich vom Bundespräsidenten ernannt.
Möglicherweise nur knappe Mehrheit
Zwar sind sich Partei und Experten recht sicher, dass eine Mehrheit in der SPD für den Koalitionsvertrag zustande kommt. Wie groß diese Mehrheit sein wird, darüber wagt allerdings kaum einer zu spekulieren. Es sei aber auch nicht wichtig, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus SPD-Kreisen. Mehrheit sei Mehrheit. So sieht das auch der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer: "Bei Koalitionen kennen wir das Konzept der 'minimal winning coalition'. Schon eine Stimme Mehrheit entscheidet über das Zustandekommen einer Koalition." Und das gelte auch für einen solchen Mitgliederentscheid.
Die einzige Hürde für das Mitgliedervotum war eine Mindestbeteiligung von 20 Prozent der Mitglieder. Die ist mit rund 300.000 abgegebenen Stimmen deutlich überschritten. Dennoch würde ein Vorsprung mit nur wenigen Stimmen Parteichef Gabriel beschädigen.
Unwahrscheinlich: Die Mehrheit stimmt mit Nein
Für den unwahrscheinlichen Fall eines Neins zum Koalitionsvertrag stünden der SPD und auch der Union turbulente Tage bevor. Zumindest Parteichef Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles würde wohl nur der Rücktritt bleiben. Beide hatten durch ihr Werben für ein Ja ihr politisches Schicksal eng mit einem positiven Ausgang des Mitgliederentscheids verknüpft. Wie sich der Rest der Parteispitze, beispielsweise die stellvertretenden Vorsitzenden Hannelore Kraft oder Olaf Scholz verhalten würden, ist ungewiss. Auch ihre Stellung wäre deutlich beschädigt, heißt es aus Parteikreisen. Ein geschlossener Rücktritt des Parteivorstands sei jedoch nicht zwingend.
Andrea Nahles würde bei einem Nein wohl nur der Rücktritt bleiben.
Kaum Chance für Schwarz-Grün
Zunächst wäre Angela Merkel als CDU-Chefin erneut in der Pflicht, eine alternative Regierungsmehrheit zu finden. Realistisch böte sich dafür nur Schwarz-Grün an. Vermutlich würde sie den Grünen solche Gespräche sogar erneut anbieten. Ein Erfolg wäre jedoch sehr unwahrscheinlich. Nicht nur, weil die Grünen sich nach ihrem Wahldesaster erst wieder finden müssen. Um Schwarz-Grün zu rechtfertigen, müsste die Parteiführung in den Koalitionsverhandlungen wohl noch mehr herausholen als die SPD - und das dürfte schwierig werden. Zudem wären die Grünen nach dem SPD-Mitgliederentscheid in Zugzwang, ebenfalls ihre Basis zu befragen. Und die würde vermutlich nicht mitmachen.
Rot-Rot-Grün gilt als ausgeschlossen
Nach wie vor wäre theoretisch auch eine rot-rot-grüne Regierungskoalition möglich. Doch dass die SPD sich darauf einlassen würde, gilt als ausgeschlossen. Fraktionschef Steinmeier äußerte sich dazu im Chat auf spd.de: "Was Rot-Rot-Grün angeht, haben wir übereinstimmend für die Wahl 2013 gesagt, dass die Linkspartei erstens nicht fähig zur Regierung ist und zweitens muss man wissen, dass es nicht nur Ablehnung von Seiten der SPD, sondern auch von der Mehrheit der Grünen gab."
Gauck käme schwierige Rolle zu
Wenn sich keine Regierungsmehrheit finden lässt, wird es kompliziert. Für Neuwahlen sieht das Grundgesetz große Hürden vor, der Bundespräsident kann den Bundestag nicht ohne weiteres auflösen. Es müsste in jedem Fall eine Kanzlerwahl stattfinden, auch wenn es keinen mehrheitsfähigen Kandidaten gibt, meint der Verfassungsrechtler Ulrich Battis. Wenn nach zwei Wahlgängen kein Kandidat die absolute Mehrheit erhält, findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem nach Art. 63 Abs. 4 GG "gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält". Bundespräsident Gauck steht dann vor einer schwierigen Aufgabe: Er kann den gewählten Kandidaten entweder akzeptieren - in diesem Fall gäbe es eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten. Gauck kann den Kandidaten aber auch ablehnen und den Bundestag auflösen. Erst dann dürften Neuwahlen stattfinden.
Eine Minderheitsregierung würde nicht lange halten
Der Politologe Neugebauer hält es sogar für denkbar, dass SPD-Chef Gabriel den Abgeordneten empfehlen könnte, Merkel trotz des gescheiterten Koalitionsvertrags zu wählen. Das sei der SPD lieber als Neuwahlen. "Dann käme die Union nicht umhin, Angela Merkel als Kanzlerkandidatin aufzustellen, da sie ja mehrheitsfähig wäre", sagt Neugebauer. Die Folge wäre eine Minderheitsregierung. Diese wiederum wäre gar nicht im Sinne der Union.
Neugebauer vermutet deshalb: "Merkel würde dann sehr wahrscheinlich versuchen, bald eine Vertrauensfrage herbeizuführen. Dafür würde es reichen, in einigen Abstimmungen zu scheitern." Verweigert der Bundestag ihr das Vertrauen, kann der Bundespräsident das Parlament auflösen und der Weg wäre frei für Neuwahlen. Einfacher wäre es natürlich, ohne diese Umwege die Vertrauensfrage zu stellen. Doch das lässt das Grundgesetz nicht zu. Denn derzeit ist Merkel nur geschäftsführend im Amt. Nur als gewählte Bundeskanzlerin kann sie die Vertrauensfrage stellen.