"Ehe für alle"-Euphorie in der SPD Machtprobe gewonnen - Wahlkampf noch nicht
Die Stimmung bei der SPD ist nach langer Zeit mal wieder gut, die Freude über das "Ehe für alle"-Manöver gewaltig. Endlich hat man die Kanzlerin mal ausmanövriert, so die Lesart. Doch andere mahnen: Der Wahlkampf ist damit längst nicht gewonnen.
Vertrauensbruch? Verstoß gegen den Koalitionsvertrag? Krise in der Koalition? Inmitten des Wirbels um die Abstimmung zur "Ehe für alle" sitzt die SPD und genießt. "Wir sind alle sehr stolz, dass wir noch in dieser Woche über die 'Ehe für alle' abstimmen", sagt der Chef der niedersächsischen Landesgruppe Lars Klingbeil.
Stolz, weil damit ein für gleichgeschlechtliche Paare wichtiges und in der Koalition umstrittenes Thema auf den letzten Metern der Legislaturperiode wohl doch noch im Sinne der SPD entschieden wird. Zufriedenheit aber auch darüber, beim Thema "Ehe für alle" die Kanzlerin ins Schwimmen gebracht zu haben. Klingbeil sagt: "Merkel hat sich verzockt bei dem Thema." Sie habe offensichtlich vorbereitet, das Thema aus dem politischen Diskurs zu nehmen - aber wohl nicht damit gerechnet oder nicht gewusst, dass es einen fertigen Gesetzentwurf im Rechtsausschuss gab, der sofort auf die Tagesordnung gesetzt werden konnte.
Handwerk hat funktioniert
Hängende Mundwinkel bei den Sozialdemokraten waren vorgestern - die SPD genießt das Gefühl, wieder in der Offensive zu sein. Auch weil das politische Handwerk bei den Sozialdemokraten diesmal funktioniert hat. Beginnend am Montag um 21.23 Uhr, als die erste Eilmeldung über den Ticker läuft, Kanzlerin Merkel rücke vom Nein der Union zur "Ehe für alle" ab. Parteichef Martin Schulz ist zu dieser Zeit gemeinsam mit Fraktionschef Thomas Oppermann und Generalsekretär Hubertus Heil auf einer Veranstaltung in Berlin. Die drei lesen die Meldung und sind sich schnell einig, dass sich hier eine Chance auftut.
An Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht geht der Auftrag zu klären, ob es im Bundestag in den letzten drei Sitzungstagen noch möglich ist, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Nach ein paar Telefonaten kommt die erlösende Nachricht von Fraktionsvize Eva Högl: Ja, im Rechtsausschuss liege noch eine Gesetzesinitiative des Bundesrats, die könne diese Woche abgestimmt werden.
Für Schulz, Oppermann und Heil das Signal: Wir schalten auf Attacke, werden die "Ehe für alle" diese Woche im Bundestag beschließen, gerne mit der Union, notfalls aber auch ohne sie. Schulz verkündet am nächsten Morgen vor der Hauptstadtpresse: "Angela Merkel hat gestern, ich glaube, in der eigenen Art, einen Move gemacht – und wir nehmen sie jetzt beim Wort."
Ein kleiner Risiko
Das Risiko für die SPD: Die Kanzlerin könnte von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und alle sozialdemokratischen Minister entlassen. Das werde Merkel in der letzten Sitzungswoche nicht wagen, glaubt Schulz - und sollte Recht behalten.
Dabei hätte die Kanzlerin diese Möglichkeit durchaus gehabt. Denn die SPD hat mit ihrem Vorgehen gestern im Rechtsausschuss - als sie das Thema gemeinsam mit Grünen und Linken durchboxte - die Koalitionsverabredung gebrochen, wonach Gesetzesinitativen immer gemeinsam eingebracht werden. Auch wenn die offizielle Lesart der SPD anders ist: "Dieser Koalitionsbruch ist nicht vorhanden, sondern wir nutzen jetzt eine Möglichkeit, eine Entscheidung, die sowieso, wie Frau Merkel gesagt hat, irgendwann gekommen wäre, eben jetzt durchzuführen. Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen", sagt Lambrecht.
Gute Laune auf dem Hoffest der SPD-Bundestagsfraktion
Schulz wird gefeiert
Unter dem Strich bleibt: Schulz hat das erste Mal, seit er SPD-Parteichef ist, in der Koalition die Machtprobe mit Merkel gesucht - und gewonnen. Die sozialdemokratischen Abgeordneten, in den vergangenen Wochen nicht erfolgsverwöhnt, feierten Schulz in der Fraktionssitzung.
In der letzten Sitzungswoche ein Sieg bei einem gesellschaftlich wichtigen Thema - das täte gut, so SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen: "Das ist ein hervorragender Abschluss, denke ich, für eine lange Sitzungsperiode. Bei uns ist die Stimmung gut, sehr zuversichtlich, aber wir wissen auch, es ist noch nichts im Wahlkampf damit gewonnen."