Kampf gegen illegale Arzneimittel Mit Siegel und Codes gegen Fälschungen
Immer wieder gelangen illegale Arzneimittel in Apotheken. Nun tritt ein neues Schutzsystem in Kraft: Packungssiegel und Codes sollen Fälschungen erkennbar machen - ein Kraftakt für die Branche.
Von Sandra Scheuring, HR
Gepanschte Magenmittel, illegale Krebsmittel oder unechte Hepatitis-Medikamente - Skandale um Arzneimittel-Fälschungen wühlen Patienten auf und rufen Behörden auf den Plan. Denn Fälschungen landen nicht nur in irgendwelchen dubiosen Internet-Shops, sondern mitunter auch in Apotheken.
Um das Risiko deutlich zu verringern, gilt ab heute überall eine neue EU-Fälschungsschutz-Richtlinie. Verschreibungspflichtige Medikamente wie etwa Antibiotika bekommen Sicherheitsmerkmale, so dass Patienten und Apotheker echte Arzneimittel besser erkennen können. Das Projekt mit dem Namen Securpharm setzen in Deutschland alle rund 19.500 Apotheken, 400 Krankenhausapotheken, 350 Pharmafirmen und 1000 Großhändler um. Ein Kraftakt.
"Jeder Fall ist einer zuviel"
Arzneimittelkriminalität ist weltweit ein Problem. Wer schon mal im Urlaub im Ausland erkrankt ist, der hat vielleicht auch diese Erfahrung gemacht: Der Arzt drückt einem ein Plastiktütchen mit abgezählten bunten Pillen in die Hand. Verpackung, Beipackzettel - Fehlanzeige. Da bekommt man als Patient schon ein mulmiges Gefühl. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben jedes Jahr zwischen 300.000 und eine Million Menschen an den Folgen von Produktfälschungen.
Doch auch in Deutschland tauchen in den Apotheken illegale Arzneimittel auf. So konnten Fälscher vor einigen Jahren 600.000 Packungen des gefälschten Magenmittels Omeprazol in die Apotheken schleusen - verpackt in handelsüblichen Arzneiflaschen mit entsprechenden Aufklebern und Beipackzetteln.
Auch das Krebsmittel Herceptin wurde illegal in den Handel gebracht, gleich mehrere Chargen waren in Italien gestohlen und gestreckt worden. Und erst vor zwei Jahren schreckte ein Skandal um das Hepatitis-Mittel Harvoni Patienten auf. Über einen Großhändler gelangten Plagiate wohl deutschlandweit in die Lieferkette.
Gerade bei sehr teuren Krebs- und Aids-Präparaten lohnt sich das Geschäft für international agierende Fälscherbanden. "Noch sind es Einzelfälle, aber jeder Fall ist einer zu viel. Lebensnotwendige Medikamente zu fälschen ist ein anderes Kaliber als beispielsweise Turnschuhe zu plagiieren. Um den Patienten zu schützen, wird deswegen die legale Lieferkette weiter gesichert, indem jede Verpackung zum Unikat wird", sagt Martin Bergen von Securpharm, der Organisation aus Pharma-Unternehmen, Großhändlern und Apotheken. Securpharm setzt die Fälschungsschutz-Richtlinie um.
Individueller Arzneimittelcode
Rund 750 Millionen Packungen rezeptpflichtiger Arzneimittel müssen nun bestimmte Sicherheitskennzeichen haben: einen Erstöffnungsschutz, der ein Siegel oder eine Perforation sein kann, damit zu erkennen ist, ob die Packung unversehrt ist oder schon einmal geöffnet wurde.
Außerdem bekommt jede Packung einen Arzneimittelcode, der individuell ist und aus Produktcode, Chargennummer und Verfallsdatum besteht. Er sieht aus wie ein QR-Code. Vor dem Verkauf in der Apotheke wird die Packung gescannt, mit den bei der Produktion vergebenen Nummern abgeglichen und aus der Securpharm-Datenbank ausgebucht. Wurde der Code schon anderweitig ausgebucht, erhält der Patient eine andere, sichere Packung. Und der Apotheker meldet den Fälschungsverdacht den Behörden.
"Wir sind gut vorbereitet", sagt Lisa Heit, Apothekerin und Filialleiterin der Arnsburg-Apotheke in Frankfurt. "Das zusätzliche Scannen geht schnell und wir denken, dass unsere Kunden die zusätzliche Sicherheit schätzen werden. Wir erwarten aber, dass wir zum Start am Samstag nur sehr wenige Verpackungen mit den neuen Sicherheitsmerkmalen verkaufen." Das liegt daran, dass Millionen Packungen aus Lagerbeständen noch verkauft werden dürfen. Bis das Verfahren lückenlos funktioniert, vergehen so noch einige Jahre.
Bevor Medikamente über die Ladentheke gehen, sollen die Packungen künftig gescannt werden.
Kosten: mehr als zehn Milliarden Euro
Das Projekt kostet nach Schätzungen der EU-Kommission mehr als zehn Milliarden Euro, die Pharma-Industrie trägt den Löwenanteil. Bei Merck in Darmstadt geht täglich eine sechsstellige Anzahl von Verpackungen für den europäischen Markt über die Bänder, es mussten 70 Fertigungsstraßen mit neuer Hard- und Software ausgestattet werden. Trotzdem steht man voll hinter der EU-Richtlinie: die Sicherheit der Patienten würden Aufwand und Kosten rechtfertigen.
Aber nicht alle Pharmafirmen sind von den EU-Anforderungen begeistert. Gerade für mittelständische Unternehmen ist die Umsetzung der Fälschungsrichtlinie zunächst eine enorme finanzielle Belastung. Beispiel: Das hessische Unternehmen Hennig Arzneimittel, spezialisiert auf Mittel gegen Schwindel- und Gleichgewichtsstörungen. Die neuen Verpackungs-Anlagen passten nicht mehr in die alte Konfektionierungshalle, so dass Hennig eigens einen Anbau für die Fertigung bauen lassen musste.
Für Geschäftsführer Kai Schleenhain unter dem Strich ein unangemessener Aufwand: "Das hat uns sieben Millionen Euro Investitionskosten beschert. Wenn man das auf unsere Packungen umlegt, ergibt das einen Betrag von acht Cent pro Packung. Das sind bis zu vier Prozent des Packungspreises. Vor dem Hintergrund des Preismoratoriums und eines harten Krankenkassen-Rabattmarkt-Wettbewerbes ist das erheblich."
Zumal die allermeisten Fälschungen aus Asien kämen und im Internet gehandelt würden. Doch der Druck auf den legalen Vertrieb via Großhändler und Apotheken nahm in den vergangenen Jahren beständig zu. Die organisierte Kriminalität hat dieses lukrative Geschäftsfeld für sich entdeckt. Gefälscht wird eben alles, wovon sich Fälscher Profit versprechen - ohne jeden Skrupel.