Verteidigungsministerium prüft Wurde die Bundeswehr von Russland belauscht?
Offenbar von Russland geleakte Abhöraufnahmen setzen das Verteidigungsministerium unter Druck: Es prüft, ob Bundeswehroffiziere tatsächlich belauscht wurden. Unter Parlamentariern lassen die Berichte Sorgen wachsen.
Wie konnte Russland an die Aufzeichnung eines internen Gesprächs zwischen Bundeswehroffizieren kommen? Nach entsprechenden Berichten über die veröffentlichte Aufnahme ist das Verteidigungsministerium dabei, den Vorgang sowie die Echtheit des Mitschnitts zu prüfen. "Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) hat alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet", sagte dazu eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Der Vorgang ist brisant: Russische Medien hatten über die angeblich abgehörte Kommunikation im Bereich der Luftwaffe berichtet, Propagandakanäle veröffentlichten eine Aufnahme. Darin sollen Offiziere zu hören sein, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher "Taurus"-Raketen diskutieren - auch die Frage, ob die Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur Halbinsel Krim zu zerstören.
Scholz weigert sich, "Taurus" zu liefern
Ebenso sind die Weigerung von Bundeskanzler Olaf Scholz, "Taurus" an die Ukraine zu liefern, sowie die damit verbundenen Herausforderungen offenbar Thema. Scholz hatte sein Nein zu "Taurus"-Lieferungen Anfang der Woche ausführlich begründet und dabei vor allem technisch argumentiert.
Der Einsatz der "Taurus"-Marschflugkörper durch die Ukraine würde die Mitwirkung deutscher Soldatinnen und Soldaten bei der Zielsteuerung erfordern, sagte er. Scholz fürchtet, damit könne Deutschland indirekt in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden.
"Weil keiner so richtig weiß, warum der Kanzler hier blockt, kommen natürlich abenteuerlichste Gerüchte auf", zitiert das ZDF den Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz, der offenbar in der Aufnahme zu hören ist. Er soll darin auch seinen Frust darüber äußern, aus seiner Sicht falsche Informationen über die Marschflugkörper richtigstellen zu müssen. Ein weiterer Punkt im Gespräch ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte.
Brisante Aussagen zu britischen Marschflugkörpern
Brisant ist zudem, dass in dem veröffentlichten Mitschnitt offenbar die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde.
"Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", hatte der SPD-Politiker gesagt. Was genau Scholz damit meinte, ließ er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak hatte dies umgehend dementiert.
Bundeswehr-Insider teilten dem ZDF mit, dass sie den Mitschnitt für authentisch halten, können ihn jedoch nicht verifizieren.
"Relativ schwer zu fälschen"
Auch ARD-Journalist Florian Flade geht davon aus, dass die Aufzeichnung authentisch ist. In der Aufzeichnung sprächen mehrere Menschen in "einem bestimmten Slang, den man der Luftwaffe zuordnet". Dies sei wohl selbst mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz "relativ schwierig zu fälschen". Für die Echtheit spreche auch, dass versucht werde, die Aufnahme auch dem Internet zu entfernen.
Der Kreml wolle mit dieser Veröffentlichung vermutlich einerseits Bundesregierung und -kanzler vorführen, andererseits werfe sie Fragen hinsichtlich der IT-Sicherheit bei der Bundeswehr auf. Und in dem Gespräch gehe es eben auch um vertrauliche Details zu Einsätzen anderer NATO-Länder wie den USA oder Großbritanniens in der Ukraine: "All das wirft kein gutes Licht auf die Bundeswehr und auf die Art und Weise, wie man dort mit Kommunikationssicherheit umgeht." Es sei davon auszugehen, dass russische Dienste schon mehrere Gespräche dieser Vertraulichkeitsstufe mithörten.
Besorgte Reaktionen
Unter Parlamentariern lassen diese Berichte Sorgen wachsen - vor allem darüber, dass es nicht bei einer einmaligen Veröffentlichung interner Gespräche bleibt. "Sollte sich diese Geschichte bewahrheiten, wäre das ein hochproblematischer Vorgang", sagte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
"Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt", fügte der Grünen-Politiker hinzu. "Ich erwarte umgehende Aufklärung aller Hintergründe."
"Es werden sicher noch etliche andere Gespräche abgehört worden sein und gegebenenfalls zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden", warnte CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter im ZDF. Es sei davon auszugehen, "dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine 'Taurus'-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden."
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Spionage gehört zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung." Deutschland sei "auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel". Der Grund für den Veröffentlichungszeitpunkt liege auf der Hand: "Nachdem der Kanzler in der letzten Woche die Lieferung ausgeschlossen hat, die Gründe für seine Ablehnung aber binnen 24 Stunden von Fachleuten widerlegt worden sind, möchte man ihn offensichtlich davon abschrecken, doch noch grünes Licht zu geben."
Russland fordert Antworten von der Bundesregierung
Das russische Außenministerium hatte als Reaktion auf die Berichte eine Erklärung der Bundesregierung gefordert. "Versuche, um Antworten herumzukommen, werden als Schuldeingeständnis gewertet", schrieb Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf ihrem Telegram-Kanal. Zugleich veröffentlichte Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Staatssenders RT, einen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen Gesprächs. Wie Simonjan an die Aufnahmen gekommen ist, sagte sie nicht.