Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) im Bundestag

Nordrhein-Westfalen Scholz oder Pistorius - K-Frage für NRW-Landesgruppe noch offen

Stand: 19.11.2024 00:04 Uhr

Die SPD in NRW diskutiert, wer Kanzlerkandidat werden soll. Es gibt Fans von Boris Pistorius - aber auch Scholz hat Unterstützer. Die Führung der Landespartei legt sich bisher nicht fest.

Der mitgliederstärkste Landesverband der SPD debattiert - wie mittlerweile die ganze Partei und die Öffentlichkeit - darüber, ob Kanzler Olaf Scholz kurz vor der Bundestagswahl noch als Kandidat abgelöst werden soll. Auch in NRW hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Unterstützer.

"Viel Zuspruch für Boris Pistorius"

Die SPD-Debatte ist dynamisch, heißt es aus Parteikreisen. Mehrere Optionen scheinen möglich - dass sich die Führungsgremien im Bund noch vor dem geplanten Parteitag im Januar hinter Scholz stellen, aber auch, dass der Kanzlerkandidat ausgetauscht wird. Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich aus Köln, hatte ein "Grummeln" an der Parteibasis eingeräumt. Das Grummeln wird lauter.

Die Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, bestätigen dem WDR eine Debatte in den Wahlkreisen: "Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius. Klar ist: Letztlich entscheiden die Parteigremien über die Frage der Kanzlerkandidatur, das ist auch der richtige Ort dafür."

Das Statement der Vorsitzenden sorgt innerhalb der Landesgruppe für Kritik. "Dieses Statement der Vorsitzenden ist nicht in der NRW-Landesgruppe beschlossen worden", sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer der Nachrichtenagentur Reuters am Abend. "Es ist missverständlich, schwächt den Bundeskanzler und hat bei den SPD-Bundestagsabgeordneten keine Mehrheit. Ich habe sofort eine Sondersitzung der NRW-MdBs beantragt."

Dr. Wiebke Esdar

Bielefelder SPD-Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar

Unter anderem der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil sowie der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hatten sich zuletzt klar für Scholz ausgesprochen.

Wie sehr die Partei angesichts chronisch schlechter Umfragewerte mit sich ringt, zeigt ein Blick in einzelne NRW-Städte. Der Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Andreas Rimkus sagte dem "Stern": "Wir haben einen Kanzler. Und deshalb haben wir auch einen Kanzlerkandidaten."

"Eine interessante Situation"

Rimkus tritt allerdings nicht wieder an. Der neue Kandidat im Düsseldorfer Süden ist Adis Selimi. Der 30-Jährige sagte am Montag dem WDR: "Olaf Scholz hat als Kanzler herausragende Arbeit geleistet. Es ist für ihn nach dem Ampel-Aus natürlich eine schwierige Situation. Boris Pistorius ist ein sehr beliebter Verteidigungsminister." Das merke er in seinem Wahlkreis, so Selimi.

"Für uns als Partei ist es eine interessante Situation. Die SPD wird den Kanzlerkandidaten nominieren und dann treten wir gemeinsam als Team an. Ich denke, das ist der richtige Kurs." Eine klare Festlegung auf Scholz vermeidet der junge Direktkandidat also.

Selimi antwortet ähnlich ausweichend wie Pistorius, der seit Wochen in Interviews eine Kanzlerkandidatur nicht ausschließt. Der Verteidigungsminister stellte sich am Wochenende auch hinter Aussagen von Ex-Parteichef Franz Müntefering, der gesagt hatte, es gebe keinen Automatismus, dass Scholz Kanzlerkandidat sein müsse. "Die Partei wird entscheiden und dann ist gut", sagte Pistorius.

Pistorius hat laut Umfragen viel bessere persönliche Beliebtheitswerte als Scholz. Eine knappe Mehrheit der SPD-Anhänger hält den amtierenden Kanzler nicht für einen guten Kanzlerkandidaten.

Eine Überlebensfrage für die SPD?

Serdar Yüksel, SPD-Abgeordneter aus Bochum

Serdar Yüksel von der Bochumer SPD

Wie in Düsseldorf sieht es in Bochum aus: eine Partei, zwei Meinungen zur K-Frage. Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte Serdar Yüksel, der für die SPD in Bochum in den Bundestag strebt, dem "Stern". "Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius." Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung. "Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt."

Der bisherige Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer hält dagegen. Bei einer internen Abstimmung in einem Bochumer Stadtbezirk seien 70 Prozent der Delegierten für Scholz gewesen, 30 Prozent für Pistorius. Schäfer hält den Kanzler "fachlich" für die beste Option. Zudem habe sich Scholz bei der Kommunikation verbessert.

Schäfer fordert einen schnellen Beschluss der SPD-Spitze für Scholz als Kandidat: "Das erwarte ich jetzt vom Parteivorstand."

Die NRW-SPD hat bei der Bundestagswahl einiges zu verlieren. 2021 waren die Sozialdemokraten auch im bevölkerungsreichsten Bundesland stärkste Kraft geworden. 2025 droht hingegen eine schwere Niederlage gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU).

Sarah Philipp (SPD)

Sarah Philipp, Co-Landeschefin der NRW-SPD

Die Co-Vorsitzende der Landespartei, Sarah Philipp, sagt: "Die Partei stellt sich für einen kurzen und intensiven Wahlkampf auf. Dass mit Olaf Scholz und Boris Pistorius gleich zwei Sozialdemokraten zugetraut wird, ein guter Kanzler zu sein, ist dabei eine Stärke." Auch NRW-Juso-Chefin Nina Gaedike sagt: "Einen Automatismus bei der Besetzung der Kanzlerkandidatur gibt es nicht." Also: Nichts ist ausgeschlossen.

Kevin Waldeck, junger SPD-Bundestagskandidat im Wahlkreis Wesel I, hingegen warnt: "Angesichts der Kürze der Zeit, wäre es meiner Meinung nach keine gute Idee, jetzt noch den Kandidaten auszuwechseln." Auch in seinem Wahlkreis höre er immer wieder Stimmen, die für Pistorius als Kanzlerkandidat seien. Waldeck: "Aber er ist beliebt als Verteidigungsminister. Sobald wir ihn aufs Schild heben als Kanzlerkandidat, kann sich das ändern – da es dann auch um andere Themen geht."

Politologe: NRW nimmt Einfluss

Prof. Thomas Poguntke, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Politologe Thomas Poguntke

Der SPD-Landesverband NRW spiele eine wichtige Rolle in der aktuellen Debatte, analysiert der Düsseldorfer Parteienforscher Thomas Poguntke. Die NRW-SPD stelle viele Delegierte auf dem Parteitag.

49 der 207 sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag kommen aus Nordrhein-Westfalen. "Da Bundestagsabgeordnete gerne wieder gewählt werden wollen und ihre Wahlkreisorganisationen ein sehr großes Interesse daran haben, im Bundestag mit einem Bundestagsabgeordneten vertreten zu sein, wird ein großer Landesverband immer sein Gewicht in eine Kandidatendiskussion einbringen." Schließlich sei der Spitzenkandidat wichtig für das Wahlergebnis, so der Politologe.

Quellen:

  • WDR-Recherchen
  • WDR-Interviews mit Schäfer, Selimi, Poguntke und Waldeck
  • Nachrichtenmagazin "stern"

Über dieses Thema berichten wir am 18.11.2024 ab 19.30 Uhr in der Aktuellen Stunde.