Sahra Wagenknecht (BSW), spricht am 06.12.2024 beim Parteitag des BSW in Potsdam, Brandenburg. (Quelle: rbb24/Hasan Gökkaya)

Brandenburg BSW-Parteitag: Hauptsache viel Sahra Wagenknecht

Stand: 07.12.2024 13:47 Uhr

Mit Sahra Wagenknecht als Zugpferd hatte Robert Crumbach kein schweres Spiel. Die BSW-Delegierten haben den Koalitionsvertrag auf dem Landesparteitag durchgewunken. Der Abend, an dem der Weg für das erste Rot-Lila-Bündnis Deutschlands frei wurde. Von Hasan Gökkaya

Der wichtige Satz fällt bereits in Minute eins seiner Rede: "Sie wird kommen!", kündigt Robert Crumbach an. Zuvor wurde noch befürchtet, sie komme nicht. Ein bisschen Erleichterung macht sich im Saal breit. Ein wenig Zeit hat der Partei- und Fraktionschef des BSW also noch, bevor Sahra Wagenknecht die Bühne betreten wird. Wagenknecht, die BSW-Namensgeberin, die Ex-Linke-Politikerin, die mit Brandenburg eigentlich wenig zu tun hat, aber allein wegen ihrer bundesweiten Popularität für die Anwesenden nicht wegzudenken ist.
 
Es ist Freitagabend, an der Adresse Zum Bahnhof Pirscheide 1 sind 32 von 50 stimmberechtigten Delegierten des BSW Brandenburg zusammengekommen. Es ist ein außerordentlicher Landesparteitag. Es geht um die Abstimmung über den Entwurf zum Koalitionsvertrag zwischen der SPD und dem BSW. Es geht um die Regierungsbildung in Brandenburg. Es geht um Macht.

"Mehr Diplomatie steht gleich am Anfang"

Zu diesem Zeitpunkt ist schon länger klar, dass das BSW drei der zehn Ministerien besetzen wird. Dass Robert Crumbach neuer Finanzminister wird - vorausgesetzt Dietmar Woidke wird am 11. Dezember im Landtag mit Stimmen des BSW zum Ministerpräsidenten gewählt. "Hätte ich mir das vor einem Jahr vorstellen können? Nein", sagt Crumbach zu Beginn seiner Rede. Wie so typisch für ihn, macht der 62-Jährige beim Sprechen kleine Pausen, denkt nach, sammelt sich. Der Mann, der noch keine Erfahrungen besitzt, wenn es um die Führung eines Ministeriums geht, sagt den Anwesenden dann noch, warum das BSW die Koalition mit der SPD eingehen wolle und müsse: "Man braucht uns".
 
Crumbach will wohl diejenigen abholen, die zufrieden sind mit dem Koalitionsvertrag. Und diejenigen, die sich mehr erhofft hatten. Und so betont Crumbach ein paar Mal, dass das BSW die kleinere Partei sei neben der SPD. Dass das BSW 14 Sitze im Landtag habe und die SPD eben 32. Dass das BSW bei der Landtagswahl 13,5 Prozent der Zweitstimmen geholt habe und die SPD nun einmal rund 31 Prozent. Dass das BSW nicht das Bildungsministerium bekommen habe, sei "nicht ganz optimal". Dennoch, es stecke genug BSW im Koalitionsvertrag, sagt Crumbach und lobt wieder die Gegenseite: "Die SPD hat sich sehr bewegt, dafür bin ich dankbar."
 
Wie viel BSW im neuen Vertrag steckt, zeige sich ja schon in der Präambel des Vertrags. "Mehr Diplomatie steht gleich am Anfang", sagt Crumbach, die Delegierten klatschen.

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Sahra Wagenknecht ist da

Tatsächlich wurde in dem Dokument festgehalten, dass der russische Krieg in der Ukraine "nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet" werden könne. Und: Vor dem Hintergrund, "Spannungen innerhalb Europas" durch eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts abbauen zu wollen, sähen SPD und BSW "die Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch".

Die Sanktionen gegen Russland werden im nicht infrage gestellt, aber es wird – im Sinne des BSW – betont, dass sie Nachteile für die Wirtschaft in Brandenburg brächten. Auch deswegen müssten "diplomatische Friedensbemühungen auch die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehung zum Ziel haben", heißt es im Koalitionsvertrag.

Wer Crumbach zuhört und auf die anwesenden Delegierten schaut, merkt: Der Mann rennt hier offene Türen ein. Das zeigt das Nicken der Frauen und Männer, das zeigt das kurze Klatschen. Eine halbe Stunde später ist es dann soweit: Die Kameras der Pressevertreter werden neu positioniert, Crumbach geht zum Eingang und empfängt den Besuch: Sahra Wagenknecht ist da.

Taurus? "Dann sind wir im Krieg!"

Kein Intro nötig. Die bühnenerprobte Politikerin kommt gleich zur Sache. "Wir haben der SPD unsere Inhalte aufgezwungen!", ruft sie in den Saal. Diplomatie auf internationaler Ebene, die Einsicht, dass Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland zu nichts führen würden, Brandenburg gar wirtschaftlichen Schaden nehmen würde, das alles sei ins Bewusstsein gerückt, "weil wir das reinverhandelt haben", sagt Wagenknecht.
 
Keine Pausen zum Durchatmen oder zum Nachdenken, aber immer mit fester Stimme: Wagenknecht spult ihre Inhalte, die aus dem BSW-Wahlkampf bekannt sind, in einem rasanten Tempo runter. Dass sie dabei erwähnt, dass gewisse Entscheidungen nicht Länder-, sondern eben Bundessache sind, dass dazu auch Entscheidungen über mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine gehören, gehen in dem Tempo fast unter. Es geht aber oft noch um Scholz und Habeck, um Krieg und Frieden. Taurus-Raketen an die Ukraine? Die müssten von deutschen Ingenieuren programmiert werden, sagt Wagenknecht. Die Folge? Auf Russland abgefeuerte Taurus-Raketen würde der Kreml als deutschen Angriff verstehen. Die Folge? "Dann sind wir im Krieg!"

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Crumbach: "ein überwältigender Vertrauensvorschuss"

Wagenknecht schließt sich zum Ende ihrer Rede Crumbachs Bitte an, die Delegierten sollten für den Koalitionsvertrag stimmen (und die bevorstehende Bundestagwahl nicht vergessen). Bevor es in die Abstimmung geht, gibt es noch Feedback. Die Delegierten loben den Koalitionsvertrag, betonen, dass das Thema "Frieden" durchaus auch ein Thema für die Landes- und Kreisebene sei. Sie kritisieren aber auch ein wenig, etwa dass im Vertrag steht, dass Anträge und Initiativen anderer Fraktionen seitens SPD und BSW "grundsätzlich" abgelehnt werden. Der BSW-Politiker Niels-Olaf Lüders will es sich da nicht nehmen lassen, juristisch aufzuklären: Der Begriff "grundsätzlich" werde umgangssprachlich zwar anders verstanden, juristisch bedeute er jedoch, dass Ausnahmen explizit möglich seien. Kollektives Ah ... Die Delegierten lassen das sacken.
 
Als die 32 anwesenden stimmberechtigten Delegierten für den Koalitionsvertrag stimmen, also ohne Gegenstimme, spricht Crumbach von einem "überwältigenden Vertrauensvorschuss" und davon, dass das BSW nun "liefern werde".
 
Um 17:29 Uhr, fast zwei Stunden nach Beginn, wird der außerordentliche Landesparteitag für beendet erklärt. Noch am selben Abend stimmen auch die SPD-Delegierten für den Koalitionsvertrag. Der Weg für das erste Rot-Lila-Bündnis Deutschlands ist frei.