Kommunalwahl in Brandenburg Hauptsache kein Parteibuch?
Bei der Kommunalwahl in Brandenburg treten am 9. Juni viele Kandidaten unabhängig von Parteien an. Woran das liegt und warum das für die Parteien bedenklich ist.
So wie auch in einigen anderen Bundesländern haben Brandenburgerinnen und Brandenburger am 9. Juni einen Mammut-Wahltag: Sie wählen nicht nur das europäische Parlament, sondern auch ihre kommunalen Vertreter. Das bedeutet, sie müssen eine Menge Kreuze machen: für Kreistag, Stadtverordnetenversammlungen, Ortsbeiräte sowie ehrenamtliche Bürgermeister und Bürgermeisterinnen.
Diesmal kandidieren in Brandenburg sogar mehr Menschen als vor fünf Jahren: Insgesamt 6.428 Bewerbende wurden zugelassen. Verbale Attacken, körperliche Übergriffe sind offenbar bisher in Brandenburg nicht so abschreckend, dass Menschen auf eine Kandidatur verzichten.
Es treten auch etwas mehr Frauen an als 2019: Knapp 30 Prozent aller Kandidierenden sind weiblich. Viele der Kandidatinnen und Kandidaten sind aber nicht in Parteien aktiv, sondern in Wählerbündnissen als Parteilose. Woran liegt das?
Viele Neulinge in der Kommunalpolitik
Ein Besuch in der Kleinstadt Beelitz südlich von Potsdam. Zwei Frauen und zwei Männer ziehen durch den Ortsteil Beelitz-Heilstätten, verteilen Flyer, sprechen die Bewohner und Bewohnerinnen an. Alle vier sind Neulinge, die vorher mit Kommunalpolitik nichts zu tun hatten.
Die Anwohner reagieren freundlich. Sie wissen schnell, was sich ihrer Meinung nach verbessern muss. "Vor 30 Jahren sprachen wir schon von einem S-Bahn-Anschluss. Jetzt warten wir immer noch", sagt einer. "Alle kleinen Dörfer haben einen Rufbus, nur wir nicht", beschwert sich ein anderer.
Für die Softwaretesterin Beate Niendorf weitet sich mit ihrer Kandidatur und ihrem ersten Wahlkampf der Blick auf ihren Heimatort. Normalerweise kriege man die Meinungen der Leute weniger mit. Es sei spannend, was sie zu sagen hätten.
Beate Niendorf ist in ihrem Wahlkreis unterwegs.
Das Gefühl, "etwas bewegen zu können"
Beelitz-Heilstätten ist ein neuer Ortsteil, der entstanden ist, weil immer mehr Menschen in die Region ziehen. Deshalb wird es nun auch einen ersten eigenen Ortsbeirat geben - ein Neuanfang also in jeder Beziehung. Die vier kandidieren im Wahlbündnis Plan B.
Der Berufssoldat Daniel Rödig, der in Beelitz stationiert ist, muss sich nun in die Kommunalpolitik einarbeiten. "Eine erfahrene Kommunalpolitikerin hat mir erst mal ein Buch mit der Kommunalverfassung geschenkt", erzählt er. Bis Sommer vergangenen Jahres wäre er noch nicht einmal auf die Idee gekommen, sich in den Ortsbeirat wählen zu lassen.
Er war allerdings der Kopf der Bürgerinitiative, die sich dafür einsetzte, dass Beelitz-Heilstätten ein eigener Ortsteil wird. Dass das erfolgreich war, gab ihm das Gefühl, etwas bewegen zu können. Nun macht er also Wahlkampf am Feierabend, an den Wochenenden, hat noch weniger Freizeit - aber es gefällt ihm.
Er empfindet die politische Tätigkeit als sinnvoll. Ihn treiben verschiedene Themen um: Etwa, dass der Ort wächst und die Infrastruktur nicht nachkommt, oder die Trennung von Alt- und Neueinwohnern, die er überwinden will.
Vor Menschen zu sprechen und Menschen anzusprechen fällt Rödig nicht schwer. Das habe er schon in der Bürgerinitiative oder als Ausbilder in der Armee gemacht. Meistens seien die Gespräche positiv, sagt er.
Vier Neulinge in der Kommunalpolitik von Brandenburg - darunter Daniel Rödig (zweiter von rechts)
Wählerbündnisse statt Parteien
Bei der diesjährigen Kommunalwahl in Brandenburg fällt auf, dass zahlreiche Wahlbündnisse, Einzelbewerber und Parteilose antreten, beobachtet Peter Ulrich, Geschäftsführer vom kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam. So wie Rödig und Niendorf mit dem Wahlbündnis Plan B - oder wie Kerstin Michelchen, Peter Kossatz und Petra Dreißig. Die drei engagieren sich in unterschiedlichen Bündnissen für ihren Ort Lieberose im Spreewald.
Von den Parteien distanzieren sie sich. Man müsse vor Ort sein, man müsse wissen, was man machen möchte, und selber anpacken. "Und da hilft dir da leider die Partei gar nicht", meint Michelchen vom "Bündnis Freie Liste Lieberose". Lange war sie CDU-Mitglied, dann ist sie ausgetreten. Durch ihren Blumenladen direkt am Markt in Lieberose und ihre langjährige politische Tätigkeit kennt sie die Probleme hier.
Parteien fehle die Bürgernähe
Kossatz kandidiert für das "Bündnis Zukunft Lieberose". Der Rentner bezeichnet sich selbst als liberal, doch in einer Partei will er sich nicht engagieren. Er hat bei den Parteien teilweise den Eindruck, es gehe "nur um Parteipolitik, nicht um die eigentliche Aufgabe".
Die amtierende Bürgermeisterin Petra Dreißig tritt im "Bündnis Aufbruch Neue Zeit" an. Wie alle ihre Mitstreiter engagiert sie sich ehrenamtlich, sonst arbeitet sie in ihrem Café. Den Parteien fehle die Bürgernähe, findet sie. Das gehe mit einem Bündnis vor Ort besser. 25 Kandidaten treten für die zehn Sitze im Stadtparlament von Lieberose an, alle über Bündnisse. Parteien wird man hier zur Kommunalwahl nicht auf dem Stimmzettel finden.
Eine bedenkliche Entwicklung?
Gordon Hoffmann, Generalsekretär der CDU Brandenburg, glaubt, dass es auch an der Unzufriedenheit mit der Bundespolitik liegt. Als Kommunalpolitiker wolle man nicht damit in einen Topf geworfen werden. "Es ist nicht sonderlich attraktiv, wenn man sich auf dem Marktplatz oder beim Bäcker beschimpfen lassen muss für die Politik der Bundesregierung, mit der die Leute nicht einverstanden sind."
Für den Amtsdirektor von Lieberose, Bernd Boschan, ist die Abkopplung von Parteien auf kommunaler Ebene eine bedenkliche Entwicklung. Er findet es besser, wenn Politiker vor Ort die Sorgen aufnehmen und versuchen, über Kreis- oder Landtag Einfluss zu nehmen. "Das kann nur passieren, indem wir Bürger haben, die das auch in die Parteien tragen."
Parteien werden im ländlichen Raum "irrelevanter"
Politikwissenschaftler Ulrich vermutet, dass die Parteien im ländlichen Brandenburg irrelevanter werden. Es werde immer mehr parteilose Gemeindevertreter geben. Das sei früher schon so gewesen, nehme aber wohl zu. Dass viele Kommunalpolitiker aus ihren Parteien austreten, hält er für kein gutes Zeichen für die parlamentarische Demokratie.
Daniel Rödig, einer der vier Polit-Neulinge im Ortsteil Beelitz-Heilstätten, bezeichnet sich selbst als eher konservativ, aber die Distanz zu den Parteien ist ihm wichtig. "So vertreten wir Sachinteressen, keine Parteiinteressen", betont er.
Wenn es um den öffentlichen Nahverkehr, mehr Spielplätze oder Sport geht, spiele die sonstige politische Meinung keine große Rolle. Doch wenn es um größere Themen ginge, könne man ohne die etablierten Parteien nichts erreichen, davon ist auch Rödig überzeugt. Auf kommunaler Ebene sei das eben anders.