Symbolbild: Ein Zebrastreifen mit Herrchen und Hund nam 18.02.2021. (Quelle:  IMAGO / Rolf Kremming)

Berlin Verkehrssicherheit in Berlin: Wo beim Verkehr Kürzungen wieder gestrichen werden sollen

Stand: 30.11.2024 11:13 Uhr

Mehr als 650 Millionen Euro will die schwarz-rote Koalition in Berlin allein im Verkehrsbereich sparen. Doch die Fachpolitiker von CDU und SPD wollen die Streichbeschlüsse ihrer Parteispitzen so nicht hinnehmen. Von Thorsten Gabriel und Agnes Sundermeyer

"Wir Verkehrspolitiker der Koalition nehmen das Thema sehr, sehr ernst", sagt Tino Schopf am Freitagnachmittag während einer Sitzungspause. Da hat der SPD-Abgeordnete gemeinsam mit seinem Fachkollegen Johannes Kraft von der CDU sowohl einen halben Sitzungstag hinter, als auch noch viele Stunden vor sich.
 
Gemeinsam mit Fachleuten aus der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt brüten die Abgeordneten über den Zahlen, die die Parteispitzen von CDU und SPD Mitte November der Öffentlichkeit präsentiert hatten: eine "Konsolidierungsliste" mit einem Einsparvolumen von mehr als drei Milliarden Euro für 2025.

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Sparbeschlüsse auf tönernen Füßen

Monatelang wurde im kleinen Kreis in Hinterzimmern um die Einsparungen gerungen und gefeilscht. Auch die Fachpolitiker blieben da außen vor. Und immer mehr zeigt sich nun: Trotz des langen Ringens stehen etliche der Sparbeschlüsse auf tönernen Füßen. Oder bleiben unkonkreter als sie auf den ersten Blick aussehen.
 
Das gilt nicht nur im von lautstarken Protesten begleiteten Kulturbereich, sondern trifft auch auf den Verkehr zu. "Die Einsparvorgaben im Einzelplan Verkehr, Umwelt, Klimaschutz sind enorm", räumt Schopf ein. Es sei nun Aufgabe der Fachpolitiker, zu schauen, was sich innerhalb des Haushaltseinzelplans noch verschieben lasse, wo "umgeschichtet" werden könnte. Ungeklärt sind auch viele Umsetzungsdetails – wie beispielsweise die Frage, wie man sich am elegantesten vom 29-Euro-Ticket verabschiedet.

Geld für neue Zebrastreifen und Mittelinseln bleibt erhalten

Tatsächlich sind sich Schopf und Kraft an diesem Nachmittag zumindest in einem Punkt schnell einig, an dem sie ihre Parteispitzen korrigieren wollen: "Im Bereich Verkehrssicherheit wird es keine Kürzungen geben", sagt der SPD-Mann Schopf. Und das sieht auch sein CDU-Kollege Kraft so: "Wir müssen viel, viel mehr für den Fußverkehr tun."
 
Deshalb sollen die zwei Millionen Euro, die beim Haushaltstitel "Verkehrssicherheitsmaßnahmen" als Streichung drinstehen, ihrerseits gestrichen werden. Zwei Millionen Euro weniger – das wäre eine Halbierung der Mittel für den Bau von Mittelinseln und der Schaffung von Zebrastreifen gewesen.

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Auch bei der Verkehrsinfrastruktur soll nicht gespart werden

Doch was sind schon zwei Millionen, die nun irgendwo anders gekürzt werden müssen, angesichts der mehr als 650 Millionen Euro, die insgesamt im Verkehrsbereich aus dem Haushaltsplan rausgestrichen werden sollen?
 
Der CDU-Verkehrspolitiker Kraft beteuert, auch bei der Verkehrsinfrastruktur solle nicht gespart werden. Das allerdings ist schon deutlich schwieriger zu bewerkstelligen, denn hier geht es in Summe um dreistellige Millionenbeträge. Die Beschaffung neuer U-Bahnen und Elektrobusse, aber auch der Bau von U- und Straßenbahn-Strecken haben ihren Preis.

Was bedeuten die Kürzungen für die „Verkehrswende“?

"Wir werden entweder durch alternative Finanzierungsformen oder auch durch andere Fördermodelle dafür sorgen, dass bei der Infrastruktur im Wesentlichen nicht gespart wird", zeigt sich Kraft zuversichtlich, ohne ins Detail zu gehen. Fest steht nur: "Alternative Finanzierungsformen" ist in Koalitionskreisen seit einiger Zeit die beschönigende Umschreibung für Kreditfinanzierung – und zwar auf einem trotz Schuldenbremse machbaren Weg.
 
Bleibt trotzdem die Frage nach dem grundsätzlichen Kurs in der Verkehrspolitik. Folgt man dem Papier, das die Koalitionsspitzen beschlossen haben, sollen Mittel gestrichen werden für Radwege, für bauliche Maßnahmen an Bahnhöfen, für die Verbesserung des Wirtschaftsverkehrs oder auch für die Planung neuer Straßenbahnstrecken. Kann so noch das gelingen, was auch die schwarz-rote Koalition sich als "Verkehrswende" mit in den Koalitionsvertrag geschrieben hat?

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"Damit werden wir niemals die Klimaziele erreichen"

"Diese Sparmaßnahmen, wie sie vorliegen, sind ein Horrorkatalog, weil sie den öffentlichen Nahverkehr schlechter machen", urteilt Wulf-Holger Arndt aus der Wissenschaftsperspektive. Arndt leitet den Forschungsbereich "Mobilität und Raum" [tu.berlin] an der Technischen Universität Berlin. Mit 20 Mitarbeitenden forscht er zum Öffentlichen Personennahverkehr in deutschen Städten und autonomem Fahren.
 
Insbesondere die Streichung von Straßenbahnlinien sei eine "ganz falsche Botschaft", findet er. "Wir brauchen gerade im Sinne der Verkehrswende und des Klimaschutzes einen starken Ausbau des ÖPNV. Hier zu sparen, kann sich Berlin eigentlich nicht leisten. Damit werden wir niemals die Klimaziele erreichen."

Mobilitätsforscher: Straßenbahnstreichung ist ein Fehler

So ähnlich sieht das auch der Mobilitätsforscher Stefan Carsten. Er sitzt im Expertenbeirat des Bundesverkehrsministeriums zum ÖPNV, berät die Deutsche Bahn, aber auch die Automobilindustrie. Mit Blick auf die beiden Tramlinien, die im Koalitionspapier als "Streichung" notiert sind, differenziert er allerdings.
 
Dass es nun wahrscheinlich keine Straßenbahnstrecke vom Alexanderplatz zum Potsdamer Platz geben wird, hält er für das geringste Problem. "Die Strecke ist eher auf Touristen fokussiert. die können sich auch anders in der Stadt bewegen." Die Streichung der Verbindung Johannisthal-Adlershof hält er dagegen für einen Fehler. "Die brauchen wir, um einfach Verbindungen zu schaffen, die heute nicht gegeben sind." Insbesondere für Pendler seien Strecken in Außenbereichen der Stadt essenziell.

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Bei Straßenbahnen noch "politischer Diskussionsbedarf"

Hakt man bei den Verkehrspolitikern der Koalition nach, kann man lernen, dass der Begriff "Streichung" offenbar dehnbarer ist, als man gemeinhin annehmen möchte. "Streichung der Straßenbahnplanung"? Obwohl es exakt so im Sparpapier der Koalition steht, will es der CDU-Abgeordnete Johannes Kraft gar nicht so verstanden wissen. "Da geht es nicht darum, die komplett zu beenden, sondern darum, die Planungen nochmal zu überprüfen, zu überarbeiten und sie gegebenenfalls in anderer Form fortzusetzen."
 
Kraft räumt überraschend offen ein, dass das Sparen an dieser Stelle eher eine nachrangige Rolle spielt. "Das hat jetzt weniger mit dem Haushalt zu tun", sagt er. Es habe bei diesen beiden Straßenbahnlinien "politisch nochmal Diskussionsbedarf" gegeben, deshalb seien sie "zurückgestellt" worden.

SPD will nochmal über Anwohnerparken reden

"Diskussionsbedarf" meldet auf SPD-Seite der Abgeordnete Tino Schopf dagegen für ein anderes Thema an: Die unverändert niedrigen Gebühren für die Anwohnerparkvignette in Höhe von 10,20 Euro. In keiner anderen Stadt Deutschlands können Anwohnerinnen und Anwohner günstiger eine solche Vignette für ihren Parkplatz bekommen als in Berlin – für umgerechnet 2,8 Cent pro Tag.
 
"Ich habe für die SPD-Fraktion sehr deutlich gemacht, dass wir uns vorstellen können, die Gebühr für Anwohnervignetten auf 120 Euro im Jahr zu erhöhen." Damit könnten 25 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr eingenommen werden, die man dann unter anderem für die Sanierung von Gehwegen, für die Verkehrssicherheit, aber auch für Radwege ausgeben könnte, rechnet Schopf vor.

Parkraumbewirtschaftung: CDU will gesamtes System vereinfachen

Das allerdings war mit der CDU nicht zu machen. "Nur an der Kostenschraube zu drehen, wird diesem Riesenproblem nicht gerecht", argumentiert Johannes Kraft. Er verweist darauf, dass allein die Bearbeitung von Anträgen auf Ausnahmegenehmigung vom Anwohnerparken derzeit satte 13 Millionen Euro verschlinge. Deshalb müsse es auch darum gehen, das gesamte System zu vereinfachen.
 
Die CDU arbeite gerade intensiv an einem neuen Modell für die Parkraumbewirtschaftung, sagt Kraft. Wie sich dann die genauen Gebührenhöhen bemessen, werde man dann sehen. Man muss nicht allzu prophetisch begabt sein, um zu vorherzusagen: Wie auch immer dieses Modell am Ende aussieht: Die SPD als mitregierende Partei wird wohl Diskussionsbedarf anmelden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.11.2024, 10:00 Uhr