Berlin Theater| Premiere am Berliner Ensemble: Biedermann und die Besserwisser
Fritzi Wartenberg inszeniert Max Frischs Klassiker vom Fabrikanten Biedermann, der den Brandstiftern seines Hauses selbst die Zündhölzer reicht, als grelles Kasperletheater. Von Barbara Behrendt
"Biedermann und die Brandstifter" geht natürlich immer. Gottlieb Biedermann ist ein Paradebeispiel für den gut situierten Mitläufer, der bei der Obrigkeit nicht anecken will. Aus Feigheit und politischer Dummheit gibt er den Brandstiftern seines Hauses selbst noch die Streichhölzer in die Hand.
Bei der Uraufführung hielt das Publikum Biedermann für das Opfer von kommunistischen Brandstiftern, später waren die Zündelmeister dann die Nazis – und Biedermann ein Mitläufer. In den letzten 20 Jahren gab es Max Frischs Brandstifter auf der Bühne im Gewand von Islamisten, Terroristen, identitären Rechten, Pegida-Unterstützern und natürlich: der AfD. Gezündelt wird zu jeder Zeit – aber vielleicht schon lange nicht mehr so heftig wie heute.
Am Berliner Ensemble ist Frischs "Lehrstück ohne Lehre", wie er es nannte, zuvorderst: ein schräges Kasperltheater. Eine große Puppentheaterkulisse steht auf der Bühne, an deren Rampe sitzt: Gottlieb Biedermann. Eine Marshmallow-dick ausstaffierte Witzfigur, fliederfarbener Anzug, knallgründe Kastenbrille, grotesker Haarwipfel gen Nordost geneigt. In der Hand eine monströse Zigarre und eine überdimensionierte Tageszeitung.
Nichts als Verbote!
Biedermann, so viel lässt sich sagen, gehört zur "Freie Fahrt für freie Bürger"-Fraktion: "Nicht mal eine Zigarre kann man rauchen, ohne an eine Feuersbrunst zu denken. Nichts als Verbote überall… ich bin doch ein freier Bürger, Herrgott nochmal!" Er sucht sofort den Schulterschluss mit dem Publikum: "Ich find’s richtig und wichtig, dass Sie aufpassen. Es wird schon genug gezündelt. Es braucht wachsame. Wie uns."
Nur, dass Biedermann nun einmal der ist, der sich zwar über die Tölpel in der Zeitung beömmelt, die auf Brandstifter reinfallen – sie letztlich aber selbst in sein Haus einlädt und verköstigt. Mit seinem Angestellten, den er eiskalt gefeuert hat, kennt Biedermann keine Gnade. Wohl aber mit den Brandstiftern. Biedermann lacht alles weg. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Das Publikum als Handlanger für die Brandstifter
Die Brandstifter, das sind hier keine politischen Figuren, sondern böse Zauberer im Frack mit überlangem Haar. Sind sie überhaupt real? Wie zwei Teufelchen könnten sie auch, apropos Kasperltheater, auf Biedermanns Schulter sitzen und ihm ins Ohr flüstern. Oder auf denen des Publikums. Das wird nämlich ebenfalls zum Handlanger, wenn es aufblasbare Benzinfässer von hinten bis nach vorne auf die Bühne weiterreicht.
Die junge Regisseurin Fritzi Wartenberg treibt den alten Klassiker, das ist nicht neu, in die Farce. Sie versucht erst gar nicht, Menschen aus Frischs Lehrfiguren zu machen. Das Dienstmädchen ist bei Maximilian Diehle im kurzen Röckchen, auf Highheels und mit Vollbart ein mechanisch ruckelndes Püppchen, das die übergroßen Tassen und gekochten Eier heranschleppt. Von Pauline Knof bleibt unterm Perückenturm nur überkandidelte Biederfrau.
Und Biedermann? Der weiß bei Kathrin Wehlisch ziemlich gut Bescheid über sich und das Publikum: "Sie haben ja leicht reden, Sie sitzen da draußen und wissen wie’s ausgeht. Vergessen Sie nicht, dass ich eine erfundene Figur bin. Mich kann man ja lächerlich machen!"
Biedermann weiß es besser – handelt aber nicht danach
Fritzi Wartenberg will Biedermann als Figur zeigen, die es besser weiß – und trotzdem nicht besser handelt. Egal, in welchem politischen System. Zuletzt reißt Biedermann sogar das Kasperltheater ein, um es den Brandstiftern rechtzumachen. Wenn das mal kein Kommentar zu den aktuellen Kürzungen im Kulturbereich ist. Der Kultursenator als Brandstifter? Wer weiß.
Die Deutungsansätze muss man allerdings aus vielen Ecken zusammenklauben. So nett Wartenbergs Kasperle-Idee ist, so harmlos und beliebig kommt sie mitunter daher. Vieles lacht das Publikum an diesem Abend einfach weg. Wirklich zünden tut da letztlich zu wenig.
Sendung: rbb24 Radio3, 30.11.2024, 08:10 Uhr