Die Ukrainerin Alona Gromow ist nun deutsche Staatsbürgerin. (Quelle: rbb/Juan F. Álvarez Moreno)

Berlin Ein Jahr zentrale Einbürgerungsbehörde: Wie Berlin die Zahl der Einbürgerungen verdoppelte - und bald vervierfachen könnte

Stand: 23.12.2024 06:13 Uhr

In Berlin schafft ein Amt das fast Undenkbare: Es arbeitet komplett digital, schnell - und übertrifft die eigenen Ziele. Die zentrale Einbürgerungsbehörde ging im Januar an den Start und macht nun mehr als hundert Menschen am Tag zu Deutschen. Von Juan F. Álvarez Moreno

Alona Gromow öffnet die Glastür eines frisch sanierten Backsteingebäudes in Berlin-Mitte. Als sie um 11:15 Uhr hereingeht, ist sie Ukrainerin. Kaum 15 Minuten später verlässt sie das Haus wieder - und ist nun auch Deutsche.
 
Knapp zehn Minuten verbringt die 37-Jährige in einem hübsch eingerichteten Wartesaal, dann wird ihr Name gerufen. Sie geht in einen großen Raum, setzt sich auf einen der roten Stühle, auf denen manchmal ganze Familien sitzen. Gromow wird kurz aufgeklärt und bekommt Unterlagen, die sie überprüft. Dann liest sie vor: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte." Der Satz ist gesetzliche Pflicht. Danach wird ihr eine Urkunde ausgehändigt.

Ziel des Senats: 20.000 Einbürgerungen pro Jahr

"Ich habe mich sehr wohl gefühlt", sagt Alona Gromow nach ihrer Einbürgerung, während sie ihre Urkunde stolz in der Hand hält. Dann eilt sie durch den kalten Dezemberregen zum nächsten Termin beim Bürgeramt, wo sie ihren deutschen Pass beantragen will. Draußen sieht man Familien mit Kindern, Paare, Freunde oder einzelne Menschen das Gebäude verlassen. Sie halten ihre Urkunden unter dem Arm, machen Fotos und wirken trotz des dauergrauen Himmels in guter Laune. Wer hier rausgeht, hat einen Grund zu feiern.
 
Überhaupt scheint die zentrale Einbürgerungsbehörde in der Sellerstraße Berlins fröhlichstes Amt zu sein. Anfang des Jahres ging die sogenannte Abteilung S des Landesamtes für Einwanderung (LEA) an den Start und ersetzte die zwölf Einbürgerungsbehörden der Bezirke. Die Politik versprach Effizienz sowie digitale und zentrale Prozesse. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erhoffte sich 20.000 Einbürgerungen pro Jahr, mehr als doppelt so viele wie noch 2023. Wer lange in Berlin lebt, dürfte damals kaum daran geglaubt haben.

Alle Anträge nun online möglich

Doch offenbar hat man es diesmal geschafft. "Wir haben in diesem Jahr schon über 21.000 Menschen eingebürgert", sagt Wiebke Gramm, Leiterin der Einbürgerungsabteilung des Landesamtes. "Wir sind sehr stolz auf unsere Arbeit". Gramm macht deutlich, dass es mehr werden: "Im nächsten Jahr streben wir an, dass wir 40.000 Einbürgerungen schaffen." Das sei realistisch, da die Behörde aktuell 3.000 Einbürgerungen pro Monat schaffe. Außerdem erwarte sie im kommenden Jahr 40 weitere Mitarbeiter.
 
Für die Effizienz des LEA bei Einbürgerungen gebe es mehrere Gründe, so Gramm. So seien die Prozesse digitalisiert und verschlankt worden. "Das erleichtert uns die Arbeit enorm." Jetzt könnten alle Antragsteller den Antrag online stellen, und die Dokumente seien sofort von der Behörde einsehbar. Es gebe keine persönlichen Beratungsgespräche mehr, sondern eine digitale Checkliste. Die Menschen müssten nur einmal in die Behörde kommen – zur Abholung der Einbürgerungsurkunde.

Archivbild: Teilnehmerin am 09.10.2008 eines Einbürgerungstests an der Volkshochschule Kreuzberg . (Quelle: Picture Alliance/Thomas Koehler/photothek.net)
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Manche Fälle brauchen nur noch vier bis sechs Wochen

Ein weiterer Punkt sei das Personal: Während die Einbürgerungsbehörden der Bezirke früher 90 Stellen hatten, verfüge Gramms Abteilung über 178, von denen die meisten bereits besetzt seien. Etwa ein Drittel der Mitarbeiter habe zuvor in den Bezirksämtern gearbeitet.
 
Das LEA kann inzwischen manche Fälle in vier bis sechs Wochen bearbeiten. In Facebook-Gruppen berichten Betroffene von diesem neuen Turbo-Tempo, vor allem bei Menschen aus Indien scheint es sehr schnell zu gehen. Alona Gromow hat hingegen fast zwei Jahre für ihre Einbürgerung gebraucht, weil ihr Fall zwischen dem alten und dem neuen System hing.

"Ich habe ja mal gelernt, dass man es in Deutschland so macht"

Die nun Deutsch-Ukrainerin, die seit 2011 in Berlin lebt, startete den Prozess in der Einbürgerungsbehörde des Bezirks Treptow-Köpenick im Februar 2023. Ihre Dokumente seien sehr gut sortiert, genau wie in einer Liste angefordert, sagt Gromow. "Ich habe ja mal gelernt, dass man es in Deutschland so macht." Sie bekam schnell Rückmeldung, zahlte 255 Euro an Gebühren und wurde informiert, dass das LEA irgendwann ihren Fall übernehmen würde.
 
Dann war lange Stille, wie Gromow berichtet. Im vergangenen Oktober bekam sie einen Brief, und der machte sie darauf aufmerksam, dass digitale Prozesse nicht immer reibungslos funktionieren. "Im August hatten sie sich bei mir per E-Mail gemeldet, allerdings landete diese im Spam-Ordner", sagt Gromow. Sie reichte ein paar Unterlagen nach und bekam vor einer Woche eine Nachricht mit ihrem Termin.

Die zentrale Einbürgerungsbehörde wurde vor einem Jahr geschaffen. (Quelle: rbb/Juan F. Álvarez Moreno)

Das LEA in Mitte.

Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes lässt die Zahlen steigen

Ende Juni trat die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes in Kraft. Seitdem sind beim LEA nach eigenen Angaben die Antragszahlen gestiegen, nun gingen etwa 120 Anträge pro Tag ein. Denn nun können sich Ausländer nach fünf statt der bisherigen acht Jahre Aufenthalt im Land einbürgern lassen. Für die Einbürgerung sprechen mehrere Gründe: Manche wollen an Wahlen teilnehmen dürfen, andere möchten bei der Polizei arbeiten oder sich als Lehrer verbeamten lassen. Und das dürfen sie nur als Deutsche.
 
"Für mich macht das keinen so großen Unterschied, ich habe damit den Wunsch meiner Eltern erfüllt", sagt Alona Gromow. "Sie sind immer noch in der Ukraine, machen sich Sorgen und denken, dass ich als deutsche Staatsbürgerin besser geschützt wäre, falls die Situation irgendwann weiter eskalieren könnte." Sie selbst habe nicht unbedingt wegen des Krieges die Einbürgerung gewollt. Ob sie am 23. Februar wählen wird? "Ich weiß es noch nicht", sagt die Ukrainerin. "Ich war auch nicht dafür bereit, dass es doch kurz vor der Wahl klappt."

Symbolbild: Eingebürgerte zeigen am 17.01.2023 ihre Einbürgerungsurkunden nach einer Einbürgerungsfeierdes Landesamtes für Einwanderung in Berlin. (Quelle: Picture Alliance/Jochen Eckel)
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40.000 alte offene Fälle - teils von 2005

Unklar ist, wann es für diejenigen Menschen klappen wird, die bereits seit vielen Jahren auf ihre Einbürgerung warten. Denn in den Einbürgerungsbehörden der Bezirke hatten sich etwa 40.000 Fälle angestaut. Der älteste Fall stammt laut Angaben des LEA aus dem Jahr 2005. Im Juni konnte die Behörde alle Altvorgänge digitalisiert übernehmen. "Wir möchten diese Altlast wegbekommen", sagt Leiterin Gramm. Ihr langfristiges Ziel sei, künftig alle Anträge innerhalb von wenigen Wochen bearbeiten zu können. Im bundesweiten Vergleich könne Berlin somit "Spitzenreiter" werden.
 
Das hohe Tempo bei den Einbürgerungen wird Berlin voraussichtlich weiter brauchen. Laut einem Sprecher des LEA wurden zwischen Januar und Ende November 40.000 neue, digitale Anträge gestellt. Ein Grund für die große Menge dürfte auch sein, dass laut dem neuen Einbürgerungsrecht die meisten Menschen ihre alte Staatsangehörigkeit nicht aufgeben müssen.
 
Auch Alona Gromow darf ihren ukrainischen Pass behalten. "Ich wäre aber sonst bereit gewesen, ihn abzugeben, um den deutschen zu bekommen", sagt sie. Denn sie fühle sich hier wohl, habe sich an die deutsche Gesellschaft, Regeln und Kultur angepasst, sagt sie. Auch ihr deutscher Ehemann verstärke dieses Gefühl, sagt Gromow: "Jetzt sind die Papiere da, aber ich bin innerlich längst Deutsch geworden."