Hessischer Polizeiskandal "Rechtsextremismus ist Tabuthema"
Der Skandal um rechtsradikale Seilschaften in der hessischen Polizei beschäftigt Politik und Experten. Inzwischen wird gegen 38 Beamte ermittelt. Wie konnte es dazu kommen?
Von Jacqueline Dreyhaupt, HR
Das 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main ist von Billigläden und Sexshops umgeben. Die Konstablerwache, einer der größten Drogenumschlagplätze der Stadt, ist direkt um die Ecke - ein Problemviertel mitten in der Stadt.
Hier fing er an, der wohl größte Polizeiskandal in der jüngeren hessischen Geschichte. Eine Gruppe von sechs Polizisten soll in einem Chat rechtsradikale Nachrichten ausgetauscht haben, das Landeskriminalamt ermittelt wegen Volksverhetzung. Polizisten dieser Wache könnten auch in den Fall der türkischstämmigen Anwältin Seda Basay-Yildiz verwickelt sein. Vom Dienstcomputer der Wache wurden die persönlichen Daten der Anwältin abgerufen. Sie hatte Morddrohungen erhalten.
Die türkischstämmige Anwältin Seda Basay-Yildiz. Sie erhielt mehrere Morddrohungen.
Innenministerium will sich nicht äußern
Ans Licht kamen die Vorfälle im Dezember 2018. Seitdem kommt die hessische Polizei nicht zur Ruhe. Mittlerweile wird gegen 38 Beamte wegen Rechtsextremismusverdachts ermittelt. Scheibchenweise und nur auf öffentlichen Druck wird das bekannt. Kein Kommentar, meint der hessische Innenminister Peter Beuth auch gegenüber tagesschau.de. Er verweist auf den heute tagenden Innenausschuss des Landtags, wo er wieder mal Stellung beziehen soll.
Die Meinungen, wie groß das Phänomen rechter Polizisten ist, gehen weit auseinander. Für Hessens Innenminister sind es nur Einzelfälle. Ähnlich sieht es Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Polizei (GdP). Er ist sauer, dass jetzt 260.000 Vollzugsbeamte unter dem gravierenden Fehlverhalten Einzelner leiden müssten.
Für seinen Kollegen Oliver von Dobrowolski, Vorsitzender von PolizeiGrün, einem Verband kritischer Polizisten, lassen sich die Vorfälle dagegen "nicht mehr als Einzelfälle wegdiskutieren. Rechtsextremismus in den eigenen Reihen war und ist ein Tabuthema", sagt er.
Man befürchtet hohes Dunkelfeld
38 Ermittlungsverfahren allein in Hessen, dazu kämen noch 16 Landes- und drei Bundespolizeien. Dobrowolski befürchtet, dass das Dunkelfeld erheblich ist. "Denn Polizeibedienstete wissen ja aus erster Hand, wie man vorgehen muss, um nicht entdeckt zu werden und keine verwertbaren Beweise zu hinterlassen."
Dass dies nur die Spitze des Eisberges ist, davon ist auch Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke überzeugt. Erschwerend komme hinzu, dass sich die "Polizei ungern in die Karten sehen lässt". Die letzten empirischen Studien über das Innenleben der Polizei stammen aus den 1990er-Jahren.
Die Frage, die viele bewegt, lautet: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Zieht die Polizei Leute mit rechter Gesinnung an? "Nein", sagt Jaschke. Der Politikwissenschaftler hat neben seiner Hochschultätigkeit mehr als 20 Jahre lang Kommissarsanwärter und Beamte für den höheren Dienst ausgebildet.
22 Millionen Überstunden
Im Vergleich zu anderen Jugendlichen seien Polizisten zwar wertkonservativer, aber nicht per se anfälliger für rechtsextreme Einstellungen, sagt Jaschke. "Rassistische Einstellungen werden im Arbeitsalltag erworben", ist er überzeugt. Also im Dienst, in dem die Beamten ganz bestimmte Erfahrungen machten.
Die Gründe dafür seien hausgemacht: Beispielsweise die zu hohe Arbeitsbelastung. Es gebe zu wenig Personal und zu wenig Zeit über Probleme zu sprechen. "Polizisten erleben meistens nur die Schattenseiten von Multikulti", sagt Jaschke. Gerade wenn die Beamten in sozialen Brennpunkten arbeiteten, bräuchten sie Unterstützung und Fortbildungen zum Beispiel in interkultureller Kompetenz.
Müssen alle Beamte für das Verhalten Einzelner büßen? So sieht es zumindest Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Polizei (GdP).
Hinzu kämen 22 Millionen Überstunden, die nicht abgebaut werden könnten. Dies sei eine Dauerbelastung, die deutlich unterschätzt werde. Das verändere Menschen, warnt auch GdP-Chef Malchow .
Ein weiterer Grund für das Abdriften nach Rechts sei das Führungsverhalten einiger Vorgesetzer. Welche Werte, welche Polizistenkultur werden gelebt? Rechtsextreme Äußerungen dürften nicht "als dummer Jungenstreich" geduldet werden, so Jaschke. Und wenn die Wertschätzung fehle, könne das ebenfalls zu Rassismus führen.
Hessische Regierung hat Lehren gezogen
Die gute Nachricht ist: Dagegen kann man etwas tun. Politikwissenschaftler Jaschke sieht hier ganz klar die Polizeiführung in der Pflicht.
In Hessen hat der oberste Dienstherr, Innenminister Peter Beuth, reagiert: Eine Studie soll die Polizei unter die Lupe nehmen und Handlungsempfehlungen für Führungskräfte erarbeiten. Es soll mehr Fortbildungen geben und die Berichtspflichten werden ausgeweitet. Das heißt, bereits kleinere Vorfälle gehen direkt ans Landespolizeipräsidium.
Außerdem ist eine externe, unabhängige Ombudsstelle für Polizisten und Bürger geplant. Die fordern Experten schon lange. In den Niederlanden und Großbritannien hat man damit bereits gute Erfahrungen gemacht. In Deutschland gibt es das bisher nicht.
Malchow ist kein großer Fan davon, er glaubt nach wie vor, dass eine polizeiintere Aufklärung reiche. Aber angesichts der Vorfälle sehe er sich nicht in der Position zu sagen, dass dies "alles Quatsch" sei. Für den Vorsitzenden von PolizeiGrün, von Dobrowolski, ist eine unabhängige Ombudstelle dagegen ein "herausragendes Mittel" um Misstände innerhalb der Polizei aufzuzeigen. Gerade für Polizisten, die sich anders nicht trauten.
Ganz gleich, was getan werde. Es müsse etwas getan werden. Jeder einzelne Fall sei ein Fiasko, denn er erschüttere das Vertrauen in die gesamte Organisation enorm, sagt von Dobrowolski. Er sieht jeden einzelnen Kollegen in der Pflicht und wünscht sich einen "Aufstand der Anständigen".