Konfliktforscher Zick zu Protesten "'Pegida' wird wohl bald untergehen"
Kann ein Dialog zwischen Politikern und "Pegida" funktionieren? "Fraglich", sagt Konfliktforscher Zick gegenüber tagesschau.de. "Pegida" wolle gar nicht reden, sondern lieber alles verdammen. "Aber wer sich abschottet, hat in einer Demokratie kaum Überlebenschancen."
tagesschau.de: Nach wie vor gibt es eine große Ratlosigkeit beim Versuch, das Phänomen "Pegida" zu verstehen. Was ist Ihre Einschätzung? Wer geht da auf die Straße und warum?
Andreas Zick: "Pegida" ist ja nicht vom Himmel gefallen. "Pegida" wurde zwar erst im Oktober 2014 gegründet, die Ideologien wurden aber schon vorher entwickelt: Unter anderem von Leuten, die in den sozialen Netzwerken islamfeindliche Propaganda betrieben, sich als politisch Inkorrekte präsentieren und an Montagsdemonstrationen in Dresden anknüpfen konnten, die gegen die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik demonstriert haben. Schnell kamen Leute dazu, die auch schon vorher gegen entstehende Flüchtlings- und Asylbewerberheime skandiert haben, sowie vereinzelte Rechtsextreme. Nach den ersten Demonstrationen kommen jetzt Menschen, die wir in unseren Studien schon sehr lange beobachten: Menschen, die ausländerfeindliche Vorurteile haben, die gegen die gegenwärtige Zuwanderungspolitik sind und die an einen konspirativen Mythos von Überfremdung und Nicht-Gehörtwerden von der Politik glauben.
Andreas Zick ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Der Sozialpsychologe forscht seit vielen Jahren zu "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit", Vorurteilen, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Was "Pegida" stark gemacht hat, ist vor allem das Selbstbild: Wir wissen, was die Wahrheit ist. Dieser Begriff, Wahrheit, fällt immer wieder, nach dem Motto: Wir sprechen das aus, was als politisch inkorrekt gilt. "Pegida" spielt mit diesem Tabubruch und schöpft Kraft aus der Polarisierung.
Das neue an der Bewegung ist, dass sie sagen, "Wir sind das Volk", wir sind keine Nazis, wir distanzieren uns von Gewalt und wir führen keinen Dialog. Das sind die Pfeiler, die "Pegida" im Kern zusammenhalten. Und alle diese Elemente zusammen ziehen viele Menschen an, besonders in Sachsen, wo wir ohnehin so eine Mischung haben aus Politikverdrossenheit, Politikerschelte und dem Bedürfnis, menschenfeindliche Meinungen laut aussprechen zu dürfen.
"Sachsen hat ein Demokratiedefizit"
tagesschau.de: Also sehen Sie in "Pegida" vor allem ein sächsisches Phänomen?
Zick: Ja. Wir beschäftigen uns schon seit 20 Jahren mit der Frage, warum sich beispielsweise Rechtsextremismus in manchen Gebieten stärker ausbreitet als in anderen. Und da stellen wir in Sachsen schon sehr lange ein Demokratiedefizit fest: Da ist die Meinung weit verbreitet, dass Demokratie oft nicht die beste aller Formen sei, weil sie Probleme zerrede, statt sie zu lösen; es gibt bei vielen auch den autoritären Wunsch nach einer starken Person an der Spitze.
Und Bewegungen wie "Pegida" bilden sich der Erfahrung nach in der Tat eher lokal aus. Erst mit wachsenden Teilnehmerzahlen kam die Idee auf, dass man deutschlandweit erfolgreich sein kann. Der Sog der großen Zahl hat auch anderswo in Deutschland Menschen angezogen, weil man merkte: Wir ziehen Aufmerksamkeit auf uns, so lange wir wachsen. Aber das konnte nicht klappen. Bei solchen Bewegungen gibt es immer einen lokalen Prototypen, und an den kommen die kleinen Ableger nicht ran. Kleine Aufmärsche von 50, 60 Leuten in manchen westdeutschen Städten fühlen sich eben nicht als Erfolg an, weil man sich immer an den Zahlen in Dresden misst.
"'Pegida' will keine Antworten geben"
tagesschau.de: Geht es den Demonstranten nur darum, Frust abzulassen? Oder wofür genau gehen sie auf die Straße?
Zick: Darauf wird man von den allermeisten schlichtweg keine Antwort bekommen. Es ist auch gar nicht im Sinne von "Pegida", Antworten zu geben. Wir haben es hier mit einer sehr autoritären und machtorientierten Bewegung zu tun. Die werden einen Teufel tun, konkrete Angebote zu machen, denn in diesem Moment wären sie haftbar.
Man fordert etwas diffus die Verschärfung von Gesetzen, ein aggressiveres Vorgehen gegen Ausländer, man möchte etwas gegen Wirtschaftsflüchtlinge tun, aber kein Mensch bei "Pegida" kann einem erklären, was eigentlich ein Wirtschaftsflüchtling ist. Es zeigt sich ein sehr menschenfeindliches Bild von bestimmten Gruppen in der Gesellschaft, aber auf der anderen Seite möchte man auch wieder als gut dastehen. Es wird immer wieder betont: Wir haben ja nichts gegen Flüchtlinge.
Wir beobachten das immer wieder bei radikalen Bewegungen, dass sie von Aussagen zusammengehalten werden, für die sie keine Haftung übernehmen müssen. Das ist ein altes Propagandawerkzeug, man verdammt alles in Bausch und Bogen und sagt eigentlich nur: Wenn andere die Macht hätten, wäre alles besser.
"Viele wollen mehr deutsche Tradition und Werte"
tagesschau.de: Es ist immer wieder die Rede davon, dass zu einem Großteil die Mitte der Gesellschaft bei "Pegida" versammelt ist. Die Aussagen einzelner "Pegida"-Teilnehmer gegenüber Fernsehteams oder bei Befragungen sprechen aber eine andere Sprache. Was davon stimmt?
Zick: Wir haben eine ganze Reihe von Menschen am rechten Rand der Mitte, darunter sind AfD-Sympathisanten, ältere Menschen, aber auch gerade Jüngere, die für diese Meinungen mehr und mehr anfällig scheinen. Wir haben im vergangenen Jahr eine Studie herausgegeben mit dem Titel: "Fragile Mitte". In diesen Erhebungen kann man "Pegida" schon herauslesen. Auffällig war dabei, dass diese Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie Etabliertenvorrechte für sich in Anspruch nehmen. Sie sagen: Deutsche Tradition und Werte müssen wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden.
Wir haben das "fragile Mitte" genannt, weil diese Menschen sich zwischen zwei Polen bewegen: Einerseits akzeptieren sie, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, sagen aber, "wir müssen die Dominanz behalten. Die christlich-abendländische, weiße, homogene Mehrheitsgesellschaft muss unser Standard sein." Sie spüren, dass das verloren geht, also reklamieren sie vermeintliche alte Vorrechte und sie fangen an, die Mitte zu polarisieren und die Risse im demokratischen Gebilde zu vergrößern.
Hinzu kommt um "Pegida" herum eine breite Schicht von Menschen, die sagen: Ich laufe da zwar nicht mit und ich weiß, dass ich Muslime eigentlich gut finden soll, aber irgendwie hat "Pegida" doch auch Recht. "Pegida" arbeitet sich an Muslimen und dem Islam ab und kann damit bei vielen punkten, denn es fehlt eine gesellschaftliche starke Norm gegen die Vorverurteilung von Muslimen, es fehlen positive Stereotype und man kann auf Integrations- und Informationsprobleme verweisen.
"Es muss Bedingungen für den Dialog geben"
tagesschau.de: Viele Politiker suchen jetzt den Dialog. Ist das der richtige Weg?
Zick: Es gibt keinen richtigen Weg. Demokratie lebt davon, Dinge auszuprobieren, die auch scheitern dürfen. Zunächstmal hat die Gesellschaft in den vergangenen Wochen und Monaten einen massiven Anhörungsprozess betrieben. Die Medien haben viel mehr Menschen gehört, die "Pegida"-Meinungen vertreten als Menschen, die bedroht sind. Viele Juden oder Menschen ausländischen Aussehens besorgt das. Sie fragen sich: Kann ich noch auf die Straße gehen? Da müssen wir uns die Frage stellen, wie lange wollen wir solchen menschenfeindlichen Äußerungen noch so viel Gehör verschaffen?
In den Dialog gehen sollte man aber auf jeden Fall. Man sollte den Leuten aber nicht hinterherrennen, sondern in einem Dialog sollte man immer Bedingungen nennen. Die Distanzierung von Gewalt würde mir da nicht reichen. Es braucht eine Bereitschaft, sich andere Meinungen anzuhören und diese zu tolerieren. Dann müsste "Pegida" aber dafür sorgen, dass die Leute in ihren Reihen aufhören zu hetzen. Und das werden sie nicht tun.
"Ein Besuch in der Moschee, und die Einstellung ändert sich"
tagesschau.de: Viele "Pegida"-Anhänger scheinen aber gar nicht reden zu wollen. Wie soll ein Dialog funktionieren?
Zick: In der Tat wollen viele nicht reden. Einzelne Punkte, die "Pegida" nennt, wären ja auch leicht auszuhebeln. Die Annahme, dass wir eine Überfremdung haben, ist ja angesichts der hohen Zahl an Abschiebungen vollkommen irreal. Ein Kern von "Pegida" wird sich abschotten. Funktionieren kann ein Dialog aber mit Einzelnen. Laut unseren Studien gibt es Mitläufer, die zweifeln und die auf wichtige Fragen keine Antworten haben. Die kann man erreichen. Denn Lernprozesse finden immer dann statt, wenn Menschen ambivalent sind und beispielsweise nicht wissen, sind Muslime eigentlich gewalttätig? Wir wissen aus Erhebungen: Ein Besuch in der Moschee, und die Einstellung ändert sich.
Wir müssen nicht so sehr die Mentalitäten ändern, sondern wir müssen es schaffen, in Sachsen und in Dresden für mehr Vielfalt zu sorgen und für eine Akzeptanz von Vielfalt. Dann ändern sich auch die Menschen. Aber das ist ein Lernprozess, der viele Jahre dauert. In dem von "Pegida" viel gescholtenen Nordrhein-Westfalen , wo wir trotz aller Konflikte eine stabile, vielfältige Gesellschaft haben, ging das auch nicht von heute auf morgen.
"Soziale Medien helfen 'Pegida' zu überleben"
tagesschau.de: Wie wichtig sind Soziale Medien für "Pegida"?
Zick: Unglaublich wichtig. Die Bewegung kann sich auch deshalb so lange halten, weil sie sich ihrer Weltbilder immer wieder in sozialen Netzwerken - vor allem facebook, twitter und diversen Blogs - versichert. Das folgt einem bestimmten Muster: Im Vorfeld der Proteste am Montag gibt es Vorbereitungen, es wird das Motto gefunden, die Aktionsform geplant, wie nun zum Teil Gastredner einzuladen; während des Protestes kommentieren viele Teilnehmer und auch Dienstags gibt's dann noch sehr viel Austausch im Netz. Da werden die Mainstream-Medien kommentiert und immer wieder die zentralen Merkmale der eigenen Identität hervorgehoben: es geht um Heimat, die Anderen, den Staat und die Lügenpresse. Das ist eine Art Selbstvergewisserung, die die Bewegung immer neu befeuert.
tagesschau.de: Das heißt, "Pegida" schafft sich seine eigene Öffentlichkeit, weil sie der etablierten Medienöffentlichkeit nicht traut?
Zick: Genau. "Pegida" ist ja auch unter Druck, sie wissen ja, dass weite Teile der Republik sich von ihnen distanzieren. Also ist es wichtig, wenn man schon nicht mit der Presse redet, die eigenen Reihen immer wieder zu schließen. Wir werden sehen, ob sich das ändert, wenn sich erste "Stars" profilieren und Führung beanspruchen. Das beginnt ja bereits.
"Internet bietet Möglichkeit der Radikalisierung"
tagesschau.de: Sind die ungefilterten Ressentiments, die wir schon lange in Kommentarspalten von Medien und Sozialen Netzwerken beobachten, eine Art Vorläufer von "Pegida"?
Zick: Zum Teil ist es genau das gleiche. Und in den Sozialen Netzwerken haben wir das Problem fehlender Normen. Es gibt dort kaum die Möglichkeit, diesen menschenfeindlichen Äußerungen zu widersprechen.
Was wir unterschätzen ist, dass das Internet eine Möglichkeit der Selbstradikalisierung bietet, gerade im rechtspopulistischen Spektrum. Wir haben die Illusion, dass durch das Rauslassen von Hass und Frust in Kommentaren die Aggression gemindert würde. Das stimmt aber nicht in Communities, in denen der Frust immer wieder aggressiv auf Sündenböcke gerichtet wird. Das macht Menschen eher radikaler.
"'Pegida' wird bald nicht mehr so sichtbar sein"
tagesschau.de: Wie geht’s jetzt weiter mit "Pegida"? Was ist Ihre Prognose?
Zick: Ich denke, dass jetzt ein Ermüdungseffekt eintreten wird. Die Bewegung wird meines Erachtens nicht mehr wachsen, sich aber stärker strukturieren und Rollen verteilen. Sie wird sich aber sicher nicht auf die Mehrheitsgesellschaft zubewegen, sondern weiter versuchen zu polarisieren und die Stimmung anzuheizen. In einer offenen, vielfältigen Gesellschaft, haben Gruppen, die sich abschotten, keine sehr großen Lebenschancen. Sie können sich in ihre Nischen zurückziehen, im Internet in ihren Konspirationszirkeln, aber ich denke man darf darauf vertrauen, dass sie da untergehen werden.
Wir werden sie als lokale Bewegung weiter wahrnehmen. In kleineren Gruppen und Aktionsformen werden "Pegida"-Anhänger sicher auch bundesweit Akzente setzen, beispielsweise wenn es um neue Moscheebauten geht. Es wird Annäherungen an die AfD geben, in dieser Partei werden die Meinungen von "Pegida" also weiter präsent sein.
Wahrscheinlich wird "Pegida" bald nicht mehr so sichtbar sein. Wir müssen uns aber dennoch Sorgen machen um diese weit verbreiteten Vorurteile in der Gesellschaft. Denn es hilft Demokratie ja nicht, wenn die Menschen mit ihren "Pegida"-Meinungen wieder hinter den Gardinen verschwinden.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.