Islamwissenschaftler zu "PEGIDA"-Protesten "Muslime sind verängstigt"
Durch die wachsende Zahl von "PEGIDA"-Anhängern werden Muslime in Deutschland eingeschüchtert, sagt der Islamwissenschaftler Bülent Ucar. Im tagesschau.de-Interview berichtet er von Pöbeleien und Drohungen. Die Mehrzahl der Deutschen sei aber weltoffen.
tagesschau.de: Die Zahl der "PEGIDA"-Demonstranten in Dresden hat sich gegenüber der vergangenen Woche nochmal deutlich erhöht. Sie demonstrieren gegen eine vermeintliche Islamisierung des Abendlandes. Was löst das in Ihnen aus?
Bülent Ucar: Viele Muslime sind eingeschüchtert und verängstigt durch diese Entwicklung. Sie sind sensibler und aufmerksamer geworden. Vor allem, diejenigen, denen man ihr Muslimsein ansieht: Frauen mit Kopftuch oder Männer mit einem ausgeprägten Bart. Mich erinnert diese Entwicklung an dunkle Zeiten in Deutschland, an die Zeit vor Solingen und Mölln.
Das Groteske an der Situation ist: Das Hauptmotiv der Leute, die da auf die Straße gehen, ist Angst vor vermeintlicher Überfremdung, vor Muslimen im Allgemeinen. Aber was sie tun, ist, wiederum die Angst der Muslime in Deutschland zu verstärken. Vergessen wird hierbei, dass Muslime eine sehr heterogene Minderheit sind.
tagesschau.de: Bekommen Sie bzw. andere Muslime bereits Auswirkungen dieses Phänomens zu spüren?
Ucar: Muslimische Mitarbeiter an unserer Universität sind in den vergangenen Wochen angepöbelt worden. Wir bekommen auch beleidigende E-Mails und Drohungen aus diesen Kreisen. Wir haben bereits Strafanzeige gestellt.
Andererseits gibt es Solidaritätsbekundungen von Bekannten und Freunden, von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kirchen und Gewerkschaften. Das ist sehr erfreulich. Ich bin der festen Überzeugung, dass die große Mehrheit der Menschen in diesem Land für Vielfalt und Weltoffenheit steht und die Werte des Abendlandes, wie Religionsfreiheit und Pluralismus tatsächlich verteidigen. "PEGIDA" hingegen verbreitet unter dem Vorwand abendländischer Werte nur rechtes, menschenverachtendes Gedankengut.
"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"
tagesschau.de: Es ist von "ganz normalen Bürgern" die Rede, die unter den Demonstranten seien und deren Sorgen man ernst nehmen müsse. Können Sie das nachvollziehen?
Ucar: Nicht wirklich. Die Angst vor einer angeblichen Überfremdung durch Muslime steht ja in einem eklatanten Widerspruch zu den tatsächlichen Zahlen. Die Fremden- und Islamfeindlichkeit ist gerade dort am stärksten, wo die wenigsten Muslime leben. Viele dieser Menschen scheinen unter einer pathologischen Wahrnehmungsstörung zu leiden. Dafür habe ich kein Verständnis.
Ich kann aber durchaus nachvollziehen, wenn Menschen von Terroranschlägen, die im Namen des Islams verübt werden, irritiert und verängstigt sind. Aber ich erwarte von einem mündigen Bürger, dass er unterscheiden kann und diese Anschläge von Extremisten nicht mit den 1,5 Milliarden Anhängern einer Weltreligion in einen Topf wirft.
tagesschau.de: Wie erklären Sie sich den Zulauf der "PEGIDA"-Bewegung?
Ucar: Ich denke, Islamfeindlichkeit ist zu einem Surrogat für Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen geworden. An dieser Entwicklung sind auch die Medien nicht ganz unschuldig. Die Berichterstattung unserer Leitmedien über den Islam ist oft sehr verallgemeinernd. Die Cover der großen politischen Magazine aus den vergangenen Jahren stellen dunkelste Szenarien einer islamischen Bedrohung dar. So etwas prägt sich im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft ein, erst recht dort, wo die Menschen wenig Kontakt zu Muslimen haben. Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
Es wird immer übersehen, dass die Leidtragenden des religiösen Extremismus in erster Linie nicht die Nicht-Muslime sind oder der Westen. Die Leidtragenden sind die Muslime selbst, einerseits weil meist Muslime die Opfer der Terroranschläge in der islamischen Welt sind. Andererseits weil sie im Westen unter Generalverdacht stehen.
"Kein Dialog mit menschenverachtenden Wortführern"
tagesschau.de: Wie sollte man auf die "PEGIDA"-Bewegung reagieren? Was können Politik und Gesellschaft tun?
Ucar: Politik und Medien müssen hier Klartext sprechen und diese Bewegung so darstellen, wie sie ist: großenteils fremdenfeindlich, auch wenn sie viele Menschen aus der bürgerlichen Mitte anspricht. Hier muss man klar abgrenzen: Was ist antidemokratisch, wo sind vielleicht auch berechtigte Forderungen?
Auch wir Muslime sollten uns noch stärker öffnen, in unseren Beziehungen zu Nachbarn, Mitmenschen, gerade Moscheegemeinden könnten hier einiges tun. Besonnene Muslime könnten sich noch häufiger zu Wort melden. Andererseits haben sich die islamisch-theologischen Zentren vor einigen Wochen erst klar gegen islamischen Extremismus positioniert.
tagesschau.de: Mehrere Politiker und Experten fordern den Dialog mit "PEGIDA"-Demonstranten. Ist das der richtige Weg?
Ucar: Es kommt auf die Ansprechpartner an. Mit menschenverachtenden Wortführern würde ich keinen Dialog führen. Aber hier muss man unterscheiden: Wo hat man es mit Menschen zu tun, die verängstigt sind und sich missbrauchen lassen durch diese Rattenfänger? Mit denen müsste man versuchen in Kontakt zu treten.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de