Ostermärsche in Deutschland "Nein zum Krieg"
Gegen den russischen Angriff - aber auch gegen Waffen für die Ukraine. In Dutzenden Städten ist heute die Friedensbewegung auf der Straße. Sie hält ihre Forderungen für hochaktuell - doch die Kritik an ihr ist deutlich.
In fast 80 Städten sind Menschen zu Ostermärschen der Friedensbewegung auf die Straße gegangen. Hauptthemen sind die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und Kritik an der geplanten massiven Aufrüstung der Bundeswehr. Die Veranstalter registrierten eine "höhere Beteiligung" als in den Vorjahren bei mehr als 70 Aktionen.
In Niedersachsen fanden rund 15 Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationszüge statt. Nach Polizeischätzungen kamen etwa in Bremen und Berlin jeweils rund 1200 Menschen zusammen. Auch in Duisburg und Köln nahmen Hunderte Demonstranten an Auftaktveranstaltungen teil. Auf Transparenten stand "Ukraine-Krieg beenden" oder "Nein zum Krieg" und "Wer Waffen liefert, wird Krieg ernten".
"Unsere Forderungen aktueller denn je"
"Unsere Forderungen nach Frieden und Abrüstung sind aktueller denn je, auch mit Blick auf die Gefahr einer möglichen nuklearen Eskalation", erklärte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn, das die regional verantworteten bundesweiten Aktionen koordiniert.
Eberhard Przyrembel vom Ostermarsch Rhein-Ruhr sagte mit Blick auf die Ukraine, der "skandalöse und einmalig grausame Krieg" Russlands offenbare auch politisches Versagen in Deutschland, "denn 18 Jahre lang haben alle Bundesregierungen dieselbe 'wehrhafte' Friedenspolitik mit der Rüstungsindustrie betrieben". Die jetzt angekündigte massive Erhöhung der Rüstungsausgaben sei "keine Zeitenwende, sondern die hoffnungslose Fortsetzung immer desselben".
Die Ostermärsche haben eine jahrzehntelange Tradition. Inspiriert wurden die ersten Aktionen von britischen Friedensaktivisten, die an Ostern 1958 einen Protestmarsch zum Atomwaffen-Forschungszentrum Aldermaston organisierten. An den Ostertagen im April 1960 demonstrierten im niedersächsischen Bergen-Hohne mehr als tausend Pazifisten gegen Atomwaffen - der erste Ostermarsch für Frieden und Abrüstung in Deutschland.
1964 waren es bereits 20 Ostermärsche. Nach einer längeren Pause in den 1970er Jahren erhielt die Ostermarschbewegung zu Beginn der 1980er Jahre mit den Protesten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen neuen Auftrieb. Damals kamen Hunderttausende zu den Kundgebungen. Danach wurden die Proteste kleiner.
In den Jahren vor der Corona-Pandemie beteiligten sich regelmäßig mehrere tausend Menschen an verschiedenen Osteraktionen, wie zum Beispiel Mahnwachen, Demonstrationen und Blockadeaktionen, Fahrradtouren und Friedensgebeten.
Hauptthemen sind weiterhin Kriege und Konflikte sowie Waffenexporte, Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Risiken der Atomkraft. Immer wieder wurden aber auch neue Themen aufgegriffen, zuletzt etwa die Klimaschutzbewegung.
Dilemma im Handeln
Der Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerkes in Niedersachsen, Michael Thiel, sprach mit Blick auf die Ukraine von einem Dilemma. "Auf der einen Seite müssen wir uns deutlich und klar gegen jede Rüstung und Aufrüstung zu Wort melden", sagte er. "Auf der anderen Seite können wir nicht einfach zusehen, wie Menschen entrechtet, getötet oder um ihre Heimat gebracht werden durch einen eindeutigen Bruch des Völkerrechtes."
Habeck: Pazifismus "ein ferner Traum"
Vizekanzler Robert Habeck warnte hingegen vor einem Missbrauch der Demonstrationen. "Frieden kann und wird es nur geben, wenn Putin seinen Angriffskrieg stoppt", sagte der Grünen-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es sollte also bei den Ostermärschen deutlich werden, dass sie sich gegen den Krieg des russischen Präsidenten richten: "Es ist eindeutig, wer in diesem Krieg Angreifer ist und wer sich in schwerer Not verteidigt und wen wir unterstützen müssen - auch mit Waffen."
Pazifismus sei im Moment "ein ferner Traum", sagte Habeck. Putin bedrohe die Freiheit Europas. "Kriegsverbrechen sind offenkundig Teil seiner Kriegsführung. Wehrlose Zivilisten werden gezielt getötet, Kriegsgefangene hingerichtet, Familien ermordet, Krankenhäuser mit Raketen beschossen." Für ihn gelte, dass "Zuschauen die größere Schuld" sei.
Recht auf Waffen zur Selbstverteidigung
Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff griff die Ostermarschbewegung erneut scharf an. Er warf ihr eine Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine vor. "Die Leute, die solche Märsche organisieren, sind eigentlich keine Pazifisten, sondern die fünfte Kolonne Putins", sagte Lambsdorff im WDR. "Sie versuchen, den Westen zu schwächen und die Ukraine zu diskreditieren."
Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung betonte auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Das Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" sei aktuell eine Arroganz gegenüber den Menschen in der Ukraine, sagte Thierse dem Bayerischen Rundfunk. Pazifismus auf Kosten anderer sei zynisch.
Käßmann verteidigt Ostermärsche
Die ehemalige EKD-Vorsitzende Margot Käßmann verteidigte bei NDR Info die kritische Haltung der Friedensbewegung. Mehr Waffen führen aus ihrer Sicht nicht zu einem Ende des Krieges.
Im Gegenteil: "Die größte Gefahr ist im Moment doch, dass dieser Konflikt so eskaliert, dass NATO-Staaten tatsächlich Kriegspartei werden und dann muss ich sagen, ist die Angst in der Tat berechtigt. Weil ein solcher Krieg doch wahrscheinlich zum Einsatz von Atomwaffen führen würde." Es sei nicht gerecht, Menschen, die sich seit Jahrzehnten für Frieden einsetzten, vorzuwerfen, sie stünden auf der Seite Russlands.
Linkspartei warnt vor Kriegsbeteiligung
Rückenstärkung kam auch von der Linkspartei. Für Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, setzen die Ostermärsche ein wichtiges Zeichen für die Beendigung des Krieges in der Ukraine, den Rückzug der russischen Truppen. "Wer dagegen immer mehr Waffen in das Kriegsgebiet Ukraine liefern will, setzt auf Eskalation und riskiert eine Kriegsbeteiligung Deutschlands“, erklärte sie. "Dieser Wahnsinn muss verhindert werden."
Weitere Demonstrationen sind geplant. So ruft die Friedensbewegung am Ostermontag zum Beispiel zu einer Kundgebung vor dem Luftwaffenstützpunkt Büchel in Rheinland-Pfalz auf.