Nebeneinkünfte von Abgeordneten Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?
Dass viele Politiker einer Nebentätigkeit nachgehen, ist nicht neu. Wohl aber, dass Abgeordnete damit mehr als 20 Millionen Euro verdienen. Was sie genau tun, das lässt sich oft schwer nachvollziehen und wirft Fragen auf: Wie unabhängig sind Politiker? Woran scheitert eine transparentere Neuregelung?
Mindestens 22,5 Millionen Euro - so viel Geld haben alle Abgeordneten des Bundestags seit Beginn dieser Legislaturperiode nebenher verdient. Fast jeder dritte Volksvertreter hat Einkünfte aus Nebentätigkeiten: 192 von 620 Mitgliedern. Das ist das Ergebnis einer Berechnung der Organisation abgeordnetenwatch.
Zwei Mitarbeiter haben die Datenbank des Bundestags durchsucht und ausgewertet. "Das Ergebnis ist eine konservative Schätzung", sagt Martin Reyher von abgeordnetenwatch. Wenn Mitglieder während der Legislaturperiode ausschieden oder ihre Nebentätigkeiten beendeten, haben Reyher und sein Kollege die Summen nicht erfasst: "Die tatsächlichen Nebeneinkünfte sind wahrscheinlich viel höher."
Nebeneinkünfte sind in drei Stufen anzugeben
Der Grund: Wer im Bundestag sitzt, muss offen legen, von wem er Geld bekommt, aber nicht wieviel. Das schreiben die Verhaltensregeln vor. Derzeit gibt es drei Stufen, in die sich die Abgeordneten selber einordnen: 1000 bis 3500 Euro, bis 7000 Euro und mehr als 7000 Euro. Drei Monate haben die Volksvertreter Zeit für die Meldung beim Bundestag, dann kann das Präsidium ein Ordnungsgeld bis zur Hälfte der jährlichen Diäten festsetzen. Die Angaben der Parlamentarier werden jedoch nicht überprüft. Mitgliedern der Bundesregierung sind Nebeneinkünfte verboten.
Seit 2007 gilt diese Regelung. Immer wieder wird eine Verschärfung diskutiert, durchgesetzt wurde sie bisher noch nicht. Die Erträge aus Nebentätigkeiten sind seit dem Inkrafttreten gestiegen. Laut einer Studie der Beratungsfirma deducto verdienten 2007 die Abgeordneten 5,8 Millionen Euro nebenher. Ein Jahr später waren es bereits 6,66 Millionen Euro.
Keiner verdient so gut wie Steinbrück
Durch die Diskussion über den "Honorarkönig des Bundestags", wie die Linksparteivorsitzende Katja Kipping SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück nannte, wurde aus einer alten Debatte ein neues Wahlkampfthema. Denn von den Parlamentariern verdient laut abgeordnetenwatch keiner so viel wie Steinbrück. Mindestens 532.000 Euro brachten ihm Vorträge und Lesereisen ein. Neben den monatlichen Diäten von derzeit 7960 Euro. Gefolgt wird Steinbrück von Michael Glos, dem ehemaligen Wirtschaftsminister. Er verdient als Berater des US-Finanzinvestors RHJ, als Aufsichtrat zweier Banken und als Beiratsvorsitzender eines deutsch-katarischen Handelsforums ebenfalls kräftig dazu. "Glos ist auf jeden Fall auch unter den Top 10 im Bundestag", sagt Reyher.
Ein Top-Nebenverdiener ist auch der Alterspräsident des Bundetags, Heinz Riesenhuber. Er hatte bereits 2007 seine diversen Nebentätigkeiten verteidigt: "Letztlich entscheiden doch die Bürger, ob ich im Wahlkreis ausreichend präsent bin." Der Unionspolitiker gibt derzeit sechs Nebentätigkeiten an, unter anderem als Berater bei Kabel Deutschland. Durch gute Arbeitsorganisation vereinbare er diese mit seinem Mandat.
Alterspräsident Heinz Riesenhuber im Bundestag
Was ist Haupt-, was ist Nebentätigkeit?
Dass dieser Spagat nicht immer gelingt, wirft abgeordnetenwatch Peer Steinbrück vor: Seit der Bundestagswahl 2009 habe er bei 17 von 62 wichtigen namentlichen Abstimmungen gefehlt, in mindestens zwei Fällen sei er zeitgleich einer Nebentätigkeit nachgegangen.
Was ist Haupt-, was ist Nebentätigkeit? Und vor allem, wie unabhängig sind die Abgeordneten? Über solche Fragen sind in der Vergangenheit bereits einige Politiker gestolpert. 2004 musste der damalige CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zugeben, dass er entgegen seiner Darstellung weiterhin Geld von seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Stromkonzern RWE, erhalten hatte. Den SPD-Politiker Jann-Peter Jansen kosteten 2005 Nebeneinkünfte vom VW-Konzern sein Bundestagsmandat.
Abgeordnete mit pikanten Nebeneinkünften
Abgeordnete, die Gehälter von ihren früheren Arbeitgebern ausgezahlt bekommen, gibt es auch im 17. Bundestag. Die Verflechtung von Wirtschaft und Politik wird dabei besonders deutlich: Der FDP-Politiker Martin Lindner bekommt von seiner ehemaligen Anwaltspraxis pro Jahr mehr als 7000 Euro. Die Besonderheit: Die Kanzlei hat unter anderem für die juristische Begleitung des Vertrags mit Dänemark über die Fehmarnbelt-Querung laut der Nachrichtenagentur dpa ein Honorar von 654.000 Euro erhalten.
Lindners FDP-Kollege Marco Buschmann bekam 2009 ebenfalls Stufe drei von seinem früheren Arbeitgeber. Die internationale Kanzlei half der Bundesregierung in den vergangenen Jahren bei diversen Gesetzen, etwa bei Errichtung einer Bundesanstalt für Digitalfunk. Auch aus der Union gibt es Beispiele für ähnliche Nebentätigkeiten.
Streit dreht sich vor allem um die untere Grenze
Ob darin der Grund liegt, weshalb bislang keine Einigung über schärfere Regelungen für die Offenlegung von Nebentätigkeiten gefunden wurde? Die zuständige Rechtsstellungskommission vertagte sich zuletzt ohne Ergebnis, obwohl sich alle Parteien bereits 2011 darauf geeinigt hatten, ein neues, sieben-stufiges Modell einzuführen.
Zwischen den Parteien wird besonders um die untere Grenze gestritten, ab der Einkünfte bei der Bundestagsverwaltung angezeigt werden müssen. Nach den bisherigen Plänen läge die bei 10.000 Euro pro Jahr, was laut Opposition Lobbyisten die Möglichkeit einer Einflussnahme biete. Mehrere Verbände waren ebenfalls Sturm gelaufen. Seitdem ruhen die Pläne. Bis jetzt.