Modellprojekt startet Muezzin darf in Köln rufen
Die Türkisch-Islamische Union DITIB in Köln kann heute erstmals den Muezzin per Lautsprecher zum Gebet rufen lassen: Höchstens fünf Minuten und mit begrenzter Lautstärke. Doch es gibt weiterhin Kritik am Plan.
"Der öffentliche Gebetsruf ist ein Zeichen für Beheimatung der Muslime", sagt Abdurrahman Atasoy der Türkisch-Islamischen Union DITIB und begrüßt die Einigung mit der Stadt Köln. "Dies ist ein wichtiger Schritt in der Wahrnehmung der muslimischen Glaubensgemeinschaft als Teil der Gesellschaft." An der Kölner Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld wird gegen 13.24 Uhr erstmals der Muezzin öffentlich zum Freitagsgebet rufen.
Zwei kleine Lautsprecher sind oben an der großen Holztür am Haupteingang angebracht. Der Ruf darf laut Stadt Köln nicht lauter als 60 Dezibel sein und wird wohl über die Lautsprecher nur bis zum Fußgängerweg an der Moschee hörbar sein. Es geht um den Freitag, es geht um fünf Minuten zur Mittagszeit.
Doch wie viel Religion verträgt die Öffentlichkeit? Bislang ruft der Muezzin ohne Lautsprecher zum Freitagsgebet. Die Stadt Köln begründet das Projekt mit Toleranz und dem Recht auf Religionsausübung. Der Islam sei seit vielen Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft, sagt Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker: "Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird."
Ablehnung für Muezzinruf
Doch das Projekt, das eigentlich als Zeichen für Integration stehen sollte, hatte auch für Kritik und Verwerfungen gesorgt. Als für die Zentralmoschee in Köln 2008 gestimmt wurde, versicherte DITIB, dass der Muezzin, der die Gläubigen zum Gebet ruft, nicht außerhalb des Moscheegrundstücks zu hören sein wird.
"Das Glockenläuten und der Muezzinruf haben eine ähnliche Funktion, aber dennoch ist die Ablehnung für letzteren häufig stärker", sagt Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster. Der Muezzin rufe zum Gebet, die Glocken zum Gottesdienst. "Dem Christentum stehen viele als einem Fundament unserer Kultur - trotz aller Kirchenkritik - mit Sympathie gegenüber. Das Läuten der Glocken wird als Teil dieser Kultur empfunden." Der Muezzinruf aber werde von einigen als etwas Fremdes wahrgenommen, das nicht zu unserer Kultur gehöre. "Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung sieht im Islam nicht eine Bereicherung unserer Kultur, sondern etwas Bedrohliches", sagt Pollack.
Und doch ist das Kölner Beispiel nicht neu. In rund 30 Moscheegemeinden ist der Ruf bereits üblich, beispielsweise in Krefeld, im hessischen Raunheim oder in Oer-Erkenschwick am nördlichen Rand des Ruhrgebiets.
"Machtdemonstration des politischen Islam"
Der Berliner Islamismus-Forscher Ahmad Mansour befürchtet "fatale Folgen" durch den in Köln geplanten Ruf. "Das ist eine Machtdemonstration des politischen Islam", sagt Mansour. Er hält DITIB für den verlängerten Arm der türkischen Religionsbehörde in Ankara und erinnert daran, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan die Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld persönlich eröffnet habe.
"Es ist verheerend, wenn ausgerechnet dieser Organisation jetzt eine derartige öffentliche Anerkennung zuteil wird", sagt Mansour. Beim Glockengeläut gehe es um Klang, beim Muezzinruf um konkrete religiöse Botschaften und Ideologie.
Es ist ein auf zwei Jahre befristetes Modellprojekt in Köln, für das einige weitere Moscheegemeinden Interesse bekundeten.
Muslime sichtbar als Teil der Stadt und Gesellschaft
"Auch wir hatten in der Gemeinde darüber gesprochen, ob das notwendig ist und wir auch einen Antrag bei der Stadt stellen", sagt der Imam und Theologe Mahmood Malhi von der Bait-un-Nasr Moschee in Köln. "Wir legen viel Wert darauf, unsere Nachbarn in Köln nicht zu stören und setzen uns ein für ein gemeinsames Zusammenleben." Es sei schön zu sehen, dass durch das Projekt sichtbar werde, dass Muslime ein Teil der Stadt und der Gesellschaft sind.
Die Kritik am Ruf per Lautsprecher kann er nur in Teilen nachvollziehen. "Der Muezzin ruft zur Mittagszeit, wenn Menschen arbeiten und viel los ist in der Stadt und auf den Straßen. Eine Ruhestörung ist das nicht." Doch Gegenwind gebe es leider immer. "Dennoch fühle ich mich aber sehr wohl in Köln und liebe die Menschen hier, weil viele multi-kulti sind", sagt Mahmood Malhi. Hier werde Toleranz gezeigt und gelebt. Es wird sich jetzt immer freitags in Köln-Ehrenfeld zeigen, wie laut es tatsächlich wird - und wie Umfeld und Nachbarschaft reagieren, wenn aus der Idee von Toleranz hörbare Realität wird.