Kita-Öffnungen NRW droht mit Alleingang
Die Debatte um Lockerungen der Corona-Maßnahmen nimmt an Schärfe zu: NRW will im Alleingang Kitas öffnen, sollte es beim Treffen von Kanzlerin Merkel und den Ministerpäsidenten am Mittwoch kein einheitliches Konzept geben.
Mit dem Beginn dieser Woche kehrt ein Stück Normalität zurück. In vielen Bundesländern werden die Corona-Beschränkungen gelockert: Hunderttausende Schüler der Abschlussklassen können wieder zur Schule gehen. Friseurbesuche sind möglich, vielerorts dürfen auch Museen und Zoos wieder öffnen. Schon seit vergangener Woche finden unter Auflagen auch Gottesdienste wieder statt. Doch nicht allen gehen diese Lockerungen weit genug.
NRW will bundesweites Konzept für Kita-Öffnungen
Bei der Öffnung von Kindertagesstätten drohte der nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp mit einem Alleingang seines Bundeslandes, sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Treffen mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch keinen einheitlichen Öffnungskurs beschließen. "Ich möchte jetzt gerne unseren Weg gehen. Wir lassen uns nicht noch eine Woche vertrösten", sagte der stellvertretende NRW-Ministerpräsident im Podcast "Morning Briefing" von Gabor Steingart. Erzieher müssten sich auch in Zeiten der Pandemie sicher fühlen, sagte der FDP-Politiker. "Aber auf der anderen Seite müssen wir den Kindern möglichst zügig wieder den Zugang verschaffen." Dies sei mit einem "improvisierten Betrieb" der Kitas möglich. Die Situation von Familien und Kindern in der Corona-Krise sei in den vergangenen Tagen und Wochen zu kurz gekommen, so Stamp.
Stamp äußerte außerdem grundsätzliche Kritik an den regelmäßigen Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten über die Corona-Maßnahmen. Es sei "kein Dauerzustand", dass alleine die Kanzlerin mit den 16 Ministerpräsidenten bestimme, "was geht und was nicht geht". "Man könnte den Eindruck bekommen, wir sind bei Hofe", so Stamp. Die Länder bräuchten "ihre Freiheit", da die Corona-Pandemie in den Ländern unterschiedlich verlaufe.
Vorreiter Saarland und Sachsen-Anhalt
Das betonte auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Das ostdeutsche Bundesland geht mit seiner neuen Verordnung, die ab heute gilt, bundesweit voran. Die schwarz-rot-grüne Landesregierung beschloss am Samstag ein Bündel an Erleichterungen. Zentrale Änderung: Das Land weicht die Kontaktbeschränkungen deutlich auf. Statt wie bisher mit maximal einer Person abseits des eigenen Haushalts dürfen die Menschen von Montag an zu fünft zusammensein. In fast allen übrigen Bundesländern gilt eine Begrenzung auf zwei Personen, die nicht zum selben Haushalt gehören. Ausnahme ist das Saarland. Dort sind private Treffen mit den Angehörigen eines weiteren Haushalts erlaubt.
Haseloff verteidigte seinen Lockerungskurs. Er sprach am Sonntagabend im ZDF von einem "Signal" an die Bevölkerung seines Bundeslandes. Die Motivation der Menschen müsse aufrecht erhalten werden. Durch die vergleichsweise geringen Infektionszahlen in Sachsen-Anhalt hebe sich die Situation deutlich ab von der in anderen Ländern, wie etwa dem stärker betroffenen Bayern, betonte Haseloff.
In der ARD-Sendung "Anne Will" am Sonntagabend kritisierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Entscheidung Haseloffs, mit den Lockerungen voranzugehen. Dies habe ihn gewundert, es entspreche auch nicht den gemeinsam getroffenen Verabredungen.
Ähnlich äußerte sich NRW-Innenminister Herbert Reul. Er sagte dem BR, er finde es "nicht klug", wenn ein Bundesland "vorprescht". "Es sollte der Versuch gemacht werden, sich an die Absprachen zu halten", so der CDU-Politiker. Das Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten am 6. Mai müsse abgewartet werden.
Generelle Abschwächung des Kontaktverbots?
Könnte das Vorgehen Sachsen-Anhalts bald Schule machen? Im Vorfeld des Treffens von Kanzlerin Merkel mit den 16 Länderchefs berichtet die "Bild"-Zeitung, dass einige Länder bei dieser Gelegenheit eine Abschwächung des Kontaktverbots durchsetzen wollen. In einer vorbereitenden Telefonkonferenz der Staatskanzleichefs habe es geheißen, dass Zusammenkünfte von bis zu fünf Personen bundesweit wieder erlaubt sein könnten.
Söder, derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte bei "Anne Will", von einer bundesweiten Lockerung des Kontaktverbots wisse er nichts. "Geredet wird viel", so Söder.
Perspektiven für Gastronomie und Sport
Bundesinnenminister Horst Seehofer will bei den Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch unter anderem über mögliche Erleichterungen für die Gastronomie sprechen. "Ich möchte, dass wir im Lichte der Infektionsentwicklung Stück für Stück zu mehr Lockerungen kommen", sagte Seehofer am Sonntag in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Für Restaurants und Kneipen regte er die Einführung von Abstandsregelungen an. Laut "Bild" soll ein Plan für eine Öffnung der Restaurants vor Pfingsten vorgelegt werden.
Bei den Beratungen werde auch über Schulen, die Bundesliga und den Breitensport gesprochen, kündigte Seehofer an. Die Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie müssten jetzt gesichert werden. Zugleich müssten das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden, sagte der CSU-Politiker.
Scholz: Andere Länder strenger
Vizekanzler Olaf Scholz versicherte bei "Anne Will", in der Bundesregierung und den zuständigen Landesregierungen werde "ununterbrochen darüber nachgedacht", welche Lockerungen angesichts der Virus-Pandemie vertretbar seien. Er betonte die bisherigen Erfolge der Maßnahmen und wies er darauf hin, dass andere europäische Staaten deutlich strengere Regeln verhängt hätten als Deutschland. Deutschland habe seine Industrie nicht geschlossen und die Bürger hätten in den vergangenen Wochen auch stets ins Freie gedurft, sagte der SPD-Politiker.
Der Gesundheitsschutz müsse gewährleistet, aber auch die Wirtschaft stark gehalten werden, so Scholz. In diesem Zusammenhang kündigte er ein Konjunkturpaket an, das die Regierungskoalition Ende Mai oder Anfang Juni auflegen wolle, um die Wirtschaftstätigkeit anzukurbeln.
Warnung vor zu schnellen Lockerungen
Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping fordert ein "Aussteigen aus der Spirale der Lockerungsdebatte". Mit Blick auf deren Befürworter sagte sie im Berliner "Tagesspiegel": "Was uns (FDP-Chef Christian) Lindner, (NRW-Ministerpräsident Armin) Laschet und Co. als Exitstrategie verkaufen, führt nicht raus aus der Corona-Krise, sondern rein in eine zweite Infektionswelle." Das koste die Wirtschaft wie die Menschen mehr als ein verlängerter Lockdown.