Statistik für 2022 Mehr als 500.000 Austritte aus katholischer Kirche
Missbrauchsgutachten, Lügenvorwürfe, Rechtsstreitigkeiten: Vor dem Hintergrund zahlreicher Skandale sind 2022 in Deutschland mehr als eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten - so viele wie noch nie.
Mehr als eine halbe Million Menschen sind im Jahr 2022 in Deutschland aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Zahl der Austritte lag bei 522.821, wie die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mitteilte. Das sind so viele wie noch nie und erheblich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021, als es 359.338 Austritte gab. Insgesamt verlor die katholische Kirche in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 700.000 Mitglieder.
Austrittszahlen "alarmierend"
Die Austrittszahlen seien "alarmierend", erklärte Georg Bätzing, Bischof im hessischen Bistum Limburg und Vorsitzender der DBK. Er forderte ein weiteres konsequentes Handeln, warnte aber vor Resignation bei den Ehren- und Hauptamtlichen. Bätzing rief diese dazu auf, sich nicht entmutigen zu lassen. Ihm sei wichtig, die Beschlüsse des sogenannten synodalen Wegs zur Reform der Kirche umzusetzen.
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, nannte die Zahlen "traurig, aber wenig überraschend". Die Kirche habe besonders durch den Missbrauchsskandal Vertrauen verspielt. "Sie zeigt sich aber aktuell auch nicht entschlossen genug, Visionen für eine Zukunft des Christseins in der Kirche umzusetzen", kritisierte sie.
Dass sich die für die katholische Kirche ohnehin dramatische Entwicklung noch einmal beschleunigen würde, hatte sich bereits zu Jahresbeginn 2022 abgezeichnet. Vor allem nach der Vorstellung eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising im Januar und der Diskussion um eine Mitschuld des inzwischen gestorbenen Papstes Benedikt XVI. waren die Austrittszahlen rasch gestiegen.
Schlagzeilen machten im vergangenen Jahr zudem Lügenvorwürfe gegen den umstrittenen Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, bei dem es erst an diesem Dienstag eine Razzia gegeben hatte. Auch Rechtsstreitigkeiten um Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer in Köln und im oberbayerischen Traunstein hatten die Öffentlichkeit beschäftigt.
Viele Austritte in Köln und München
Heruntergebrochen auf die einzelnen Diözesen gab es die meisten Austritte im größten deutschen Bistum Köln. 51.345 Menschen kehrten ihm im Jahr 2022 den Rücken. Dahinter folgte das Bistum München und Freising mit 49.029 Austritten.
In München waren in der ersten Januarhälfte, also vor Bekanntwerden des Missbrauchsgutachtens, pro Arbeitstag etwa 80 Menschen aus der Kirche ausgetreten; nach dem 20. Januar - dem Tag der Vorstellung des Gutachtens - waren es dann zeitweise bis zu 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag.
Kirchenrechtler: Viele Ursachen
"Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit", sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller der Nachrichtenagentur dpa. "Viele Ursachen spielen hierbei hinein, aber auch aktuelle Brandbeschleuniger wie die kardinale Tragödie in Köln, in deren Strudel alle Bistümer und selbst die evangelischen Landeskirchen mit hineingezogen werden."
Die Austrittszahl betreffe aber nicht nur die Kirche selbst, betont Schüller. "Schon sehr bald wird denen, die vielleicht mit innerer Freude die Erosion der katholischen Kirche hämisch betrachten, bewusst werden, dass viel lieb gewonnene kirchliche Aktivitäten verschwinden werden: Schulen, Kindertagesstätten, Akademien, soziale Einrichtungen."
Eine Austrittswelle gibt es nicht nur in der katholischen Kirche. Auch die evangelische Kirche hat mit 380.000 Mitgliedern 2022 mehr verloren als im Jahr davor.