Trotz Schul- und Kitaschließungen Mehr Kindswohlgefährdungen gemeldet
Die Zahl der Fälle von Kindeswohlgefährdung in Deutschland ist 2020 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Dabei meldeten Schulen und Kitas während der Schließungen infolge der Corona-Pandemie im Frühjahr deutlich weniger Fälle.
Im gesamten Corona-Jahr 2020 haben die Jugendämter in Deutschland bei 60.551 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung festgestellt - etwa zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Das gab das Statistische Bundesamt bekannt. Bei weiteren 66.557 Minderjährigen kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung vorlag, aber Hilfe- oder Unterstützung nötig war. Die betroffenen Kinder waren in 70 Prozent aller Fälle jünger als zwölf Jahre.
Zeitweise deutlich weniger Meldungen von Schulen
Fachleute hatten vor dem ersten Corona-Lockdown im Jahr 2020 davor gewarnt, dass ein Teil der Kinderschutzfälle durch die Schul- und Kitaschließungen unentdeckt bleiben könnte. Die Aufschlüsselung nach Monaten zeigt nach Einschätzung der Statistiker nun, dass die Meldungen tatsächlich stark zurückgingen.
Demnach sank die Zahl der von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle von März auf April 2020 von 1476 auf 674 Fälle. Damit halbierte sich der Wert nicht nur gegenüber dem Vormonat, sondern auch im Vergleich zum April des Vorjahres mit 1435 Fällen. Im Mai 2020 lag die Zahl der von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle mit 729 weiterhin nur etwa halb so hoch wie im Mai des Vorjahres mit 1433 Fällen.
"Insbesondere im April und Mai 2020 - also einen Monat nach den ersten coronabedingten Schulschließungen im März und April - lagen die von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle deutlich unter dem Vorjahresniveau", sagte Manuela Nöthen, Expertin für Kinder- und Jugendhilfestatistik im Statistischen Bundesamt.
Mehr Hinweise aus der Bevölkerung
Auch Kitas meldeten im April und Mai vergangenen Jahres weniger Fälle von Kinderwohlgefährdungen und Fälle von Hilfe- oder Unterstützungsbedarf an die Jugendämter. Mit 267 Kinderschutzfällen fielen die Hinweise der Kitas im April 2020 im Vergleich zum Vormonat und zum April des Vorjahres um mehr als ein Drittel niedriger aus. Gleiches galt für den Mai. Im Juni 2020 überschritten die Fallzahlen den Vorjahreswert dann deutlich.
"Damit bestätigt die Statistik die Einschätzung verschiedener Fachleute, dass im Zuge des Lockdowns im Frühjahr 2020 weniger Kinderschutzfälle aus den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen gemeldet wurden", sagte Nöthen. Im Mai stiegen die Zahlen wieder etwas an, im Sommer näherten sich die Fallzahlen wieder den Vorjahreswerten.
Dagegen scheint die Bevölkerung im Corona-Jahr 2020 erheblich wachsamer geworden zu sein: Gegenüber 2019 sind die von Verwandten, Bekannten, Nachbarn und anonym gemeldeten Kinderschutzfälle um insgesamt 4.400 angestiegen, das entspricht einer Zunahme um 18 Prozent.
Anmerkung: In einer vorigen Version des Textes war von 422 Hinweisen auf Kinderschutzfälle der Kitas im April 2020 die Rede. Die tatsächliche Zahl beträgt allerdings 267 Kinderschutzfälle. Zudem hieß es: "Gegenüber 2019 sind die Hinweise von Verwandten, Bekannten, Nachbarn und anonymen Melderinnen und Meldern um insgesamt 9.100 Fälle angestiegen, das entspricht einer Zunahme um 21 Prozent." Die 9.100 Fälle beziehen sich auf alle Hinweise eines Verdachts auf Kindeswohlgefährdung von Verwandten, Bekannten, Nachbarn und anonymen Melderinnen und Meldern an die Jugendämter. In längst nicht allen dieser Fälle hat sich der Verdacht allerdings bestätigt. Werden nur bestätigte Fälle berücksichtigt, stiegen die anonym gemeldeten Kinderschutzfälle um insgesamt 4.400 an, was einer Zunahme um 18 Prozent entspricht.