Islam in Deutschland Auf dem Weg zum Kirchen-Status?
Christen, Juden und sogar die Mormonen haben den Status einer Körperschaft. Die Muslime als zweitgrößte Glaubensgemeinschaft jedoch nicht. Als Grund wird fehlende Struktur genannt. Doch Experten halten den Kirchen-Status für möglich.
Rund vier Millionen Muslime leben in Deutschland, organisiert sind sie in mehr als 2000 Moscheegemeinden. Aleviten, Schiiten, Sunniten - in der Bundesrepublik findet sich nahezu das ganze Spektrum des Islam. In fast allen Bundesländern gibt es islamischen Religionsunterricht, einige Landesregierungen stellen muslimischen Schülern den Schulbesuch an islamischen Feiertagen frei, 84 Prozent der Muslime fühlen sich laut Integrationsbarometer als Teil der deutschen Gesellschaft. Trotzdem behauptet die AfD: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland". Wie passt das zusammen?
"Situation von Muslimen besser als je zuvor"
"Gar nicht", sagt Marfa Heimbach. Für die Kölner Historikerin und Islamwissenschaftlerin gehört der Islam "selbstverständlich" zu Deutschland. Sie hat die Entwicklung der islamischen Gemeinschaft in Deutschland seit 1961 erforscht und blickt 2016 auf ein scheinbar völlig anderes Land als die AfD. "Noch nie war die Situation von Muslimen in Deutschland besser", sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de. Als die ersten muslimischen Gastarbeiter in den 1960er-Jahren kamen, hätten die meisten Deutschen über ihren Glauben nicht viel mehr gewusst, außer "dass sie ein paar Teppiche brauchen", sagt Heimbach. "Der Umgang mit Muslimen ist zur Normalität geworden. Das ist ein gigantischer Fortschritt."
Den stellt auch Christine Langenfeld fest. Sie ist die Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Alle zwei Jahre gibt sie das repräsentative Integrationsbarometer heraus. Die aktuelle Ausgabe zeige "eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung für die Religionsausübung der Muslime", sagt Langenfeld. Eine breite Mehrheit unterstütze den islamischen Religionsunterricht, genauso wie Moscheen in der eigenen Nachbarschaft. Für Langenfeld ist deshalb klar: "Wer jetzt alarmistisch versucht, den Islam auszugrenzen, der gießt Öl in ein Feuer, das keines ist."
"Das sind stabile Ergebnisse"
Allerdings stellt sie fest, dass sich die Situation zwischen dem Zeitpunkt der aktuellen Befragung im Sommer 2015 und der Veröffentlichung der Studie verändert hat. Statt des Alltags in der Einwanderungsgesellschaft ist der Ausnahmezustand der Flüchtlingskrise in den Vordergrund getreten.
Daran, dass der Großteil der Muslime in Deutschland gut integriert sei, habe sich aber nichts verändert, sagt Langenfeld. "Das Integrationsklima ist stabil positiv", bekräftigt sie im tagesschau.de-Interview. Wenn der Staat zeige, dass er handlungsfähig sei, erwartet Langenfeld für das nächste Integrationsbarometer eine Bestätigung des Trends.
"An uns soll es nicht liegen", sagt Burhan Kesici. Als Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime hat er die undankbare Aufgabe, eine Gruppe vertreten zu müssen, die bei vielen Einzelinteressen manchmal die gemeinsamen Ziele aus den Augen verliert. Auch für ihn gehört der Islam zu Deutschland. "Wenn Millionen Muslime in die Gesellschaft hineinwirken, kann man das ja nicht wegdeuten", sagt er.
Burhan Kesici ist seit April Sprecher des Koordinierungsrats der Muslime.
Körperschaftsstatus: Juden oder Zeugen Jehovas haben ihn ...
Doch dieses Hineinwirken in die Gesellschaft funktioniert bei Muslimen anders als bei anderen Religionsgemeinschaften. Die meisten Moscheegemeinden sind als Vereine organisiert, nicht als sogenannte Körperschaften des öffentlichen Rechts - wie etwa die christlichen Kirchen. Unter anderem durch diesen Status ist es den Kirchen möglich, die Kirchensteuer durch den Staat einziehen zu lassen.
Die Debatte, ob muslimische Verbände ebenfalls als Körperschaften anerkannt werden sollen, gibt es schon lange. Immerhin haben Vertreter anderer Religionen in einigen Bundesländern den Status bereits - wie etwa der Zentralrat der Juden, die Zeugen Jehovas oder die Mormonen. Dadurch haben sie beispielweise steuerliche Vorteile und können Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einfordern.
... Muslime bisher nicht
Das können muslimische Verbände bisher nicht. "Man sollte das fördern", sagte jüngst der SPD-Politiker und praktizierende Katholik Wolfgang Thierse. Gleichzeitig wies er aber auch darauf hin, dass "das Selbstverständnis der muslimischen Gemeinschaft ja nicht vergleichbar ist mit dem der Kirchen".
SVR-Expertin Christine Langenfeld sieht drei konkrete Probleme: Die muslimische Verbände müssten nachweisen können, wieviele Mitglieder sie haben, die Pflege des religiösen Bekenntnisses müsse im Mittelpunkt stehen und sie müssten sich von ausländischen Einflüssen lösen.
Tatsächlich ist besonders der letzte Punkt problematisch: Denn islamische Vereine in Deutschland erhalten teilweise erhebliche Summen aus Ländern wie Saudi-Arabien oder der Türkei. So besteht die Gefahr einer Abhängigkeit - etwa bei der Auslegung des Glaubens oder der kritischen Auseinandersetzung mit dem Koran. Auch die Nähe einiger Vereine zu radikalen Gläubigen, die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden, erschwert die Anerkennung als Körperschaft.
"Als wäre das anormal"
Hinzu kommt, dass die Muslime anders als Protestanten oder Katholiken keine klaren Ansprechpartner benennen können. Deshalb wurde 2007 der Koordinierungsrat der Muslime gegründet. In ihm sind die vier größten Verbände zusammengefasst, der Vorsitz rotiert. Aktuell liegt er beim nicht unumstrittenen Islamrat. Deren Vorsitzender Kesici nennt die Anerkennung als Körperschaft ein "Fernziel".
Er wehrt sich gegen die Kritik, dass die Vielfalt der muslimischen Gemeinden ein Problem sei und bemüht einen Vergleich zur evangelischen Kirche in Berlin. Dort gebe es 27 Körperschaften des öffentlichen Rechts evangelischer Prägung. "Da regt sich niemand auf, aber wenn die Muslime mal vier oder fünf Verbände haben, tut man so, als wäre das anormal. Man muss mit der Vielfalt einfach leben", fordert er.
Eine Position, die auch die Historikerin Heimbach teilt. Es stimme, dass man den Wald vor lauter muslimischen Vereinen nicht mehr sehe. "Aber das Übertragen von hierarchischen Strukturen wie etwa in der katholischen Kirche oder bei den Protestanten funktioniert nicht", warnt sie. Dafür seien die einzelnen Strömungen innerhalb des Islams zu unterschiedlich.
"Keine unüberwindbaren Hürden"
Islamwissenschaftlerin Irene Schneider aus Göttingen hält die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts dennoch für "erstrebenswert". Sie beobachtet, dass sich die Verbände derzeit neu strukturieren - ein mühsamer Prozess. "Die Muslime sind diese Form der Strukturbildung nicht gewöhnt und sehen nicht immer die Notwendigkeit dazu", gibt sie gegenüber tagesschau.de zu bedenken.
Islamwissenschaftlerin Irene Schneider
Für einen Kirchen-ähnlichen Status müssten Kesici und die islamischen Organisationen besser nachweisen, "dass sie konkrete Moschee-Gemeinschaften vertreten". Denn derzeit würden Verbände nur für etwa 20 Prozent der Muslime sprechen, sagt Islamwissenschaftlerin Schneider.