Interview

Politologe zur Lage der FDP "Eine echte Neuausrichtung ist das nicht"

Stand: 21.01.2013 14:21 Uhr

Mit ihrer Neuaufstellung nach dem Überraschungserfolg in Niedersachsen habe die FDP nur eine kurze Verschnaufpause erreicht, sagt der Politologe Dittberner im Gespräch mit tagesschau.de. Sie wolle Geschlossenheit zeigen und werde vorerst über die Runden kommen, aber die eigentlichen Probleme blieben ungelöst.

tagesschau.de: FDP-Parteichef Philipp Rösler sagte am Wahlabend in die Kameras, es sei ein großer Tag für die FDP. Kann er wirklich stolz auf dieses Ergebnis sein?

Jürgen Dittberner: Das Ergebnis der FDP war eine große Überraschung. Niemand hätte damit gerechnet, dass sie so viele Stimmen bekommt. Ich habe lediglich damit gerechnet, dass sie es in den Landtag schafft. Und Rösler kommt immerhin aus Niedersachsen. Nach all den Vorwürfen, die ihn in letzter Zeit getroffen haben, hatte er sicher an diesem Wahlabend das Gefühl: "Jetzt hab ich's denen mal gezeigt." Aber die entscheidende Frage ist ja - im Hinblick auf die Bundestagswahl - ob es für die FDP so weitergeht. Und das ist fraglich.

Zur Person

Jürgen Dittberner ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam mit dem Schwerpunkt Parteienforschung. Er hat sich in Forschung und Publikationen intensiv mit der FDP auseinandergesetzt und war 1975-85 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

tagesschau.de: Zumal der Erfolg der FDP zu einem großen Teil auf Leihstimmen von CDU-Anhängern zurückzuführen ist.

Dittberner: Das mit den Leihstimmen darf man auch nicht überbewerten. Sicher gab es viele CDU-Wähler, die gesagt haben, wir wollen, dass McAllister Ministerpräsident bleibt und deshalb FDP gewählt haben. Andererseits: Die Menschen haben zwei Stimmen. Und es ist auch nichts Neues, die auf zwei Parteien aufzuteilen.

tagesschau.de: Hat die CDU sich mit dieser Leihstimmenkampagne verkalkuliert?

Dittberner: Die CDU selber hat ja diese Kampagne nicht gemacht. Aber es war klar, dass Wähler Stimmen splitten werden. Und das haben auch viele CDU-Politiker so erwartet. Dass es am Ende für die CDU nicht ganz gereicht hat, darüber werden viele enttäuscht sein. Sie werden jetzt überlegen, wie sie das im Bundestagswahlkampf machen. Für die FDP sieht es da günstig aus, weil die anderen Parteien sagen, sie wollen nicht mit der CDU koalieren. Es entwickelt sich also eine Lagermentalität. Dadurch wird die FDP zum natürlichen Partner der CDU/CSU, denn die können sich an niemand anderen wenden. Das feste Bündnis zwischen SPD und Grünen wird der FDP also nicht schaden.

"Union und FDP werden nun ihr eigenes Profil schärfen"

tagesschau.de: Könnte daraus vielleicht sogar ein Wahlkampf von Union und FDP gegeneinander folgen?

Dittberner: Beide werden auf eigene Rechnung arbeiten und ihr eigenes Profil schärfen. Vor allem für die FDP ist das besonders wichtig. Die CDU hat ja die Bundeskanzlerin und ist unbestritten die Nummer eins. Aber die Profilierung der eigenen Partei darf nicht so weit gehen, dass das als Streit im Lager gesehen wird oder gar als Zerwürfnis. Hier wird es die Kunst sein, das richtige Maß zu finden. Es macht ja keinen Sinn, Krach zu machen, um des Kraches willen. Es muss schon erkennbar sein, dass es um politische Fragen geht.

tagesschau.de: Inzwischen hat sich die FDP neu aufgestellt: Rösler wird Parteichef bleiben, Brüderle wird Spitzenkandidat. Reicht das, um die Partei aus dem Umfragetief zu führen?

Dittberner: Die Parteiführung bemüht sich jetzt, Geschlossenheit darzustellen. Es ist ein Kompromiss, um Ruhe in die augenblickliche Diskussion zu bringen. Rösler bleibt der umstrittene Parteichef und Brüderle ist der Zwischenhoffnungsträger. Eine echte Neuausrichtung ist das nicht. Es ist schwer zu sagen, ob die Wähler das verstehen werden. Aber offenbar goutieren die Wähler es nicht, wenn gestritten wird. Dem will man nun entgegenkommen. Es ist ein Versuch, über die nächste Runde zu kommen. Das ist entscheidend für die Existenz der FDP.

Wenn sie dann in den Bundestag kommt, wird sie sich neu aufstellen müssen, dann werden andere kommen, wie Christian Lindner. Außerdem muss sich die FDP in die moderne liberale Bürgergesellschaft einklinken, das hat sie versäumt. Sie muss sich beispielsweise bei Bürgerinitiaven stärker verankern. Da sind momentan vor allem die Grünen stark. Den alten Mittelstand aus Handwerkern und Beamten, der die FDP früher getragen hat, gibt es nicht mehr.

"Entwarnung gibt es nicht für die FDP"

tagesschau.de: Für Entwarnung ist es also zu früh in der FDP? Auch nach drei erfolgreichen Landtagswahlen?

Dittberner: Entwarnung kann man sowieso nie geben und schon gar nicht für die FDP. Sie hat nicht automatisch mehr als fünf Prozent der Wähler hinter sich und muss bei jeder Wahl wieder neu kämpfen, um diese Hürde zu schaffen. Die drei erfolgreichen Landtagswahlen hatten mit Bundespolitik wenig zu tun. In NRW ist es Christian Lindner gewesen, in Schleswig-Holstein Wolfgang Kubicki und in Niedersachsen ging es besonders um die schwarz-gelbe Koalition. Es wird also schwierig für die FDP im Bund. Aber Niedersachsen hat immerhin gezeigt, dass das möglich ist.

tagesschau.de: Durch den Sieg von Rot-Grün haben sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat verschoben. Wie wird sich das in den nächsten Monaten auswirken?

Dittberner: Das ist nicht gut für die Regierung. Sie ist jetzt im Bundesrat quasi abgemeldet. Andererseits hat die SPD immer noch so viel Verantwortungsgefühl für das Staatswesen, dass sie es nicht zur Katastrophe kommen lassen wird. Das zeigt auch, dass eine große Koalition für die SPD immer eine Option, eine Alternative sein wird. Die SPD will nicht, dass der Karren in den Dreck gefahren wird. Insofern denke ich, dass ihr Handeln im Bundesrat nicht unbedingt deckungsgleich ist mit dem, was sie im Wahlkampf sagt.

"Die Piraten haben sich als Laientruppe dargestellt"

tagesschau.de: Linkspartei und Piraten sind im niedersächsischen Landtag nicht mehr vertreten. Was haben sie falsch gemacht?

Dittberner: Die Piraten haben es nicht geschafft, ein politisches Gesamtprofil zu erarbeiten und sie haben sich als große Laientruppe dargestellt. Eine bundespolitische Organisation der Partei war auch nicht sichtbar. Ich denke die Piraten haben ihren Höhepunkt überschritten.

Bei der Linkspartei sieht das schon anders aus: Sie ist ja im Osten sehr stark. Es ist ein großes Problem, dass sie in einem Teil der Republik eine Großpartei ist und im anderen Teil kaum vorhanden. Im Westen gibt es einfach nicht die Klientel für die Linkspartei. Ob sie in dieser Situation weiter erfolgreich sein wird, ist nur langfristig zu beurteilen. Kurzfristig muss man aber mit der Linkspartei im Bund rechnen.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de