Interview

Interview zum Koalitionsgipfel "Weiterregieren bis zum Ende"

Stand: 05.11.2012 14:08 Uhr

Scheinbar haben alle erreicht, was sie wollten. Die CSU bekommt ihr Betreuungsgeld, die FDP die Abschaffung der Praxisgebühr. Gewinner des Treffens ist für den Parteienforscher Jürgen Dittberner aber die CDU. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, an welcher Stelle trotz der Einigung weiterhin Streit droht.

tagesschau.de: Die von der FDP geforderte Abschaffung der Praxisgebühr im Tausch gegen die Zustimmung zum Betreuungsgeld, dem Prestigeprojekt der CSU. Ist das der von der Opposition viel beschworene Kuhhandel?

Dittberner: Man kann diese Einigung schon als Kuhhandel bezeichnen. Denn es gibt ja  keinen inneren Zusammenhang zwischen den beiden Themen. Es ist verständlich, wenn die Abschaffung der Praxisgebühr gefordert wird, weil das etwas ist, was vielen Menschen zugute kommt. Das Betreuungsgeld hingegen, ein CSU-Thema, hat damit ja nichts zu tun. Hier werden zwei Sachen verknüpft, die nicht zusammenhängen – ein Kuhhandel also.

Zur Person
Jürgen Dittberner ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam mit dem Schwerpunkt Parteienforschung. Er hat sich in Forschung und Publikationen intensiv mit der FDP auseinandergesetzt und war 1975-85 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

tagesschau.de: Koalitionspolitiker haben vor dem Spitzentreffen betont, dass es um nicht weniger als ihre "Regierungsfähigkeit" gehe. Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Treffens gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl?

Dittberner: Das Ergebnis ist nicht gerade überraschend. Es wäre ja eine Sensation gewesen, wäre die Koalition so kurz vor der Bundestagswahl geplatzt. Dass diese so vor sich hindümpelt und ihre Schwierigkeiten hat, das konnte man ja schon länger beobachten. Aber jetzt das Ganze platzen zu lassen, das wäre ja politischer Selbstmord gewesen. Für FDP und CSU ging es darum, ihre Prestigeprojekte durchzubringen. Der CDU war es nur wichtig, dass die Koalition nicht platzt. Also haben eigentlich alle bekommen, was sie wollen.

tagesschau.de: Ist nach der Einigung bis zur Bundestagswahl jetzt Ruhe innerhalb der Koalition?

Dittberner: Das kann man nie wirklich voraussagen. Es gibt immer Themen, bei denen man nicht weiß, wie sie sich in der Praxis weiter entwickeln werden. Da sind die großen Themen Griechenland und die Eurokrise auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Thema Energie. Da ist die Entwicklung nicht vorhersehbar. Die Koalitionsparteien haben natürlich die Absicht, das Ganze jetzt bis zur Bundestagswahl durchzuziehen.

FDP schluckt die "Kröte" Betreuungsgeld

tagesschau.de: Die FDP, vorneweg Parteichef Philipp Rösler, hat im Vorfeld des Koalitionsgipfels vehement gegen das Betreuungsgeld gewettert. Ist die FDP jetzt für die Wähler noch glaubwürdig ?

Dittberner: Die FDP wird beim Betreuungsgeld auf ihre Vertragstreue hinweisen und ihre Zustimmung als eine Art Krötenschlucken bezeichnen. Sie wird sagen, dass man in der Koalition nun einmal nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen kann. Gleichzeitig wird die FDP auf die Praxisgebühr verweisen und sagen: Das ist unser Thema. Ob die Wähler das so honorieren, ist fraglich und wird sich bei der Bundestagswahl zeigen.

tagesschau.de: Hat sich die FDP mit der jetzigen Einigung in Hinblick auf die Wahl selbst geschwächt?

Dittberner: Das würde ich so nicht unterschreiben. Die FDP muss nun aber Einiges tun, um die Ergebnisse ihren Wählern zu vermitteln. Ob ihr das gelingt und ob sie geschickt genug dazu ist, das vermag ich nicht zu sagen.

tagesschau.de: Parteichef Rösler ist in seiner eigenen Partei ohnehin umstritten. Und das Betreuungsgeld ist in der FDP weiterhin äußerst unbeliebt. Ist das Ergebnis des Gipfels der Anfang vom Ende für Rösler?

Dittberner: Entscheidend für Herrn Rösler sind die Landtagswahlen in Niedersachsen, seinem Heimatverband. Wenn die FDP dort schlecht abschneidet, wird man es ihm diese Niederlage zuweisen. Dann wird die Sache für ihn wirklich ernst. Seine Gegner in der FDP werden sich die Frage stellen, ob man so kurz vor der Bundestagswahl noch einen neuen Parteichef installieren möchte oder nicht. Das wäre schon so etwas wie eine Notoperation. Vom Tisch ist diese Option aber nicht.

Allerdings ist es ja auch nicht so, dass sich massenhaft Akteure innerhalb der FDP aufdrängen, die den Vorsitz der Partei übernehmen wollen. Man weiß ja, dass es ein schwieriger Posten ist. Die Chancen, dass die FDP bei der Bundestagswahl gut abschneidet, sind ohnehin gering. Da will kaum jemand vorher in die Bresche springen.

Betreuungsgeld als Erfolg für die CSU vor der Landtagswahl

tagesschau.de: Die CSU hat nun das lang ersehnte grüne Licht für ihr Prestigeprojekt, das Betreuungsgeld, bekommen. Und das von Peter Ramsauer geführte Verkehrsministerium bekommt 750 Millionen Euro für Infrastrukturprojekte. Gibt es jetzt keine Störfeuer mehr aus Bayern vor der Wahl?

Dittberner: Bei der CSU kann man da nie sicher sein, besonders nicht bei dem Vorsitzenden Horst Seehofer. Es gehört ja zu seinem Politikverständnis, überraschende Dinge zu tun. Das Drängen auf das Betreuungsgeld, das für die CSU so wichtig ist, muss man aber vor dem Hintergrund der Landtagswahlen in Bayern betrachten. Es gibt jetzt zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass bei der CSU erst einmal Ruhe im Karton ist. Sollte es aber vor der Landtagswahl ein Stimmungstief in den Umfragen geben, dann könnte es schon sein, dass sich die CSU wieder etwas Neues ausdenkt.

Nicht alle Probleme innerhalb der Koalition geklärt

tagesschau.de: Bei einigen Projekten der Koalition konnte keine Einigung erzielt werden. Zum Beispiel bei einer besseren Anrechnung der Kindererziehungszeiten von Müttern in der Rente – einem Projekt der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen. Auch bei der Bekämpfung der Altersarmut gibt es nur geringe Fortschritte. Droht hier noch Streit innerhalb der Koalition?

Dittberner: Die Europapolitik und die Energiepolitik sind auf jeden Fall ein Thema, bei dem man nicht wirklich abschätzen kann, wie sich die Diskussion entwickelt. Was die Sozialpolitik betrifft, muss man sagen, dass Ministerin von der Leyen gerade keinen guten Stand hat. Da muss man abwarten, ob es noch Streit gibt.

Aber die CDU insgesamt kann zufrieden sein. Es wurden einige Probleme gelöst, und sie kann weiterregieren bis zum Ende. Das ist das Entscheidende für die Partei. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss ja nichts anderes tun als abzuwarten, und das Wahlergebnis einzuheimsen.

Das Interview führte Peer Junker, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 5. November 2012 um 20:00 Uhr.