Debatte über Muslime in Deutschland "Die Polemik der AfD ist gefährlich"
Gehört der Islam zu Deutschland? Die AfD greift Sorgen der Bürger auf, schürt aber auch Ängste, meint der Islamwissenschaftler Khorchide. Er wirft der Partei im Gespräch mit tagesschau.de vor, den Islam für eigene Machtansprüche zu missbrauchen.
Gehört der Islam zu Deutschland? Die AfD greift Sorgen der Bürger auf, schürt aber auch Ängste, meint der Islamwissenschaftler Khorchide. Er wirft der Partei im Gespräch mit tagesschau.de vor, den Islam für eigene Machtansprüche zu missbrauchen.
tagesschau.de: Ist der Islam mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar?
Mouhanad Khorchide: Wenn wir vom Islam sprechen, ist immer die Frage: Welchen Islam meinen wir? Der Islam, wie ihn beispielsweise der "Islamische Staat" auslegt, ist nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar. Aber der Islam, wie ihn die große Masse an Muslimen weltweit und auch hier in Deutschland praktiziert, ist mit unseren Grundwerten, mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar. Das zeigen auch empirische Studien.
Es gibt allerdings eine kleine Minderheit, die Salafisten zum Beispiel, die den Islam als Kampfansage an unsere Gesellschaft sehen. Das ist eine Bedrohung für uns alle - für Muslime wie für nicht-Muslime. Die Trennlinie liegt hier aber zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Ideologien. Hier geht es nicht um Religion an sich.
Professor Mouhanad Khorchide (geboren 1971 in Beirut) ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. Weil er für eine liberale Auslegung des Korans eintritt, erhält er Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. Die großen muslimischen Verbände Deutschlands hatten seine Berufung zuerst abgesegnet, inzwischen aber lehnen sie ihn ab.
tagesschau.de: Die AfD spricht vom Islam als einer "politischen Ideologie" - gibt es die in Deutschland?
Khorchide: Die Polemik der AfD ist deshalb gefährlich, weil sie die Gesellschaft sehr stark polarisiert. Einerseits suggeriert sie, dass die Mehrheit der Muslime keine Demokraten sind, sondern dass sie den Islam so praktizieren und ausleben, dass er uns bedroht. Das stimmt nicht und widerspricht den empirischen Daten. Andererseits vermittelt die AfD den Muslimen: "Ihr seid pauschal verdächtig!" Das führt dazu, dass sich vor allem Jugendliche zurückziehen und sich in ihrer religiösen Identität abkapseln. Ich finde es unverantwortlich, dass man politische Machtansprüche auf Kosten einer Minderheit legitimiert, indem man Ängste schürt.
Missbrauch des Islam für Machtansprüche?
tagesschau.de: Aber sehen Sie diese Form des "politischen Islam" auch in Deutschland?
Khorchide: Ja, es gibt den politischen Islam. Und es gibt den Missbrauch des Islams für politische Machtansprüche. Nur die Frage ist: Wie viele Muslime machen das? Das ist eine kleine Minderheit. Die AfD suggeriert, dass das die absolute Mehrheit der Muslime sei oder dass das der Islam sei. Das muss man differenziert betrachten.
tagesschau.de: Ist die Entsendung von türkischen Imamen nach Deutschland ein Beispiel für den "politischen Islam"?
Khorchide: Nein, nicht wirklich. Aber diese Entsendung hat andere Aspekte, die für das Zusammenleben der Muslime hier in Deutschland nicht förderlich sind: Imame, die nicht auf Deutsch predigen können oder den Lebenskontext der Menschen hier nicht kennen, haben keinen optimalen Zugang zu den Jugendlichen hier. Ich kenne viele muslimische Jugendliche, die sagen: "In der Moschee finde ich mich nicht wieder, der Imam versteht mich nicht. Nicht nur sprachlich, auch kulturell. Das, was mir wichtig ist, ist dem Imam fremd." Deshalb brauchen wir Imame, die hier ausgebildet sind und zwar nach einer Theologie, die die Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland berücksichtigt. Nur so können wir möglichst viele Jugendliche in Deutschland erreichen, die sonst in Gefahr geraten könnten.
tagesschau.de: Welche Gefahren sehen Sie da?
Khorchide: Wenn die Jugendlichen sich hier nicht von den Gemeinden angesprochen fühlen, dann entsteht eine Lücke. Und diese Lücke nutzen die Salafisten aus. Die salafistischen Imame predigen nicht nur auf Deutsch, sondern auch in der Jugendsprache. Und die Zahlen der salafistischen Gemeinden zeigen, dass sie so immer mehr Jugendliche erreichen. Gleichzeitig verlieren die anderen Gemeinden den Anschluss an viele Jugendliche. Und das muss uns zu denken geben.
Das Interview führte Jan Philipp Burgard, tagesschau.de