Interview

NSA-Affäre "Hier wird Schwarzer Peter gespielt"

Stand: 08.08.2013 15:53 Uhr

In der Debatte um den NSA-Skandal rückt die SPD in den Fokus - denn Fraktionschef Steinmeier hat als Kanzleramtsminister 2002 den Grundstein für die Zusammenarbeit von NSA und BND gelegt. Die CDU wirft der SPD nun "pure Heuchelei" vor. Das allerdings sei nur ein politisches Manöver, sagt NDR-Terrorexperte Joachim Hagen. Denn die unter Steinmeier vereinbarte Zusammenarbeit habe nichts zu tun mit dem eigentlichen Skandal.

tagesschau.de: Zuerst stand die Regierung in der Kritik, jetzt die SPD. Haben Sie erwartet, dass der Skandal die Opposition erreicht?

Joachim Hagen: Das war zu erwarten, weil die Regierung verzweifelt versucht, den Schwarzen Peter weiterzureichen. Es war ja allgemein bekannt, dass Frank-Walter Steinmeier in der Kritik steht, weil er von 1999 bis 2005 Kanzleramtsminister (und damit zuständig für die Geheimdienste, Anm. d. Red.) war. Damals wurde ja die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten intensiviert. Man muss aber hier klar festhalten: Das war 2002, PRISM ist erst 2005 aufgebaut worden. Das heißt, an Steinmeiers Begründung, dass er eben damals nicht wissen konnte, wie groß die Ausspähaktion werden würde, ist etwas dran.

Ohne die Amerikaner geht es nicht

tagesschau.de: Aber ist es glaubhaft, wenn Steinmeier jetzt erklärt, es sei ausschließlich darum gegangen, die Drahtzieher der Anschläge vom 11. September zu fassen?

Hagen: Nein, natürlich nicht. Die Bundesregierung stand damals unter einem hohen Druck, weil die Attentäter in Hamburg gelebt hatten. Aber man wusste schon damals, dass die deutschen Nachrichtendienste ganz stark auf die amerikanischen Geheimdienste angewiesen sind. Es gab zum Beispiel schon im Dezember 2000 die Festnahme der sogenannten Frankfurter Gruppe - die hatten einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt geplant. Der Tipp, der zur Festnahme führte, kam von der NSA.

Zur Person

Das Spezialgebiet von Joachim Hagen ist der internationale Terrorismus. Besonders interessiert ihn die Frage, wie die Furcht vor Terror-Anschlägen Deutschland verändert. Zu seinen Themen gehören sowohl der Ausbau der Sicherheitsbehörden als auch die Auswirkungen der verschärften Kontrollen auf die Muslime.

tagesschau.de: Und heute? Sind die deutschen Dienste immer noch abhängig von den USA?

Hagen: Ja, das gibt der BND auch ganz offen zu. So ist es auch zu erklären, dass sich die deutschen Geheimdienste sehr mit Kritik an der NSA zurückgehalten haben. Man fürchtet, keine Informationen aus den USA mehr zu bekommen, wenn der Ton zu scharf wird. Denn für den BND steht natürlich die Verhinderung von Anschlägen - und nicht so sehr die Datensicherheit der deutschen Bürger - im Vordergrund.

Von Teilhabe zur Sammelwut

tagesschau.de: Können Sie nochmal grundsätzlich den Unterschied erklären zwischen PRISM und dem Memorandum of Agreement, das Steinmeier 2002 unterzeichnet hat?

Hagen: Steinmeier hat 2002 die Grundsatzentscheidung über eine Zusammenarbeit zwischen BND und NSA getroffen. Dass also der BND alle konkreten Informationen, die er etwa über die Attentäter vom 11. September hat, gezielt an die NSA weitergibt. Bei PRISM dagegen haben wir es mit einer zunächst wahllosen Speicherung von Daten, derer man aus Deutschland habhaft werden kann, zu tun. Kurz: Früher haben sich die Amerikaner darauf verlassen, dass der BND mit ihnen Informationen teilt. Seit 2005 sammeln die Amerikaner - zumindest laut Edward Snowden - selber Informationen in Deutschland. Wenn diese Behauptungen Snowdens nur ansatzweise stimmen, hat PRISM eine völlig andere Größenordnung. Da hätte dann auch Steinmeier Recht, wenn er sagt, dass man die Situation 2002 und 2005 nicht vergleichen kann.

tagesschau.de: Wie ist es zu erklären, dass Deutschland so im Fokus von PRISM steht?

Hagen: Das hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es eine Art Aufgabenteilung: Der BND und eben auch die NSA-Abhörabteilung in Bad Aibling sind für den Nahen Osten zuständig. Da werden alle Funkstrecken abgehört, die in den Nahen Osten gehen - und der BND hat in die Region traditionell gute Kontakte und gibt seine Informationen an die NSA weiter.

Zweitens hat die NSA auch hier Spionage betrieben. Denn die US-Geheimdienste vermuten, dass deutsche Firmen wegen ihrer alten guten Kontakte in den Iran noch immer gute Wirtschaftsbeziehungen mit Teheran unterhalten. Die NSA hat das überprüft und tatsächlich sind ja auch einige Firmen aufgeflogen, die Komponenten, die zum Aufbau des iranischen Atomprogramms notwendig waren, geliefert haben. Das ist der zweite wichtige Grund, warum die NSA in Deutschland Informationen abgeschöpft hat.

tagesschau.de: Mit Wirtschaftsspionage - der Vorwurf steht ja im Raum - hat das also nichts zu tun?

Hagen: Vor dem Hintergrund der Überprüfung des Iran wird natürlich Wirtschaftsspionage betrieben - inwieweit machen deutsche Firmen mit Teheran Geschäfte? Dass im Zuge dieser Abhörmaßnahmen wirtschaftlich relevante Informationen - zum Beispiel Patente - an US-Firmen weitergegeben worden sind, halte ich eher für unwahrscheinlich. Denn die NSA sucht natürlich nicht gezielt nach Informationen, die für private Firmen interessant sein könnten.

Bundesregierung in der Zwickmühle

tagesschau.de: Um nochmal auf die politische Ebene zurückzukommen: Wie bewerten Sie den Umgang der Bundesregierung mit der Affäre?

Hagen: Die Bundesregierung befindet sich in einer Zwickmühle - das hat man zum Beispiel gemerkt, als Innenminister Friedrich von einem "Supergrundrecht auf Sicherheit" sprach. Zum einen ist die Regierung auf die Informationen der Amerikaner angewiesen, zum anderen hat man die Ausspähaktion zunächst offensichtlich gar nicht als so großes Problem gesehen. Insofern hat die Regierung recht dilettantisch reagiert – auch die Reise des Innenministers in die USA hat ja nicht unbedingt zur Aufklärung beigetragen. Kanzleramtsminister Pofalla versucht jetzt zu retten, was zu retten ist – und so muss man auch den Angriff auf Steinmeier und die SPD bewerten.

Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de

Das Interview führte Joachim Hagen, NDR