Wehrbericht Die Mängelliste der Bundeswehr
Wenn aus der Mängelliste eine Wunschliste wird: Mit 100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr gerüstet werden für ihren Kernauftrag - die Landes- und Bündnisverteidigung. Der Wehrbericht zeigt: Das Geld ist nötig.
"Kein Truppenbesuch und kein Gespräch mit Soldatinnen und Soldaten, in dem mir nicht von Mängeln berichtet wird", beschreibt die Wehrbeauftragte Eva Högl die Situation der Truppe. Traditionell listet sie in ihrem jährlichen Wehrbericht Defizite in der Bundeswehr auf und nimmt kaum ein Blatt vor den Mund. So auch jetzt.
2021 sei das Jahr der Bundeswehr gewesen, lobt Högl in ihrem Bericht. Vielfach habe die Truppe ihre Leistungsbereitschaft bewiesen: Auslandseinsätze, Fluthilfe, Pandemie-Einsatz. Doch bekamen die Soldatinnen und Soldaten nach Einschätzung der Wehrbeauftragten bislang nicht die gebührende Unterstützung für ihren Dienst.
"Sehr bestürzt" hätten sie zum Beispiel Schilderungen von Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten Litauen, Mali und Niger. Alltägliche Ausrüstungsgegenstände wie Schutzwesten oder Winterjacken seien mitunter erst in das Einsatzgebiet nachgeschickt worden. Zum Teil sei dort nur knapp die Hälfte der Großgeräte einsatzbereit gewesen. Für die Wehrbeauftragte ist klar: "Das ist völlig inakzeptabel."
Funkgeräte, Transporthubschrauber, U-Boote ...
In der Diskussion um die 100 Milliarden Euro hat die Beauftragte des Bundestags bereits aufgezeigt, wo sie den Bedarf an Investitionen sieht: bei Ausstattung und Funkgeräten sowie schweren Transporthubschraubern, U-Booten und Kampfjets.
Sie begrüßt die zusätzlichen Milliarden für die Bundeswehr und die Erhöhung des Verteidigungshaushalts. Zugleich mahnt sie jedoch:
Mit Geld allein wird das aber nicht gelingen. Die Strukturen bei der Planung und Beschaffung müssen modernisiert, das hochkomplexe Vergaberecht für militärische Beschaffungen muss vereinfacht werden.
Der Wehrbericht beleuchtet die Defizite mit kleinen und großen Beispielen. So fehlten etwa Funkgeräte für Übungszwecke. Soldatinnen und Soldaten, die in Litauen im Rahmen der NATO-Verpflichtung Dienst leisteten, berichteten, dass keiner der deutschen Soldaten mit dem dort anzuwendenden Funksystem vertraut gewesen sei. Sie seien von Kameradinnen und Kameraden anderer Länder belächelt worden. Bei internationalen Übungen sei die Bundeswehr mit der vorhandenen Ausrüstung regelmäßig "das schwächste Glied der Kette", heißt es im Wehrbericht.
"Es dauert alles viel zu lang"
Probleme auch beim großen Gerät, den Hauptwaffensystemen. Bei sogenannten Altsystemen liege die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft nur bei 68 Prozent. Bei sieben Systemen sogar bei unter 50 Prozent. Beispielhaft nennt der Bericht die Mehrzweckhubschrauber Sea King, den Schützenpanzer Marder oder den Kampfjet Tornado. "Sei es die Beschaffung von neuem Großgerät, modernster Technik bei Schiffen, Panzern oder Abwehrsystemen sowie der Zukauf von persönlichen Ausrüstungsgegenständen oder Bekleidung - es dauert alles viel zu lang," kritisiert der Wehrbericht.
Beim Dauerthema Tornado gibt es nun Bewegung: Gerade kündigte die Verteidigungsministerin an, dass die vor mehr als 40 Jahren eingeführte Tornado-Flotte nun schrittweise durch US-Tarnkappenjets F-35 ersetzt werden soll. Nach Ansicht von Fachleuten das modernste Kampfflugzeug weltweit. Der Erwerb der F35 ist das erste große Beschaffungsprojekt der Bundeswehr seit dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Ein sehr weiter Weg
Auf lange Sicht will Deutschland mit europäischen Partnern einen neuen Kampfjet entwickeln. Das braucht Zeit. Bis dahin soll der Kampfjet Eurofighter weiterentwickelt werden. Etliche Milliarden wird auch der dringend von der Bundeswehr erbetene neue schwere Transporthubschrauber kosten. Außerdem soll in die Panzerflotte und Schiffe für die Marine investiert werden.
Die Wunschliste für die Verwendung der 100-Milliarden-Spritze ist lang, doch sie ändert wohl wenig an der wenig optimistischen Prognose des Wehrberichts: "Bis zum Erreichen der wünschenswerten Vollausstattung bei den Hauptwaffensystemen hat die Bundeswehr noch einen sehr weiten Weg vor sich."
Kritik am Afghanistan-Einsatz
Der Bericht wirft aber auch einen Blick zurück - auf den Abzug aus Afghanistan. Viele Fragen seien noch zu beantworten, etwa was die Bilanz aus 20 Jahren Einsatz angehe. "Und für jeden Einsatz braucht es eine Exit-Strategie, die auch unsere Ortskräfte mit in den Blick nimmt. Hier hätte in Afghanistan frühzeitiger und umfassender gehandelt werden müssen", kritisiert der Wehrbericht. Der Einsatz müsse "schonungslos und umfassend" analysiert werden, so Högl.
Zurück zum Kernauftrag
Kritisch befasst sich der Wehrbericht auch mit dem Einsatz der Bundeswehr in der Flutkatastrophe und der Unterstützung in der Corona-Krise. Auf die Bundeswehr sei Verlass gewesen, betont die Wehrbeauftragte. Aber aus ihrer Sicht legt die Notwendigkeit der Amtshilfe auch "die eklatanten Defizite des zivilen Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe" offen. Die Amtshilfe sei und dürfe kein Dauerzustand sein. "Denn der Kernauftrag der Bundeswehr ist ein anderer, in erster Linie die Landes- und Bündnisverteidigung."
2022 werde die Bundeswehr bei ihrem Kernauftrag so gefordert sein wie noch nie, mahnt die Wehrbeauftragte in ihrem Bericht. Sie machte bereits deutlich, dass sie angesichts der Belastung einen Einsatz der Bundeswehr bei der Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine ablehnt. Die Soldatinnen und Soldaten werden für die NATO-Mission in Osteuropa gebraucht, betonte Högl gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: "Die Bundeswehr ist kein Mädchen für alles."
Der diesjährige Wehrbericht thematisiert auch rechtsextremistische Verdachtsfälle in der Bundeswehr. Deren Zahl ist demnach im vergangenen Jahr abermals gestiegen. Der Militärische Abschirmdienst registrierte im Jahr 2021 insgesamt 589 solcher Fälle. Im Vorjahr waren es noch 477 Fälle, im Jahr 2019 waren es 363 Fälle.
"Wer sich gegen unsere Demokratie stellt, hat keinen Platz in der Truppe und muss sie zügig verlassen", heißt es in dem Bericht. "Bedauerlich ist, dass die Neuregelung des Soldatengesetzes, wonach eine vereinfachte Entlassung innerhalb der ersten acht Dienstjahre möglich sein sollte, in der vergangenen Wahlperiode nicht mehr weiter verfolgt wurde." Dies müsse die neue Regierung "jetzt rasch wieder aufgreifen".