Der Landtag Nordrhein-Westfalens stimmt über das Pandemie-Gesetz ab.
Analyse

Wahlkampf in NRW Land der Schmutzeleien

Stand: 03.05.2022 10:56 Uhr

Der Ton war rau, die Intrigen reichlich: Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zeigt sich die Politik nicht immer von ihrer besten Seite. Das hat in dem Bundesland durchaus Tradition.

Eine Analyse von Jochen Trum, WDR

In Nordrhein-Westfalen gibt man sich gern weltoffen. Das Land rühmt sich für seine zentraleuropäische Lage ("im Herzen Europas"), die Metropolen Köln und Düsseldorf machen auf international, das Ruhrgebiet sieht sich als Schmelztiegel der Kulturen mit Malocher-Charme. Die Gesellschaft, so könnte man meinen, ist so bunt wie die Kader der zahlreichen Fußball-Bundesligisten von Bielefeld über Dortmund bis Mönchengladbach.

Wenn es in knapp zwei Wochen um die Wahl des Ministerpräsidenten geht, regiert aber eher Bodenständigkeit. Weniger glamourös könnte die Auswahl kaum sein: zwei Männer mittleren Alters, beide Juristen, geboren in Rhede (Münsterland) und Essen (Ruhrgebiet).

Beide wohnen im Prinzip noch immer dort, wo sie aufgewachsen sind. Beide sind verheiratet, Väter - und katholisch. Zum Studium haben beide es gerade mal um die Ecke geschafft. Jetzt geben sie sich Mühe, modern, sympathisch und volksnah zu wirken. Ganz untalentiert zeigen sie sich dabei übrigens nicht.

Rätsel um Wirkung des Amtsbonus

Hendrik Wüst (CDU) ist der amtierende Regierungschef in Düsseldorf, allerdings erst seit vergangenem Oktober. Sein Amt verdankt er den gescheiterten Kanzlerambitionen seines Vorgängers Armin Laschet. Ob der groß gewachsene Christdemokrat nach so kurzer Zeit einen echten Amtsbonus entfalten kann, gehört zu den Rätseln, die diese Landtagswahl umgeben.

Thomas Kutschaty (SPD), der Oppositionsführer, war sieben Jahre Justizminister im rot-grünen Kabinett von Hannelore Kraft. Wie in der NRW-SPD üblich, musste er sich durchbeißen, bis er an der Spitze von Fraktion und Partei stand. Lange mochte Kutschaty sich nicht recht entscheiden, ob er nun glatt rasiert, mit Voll- oder Dreitagebart auftritt. Inzwischen hat er sein Profil gefunden. Ob für ihn nun die Gunst der Stunde gekommen ist, oder ob er doch gegen einen schwachen Bundestrend für seine Partei ankämpfen muss, ist offen.

"Mallorca-Gate" und landespolitische Nebenrollen

Inhaltlich dürften die wenigsten Wählerinnen und Wähler bisher ein klares Bild vom politischen Angebot haben. Denn anders als vor fünf Jahren, als landespolitische Kernthemen die Auseinandersetzung dominierten, spielen die bislang nur Nebenrollen. Stattdessen beschäftigt sich das Land mit Fragen von so epochaler Tragweite, ob es für die Umweltministerin ratsam war, während der Flutkatastrophe im Juli vergangenen Jahres nach Mallorca zu reisen und dort den Geburtstag ihres Ehegatten zu feiern. Und ob sie die Soirée mit weiteren Kabinettsmitgliedern Parlament und Öffentlichkeit hätte verschweigen dürfen.

Die Antwort ist inzwischen klar, die Ministerin Geschichte. Dass die SPD im Zuge dieser Affäre ("Mallorca-Gate") versucht hat, sich auf Instagram an die minderjährige Tochter der Ministerin heranzupirschen, offenbar, um an belastendes Bildmaterial der Sause zu kommen, wirft ebenfalls kein gutes Licht auf den politischen Stil am Rhein. Immerhin, eine öffentliche Entschuldigung folgte umgehend, die Reumütigkeit kann man glauben, man kann es auch lassen. 

Krimskrams im Gewand des politisch Ernsthaften

Unappetitliche Auseinandersetzungen haben in der nordrhein-westfälischen Politik Tradition. Seit dem Wahlkampf 2010, als ein Blog mit fein dosierten Durchstechereien aus der CDU-Parteizentrale Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (2005-2010) das Leben schwermachte, leiden Wahlkämpfe an einer gewissen Überakzentuierung des Banalen.

Aggressive Kampagnen, persönliche Auseinandersetzungen, Krimskrams im Gewand des politisch Ernsthaften haben ihre Spuren in der politischem Kultur des Landes hinterlassen. Seit dieser Zeit trauen sich vor allem CDU und SPD nicht mehr recht über den Weg.

Jeder rechnet damit, dass der andere pünktlich zu Kampagnenbeginn tief in die Schmutzkiste greift - und verhält sich selbst entsprechend. Dass die digitale Revolution den Wahlkämpfern in und um Düsseldorf jetzt auch noch eine so segensreiche Erfindung wie Twitter an die Hand gab, besorgt den Rest.

Auf dem Kurznachrichtendienst wird seit Wochen kräftig ausgeteilt. Der Ton ist rau, es fliegen die Fetzen. Um Landespolitik geht es dabei auch, aber nur am Rande. Dass das Verhältnis Deutschlands zu Russland nun plötzlich ein Kampfplatz von Landespolitikern ist, mögen Beobachtende schulterzuckend hinnehmen. Vielleicht ist es einfach der Versuch, nach allem zu greifen, was von Landespolitik ablenkt.

Testwahl über Ampel-Politik

Politisch wird die Wahl in Nordrhein-Westfalen als Testwahl über die Politik der Ampel in Berlin betrachtet. Sollte nach einem möglichen Erfolg in Kiel auch das Bundesland im Westen in CDU-Hand bleiben, dürfte sich Parteichef Friedrich Merz, selbst aus NRW, in seinem Kurs bestätigt sehen. Und Wüst, so mutmaßen Beobachter, wäre dann ebenfalls ein Schwergewicht in der Union - nur 20 Jahre jünger. 

Am liebsten würden CDU und FDP in trauter Manier weiter regieren. Schwarz-Gelb verweist gern auf die Bilanz der zu Ende gehenden Wahlperiode: Entbürokratisierung, Schulpolitik, innere Sicherheit, Wirtschaftspolitik, überall sehen sich Liberale und Christdemokraten fast geblendet vom eigenen Erfolg - auch wenn laut Umfragen eine Fortsetzung derzeit wenig wahrscheinlich ist.

Immerhin: Die Koalition von Wüst und Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hat tatsächlich einiges auf der Habenseite. Sie hat es geschafft, das ewige Schlusslicht-Gerede unter Rot-Grün über das angeblich so rückständige Bundesland, das mit bildungspolitischer Ödnis und wirtschaftlicher Impotenz unter seinen Möglichkeiten bleibt, zu beenden. 

FDP-Schulministerium als Risiko

Vor fünf Jahren hatte die FDP unter Christian Lindner, der inzwischen zum obersten Kassenwart der Berliner Ampel aufgestiegen ist, einen richtigen Lauf. Doch 2022 gilt, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Die FDP führt das Schulressort in Düsseldorf, was sich nach zwei Jahren Pandemie als denkbar schlechte Wahl herausstellt.

Der Partei droht nun, dass sie abgestraft wird für das ständige Hin und Her mit Masken und Tests. Es ist zwar richtig, dass die Schulministerin es unmöglich allen hätte recht machen können, aber das ist ein schwacher Trost. 

Grüne Königsmacher

Die Grünen könnten derweil so etwas wie die Königsmacher werden, in einem Zweier- oder Dreierbündnis. Es ist leicht vorherzusagen, dass die Partei im Vergleich zu 2017 zulegen wird. Denn vor fünf Jahren hätte nicht viel gefehlt und sie wäre aus dem Parlament geflogen. Inzwischen sind die Grünen - in NRW traditionell ziemlich links - aber so selbstbewusst, dass sie mit Mona Neubaur sogar eine nahezu unbekannte Spitzenkandidatin aufgestellt haben, die nicht einmal über ein Landtagsmandat verfügt. Das muss man sich leisten können.

AfD ungewohnt bescheiden

Der AfD dagegen fehlt ein echtes Mobilisierungsthema. Eurokrise, Flüchtlingskrise, islamistische Umtriebe auch in NRW: Das waren in der Vergangenheit echte Gassenhauer für die Populisten. Vor allem in SPD-Hochburgen machte die Alternative Kasse und jagte den Sozialdemokraten Wählerstimmen ab.

Ein Verbleib im Landtag im Mai kann gelingen, vor voreiligem Triumphalismus hütet sich das Spitzenduo aus Fraktionschef Markus Wagner und Landeschef Martin Vincentz aber auffällig. Die neue Rechte übt sich in neuer Bescheidenheit.

Knapp zwei Wochen vor der wichtigsten Wahl des Jahres sieht alles nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen in Nordrhein-Westfalen aus. Was immer das Wahlvolk am 15. Mai entscheidet, die Regierungsbildung im Anschluss könnte ein Tauziehen werden. Dass sie so zügig über die Bühne geht wie vor fünf Jahren, als CDU und FDP gerade einmal 14 Tage brauchten, ist vermutlich so wahrscheinlich wie ein baldiger Meistertitel von Borussia Dortmund.                    

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die Wahlarena im WDR 03. Mai 2022 ab 20:15 Uhr.