Linke streitet über Russland-Kurs "Ich bin entsetzt"
"Völlige Emotionslosigkeit" hinsichtlich des russischen Angriffskrieges: Linkspolitiker Gysi hat sich entsetzt über Fraktionskollegin Wagenknecht gezeigt. Die reagierte nicht minder scharf. Was ist da los?
"Ich bin insgesamt über eure Erklärung entsetzt und wollte euch das wissen lassen." Mit diesen Worten endet ein Brief, den Gregor Gysi an sieben Kolleginnen und Kollegen der Linken-Fraktion geschrieben hat und der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Außenpolitiker Gysi bezieht sich dabei auf eine Erklärung, die die Gruppe um Sahra Wagenknecht am Sonntag veröffentlicht hatte, dem Tag der Bundestags-Sondersitzung zum Ukraine-Krieg.
Darin hatten Wagenknecht und die sechs anderen Abgeordneten den russischen Angriff auf die Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt. Zugleich legten sie aber nahe, dass die Politik des Westens und insbesondere der USA maßgeblich mitverantwortlich für die jetzige Situation sei. In diesem Zusammenhang wird in der Erklärung auf die NATO-Osterweiterung verwiesen - und auf einschlägige Ausführungen eines früheren US-Diplomaten, wonach der NATO-Beitritt osteuropäischer Staaten nach dem Mauerfall den Weg für eine neuerliche Ost-West-Konfrontation geebnet habe.
Die alte Ideologie von der "bösen NATO"
Gysi macht Wagenknecht und den sechs anderen Abgeordneten schwere Vorwürfe: "Was mich […] wirklich entsetzt an eurer Erklärung, ist die völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid." Sie seien lediglich daran interessiert, ihre "alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten." Diese alte Ideologie umfasst laut Gysi: "Die NATO ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch."
"Das grenzt an Rufmord"
Wagenknecht wies die Anschuldigungen auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios scharf zurück: Den Eindruck zu erwecken, "wir hätten den russischen Angriffskrieg auch nur ansatzweise gerechtfertigt oder es an Empathie mangeln lassen, grenzt an Rufmord". Tatsächlich gehe es Gysi wohl um etwas anderes, so Wagenknecht. Er habe der Fraktion vorgeschlagen, den Antrag der Regierungsparteien und der Union zum Ukraine-Krieg zu unterstützen. Dem sei die Fraktion aber nicht gefolgt.
Wagenknecht wies die Vorwürfe von Gysi zurück
Stattdessen brachte die Linkspartei bei der Sondersitzung am Sonntag einen eigenen Antrag ein, in dem der russische Angriff scharf verurteilt wird. Anders als im Antrag von Ampel-Fraktionen und Union werden darin deutsche Waffenlieferungen aber abgelehnt. Allerdings: Von Kritik an der NATO ist im Antrag der Linken-Fraktion auch nicht die Rede. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass die Gruppe um Wagenknecht eine eigene Erklärung veröffentlicht hat. Dass der Streit darüber nun mit einer solchen Schärfe geführt wird, zeigt: Der Fraktion droht eine neue Zerreißprobe.