Lebensmittelspenden Kampf um die Reste
Immer mehr Menschen sind auf Lebensmittelspenden angewiesen: Doch Tafeln, Foodsharing-Initiativen und Resteläden buhlen verstärkt um die Reste. Das liegt auch an rechtlichen Hürden.
"Es ging bereits im Januar und Februar los", erinnert sich Sabine Altmeyer-Baumann, Landesvorsitzende der Tafeln Rheinland-Pfalz/Saarland. "Seit die Lebensmittelpreise spürbar steigen, kommen immer mehr Menschen zu den Tafeln." Dazu kommen noch die ukrainischen Kriegsflüchtlinge. "Gleichzeitig gehen die Spenden aus dem Einzelhandel zurück."
Die Folge sei, dass die Tafeln den Bedürftigen weniger Lebensmittel ausgeben könnten als bisher. Neuzugänge kämen zunächst auf Wartelisten. Deutschlandweit seien inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen auf die Tafeln angewiesen. "Viele Tafeln haben bereits einen Aufnahmestopp," sagt Anna Verres vom Bundesverband der Tafeln. "In den nächsten Monaten werden noch viel mehr Leute unmittelbar von Armut bedroht sein, aber die Spenden sind jetzt schon knapp."
Bewusstsein nimmt zu
Dabei hat das Bewusstsein, Lebensmittel zu spenden, statt zu entsorgen, bei Herstellern und Händlern in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. So spendet der Handel nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels, BVLH, pro Jahr mindestens 74.000 Tonnen Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen. Was nach viel klingt, ist allerdings nicht viel mehr als die Menge an Lebensmitteln, die an zwei Tagen in Deutschland im Müll landet.
Hinzu kommt, dass in den Regalen der Supermärkte immer weniger unverkaufte Lebensmittel zurückbleiben. Kristina Schütz, Sprecherin der Rewe-Group sagt, moderne Prognosesysteme und automatische Bestellverfahren ermöglichten heute eine sehr bedarfsgerechte Versorgung der Märkte mit frischer Ware. "Mittlerweile verkaufen Penny und Rewe im Jahresdurchschnitt über 98 Prozent ihrer Lebensmittel."
Bedürftigkeit belegen
Mehr verkaufen heißt weniger wegschmeißen, aber gleichzeitig auch weniger abgeben. Rewe arbeitet mit den Tafeln seit 1996 zusammen, Penny seit 2007. Weitergegeben würden Lebensmittel, die "bedenkenlos verzehrt werden können", heißt es. Ergänzend dazu gebe es in ausgewählten Städten eine Zusammenarbeit mit dem Verein Foodsharing e.V. oder vergleichbaren lokalen Vereinen und Einrichtungen. "Die Zusammenarbeit mit den Tafeln hat für uns bundesweit Priorität," sagt Kristina Schütz. Bei den Tafeln weiß man das zu schätzen.
Denn dass auch durch Sozialunternehmen oder Foodsharing-Initiativen, die sich gerne als "Lebensmittelretter" bezeichnen und sogenannten Rettungsläden, die häufig abgelaufenen Lebensmittel günstig weiterverkaufen, für manche Tafeln weniger übrig bleibt, sei ein Fakt, bestätigt Tafel-Sprecherin Anna Verres. "Dabei sind wir die einzigen, die den sozialen Aspekt konsequent beachten." Denn wer zur Tafel kommt, muss seine Bedürftigkeit belegen, etwa mit einem Einkommensnachweis.
Ein Grund: Rechtsunsicherheit
Ein Grund, warum manche Einzelhändler Lebensmittel eher den Foodsharing-Initiativen geben, sei eine Rechtsunsicherheit, sagt Sabine Altmeyer-Baumann vom Tafel-Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland. Denn die Tafeln würden vor dem Gesetz wie Lebensmittelhändler behandelt. "Foodsharer gelten dagegen als Privatpersonen," sagt Verres vom Tafel-Bundesverband. Sollte es durch den Verzehr beispielsweise eines verdorbenen Joghurts Probleme geben, wäre die Tafel in der Haftung. So ein Fall sei ihr allerdings noch nicht zu Ohren gekommen, sagt Verres.
Obwohl also die Tafeln in der Haftung wären, würde sich jemand den Magen verderben, seien manche Händler zurückhaltend, wenn es darum gehe, Ware mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum den Tafeln geben. Auch wenn die Ware nach einer Prüfung meist noch über das Datum hinaus verzehrt werden könne, betont Verres.
Es muss aber auch nicht der verdorbene Magen sein, der Probleme bereitet. Rechtliche Schwierigkeiten drohen laut Handelsverband BVLH auch, wo die Füllmenge eines gespendeten Lebensmittels aufgrund eines Produktionsfehlers von der Packungsangabe abweicht oder das Zutatenverzeichnis zwar vollständig, aber nicht in der richtigen Reihenfolge ist. Tafeln sind dann in der Pflicht, die Etiketten zu ändern. Dazu sind sie aber personell oft gar nicht in der Lage.
Gesetzgeber hat Problem erkannt
Würden diese rechtlichen Hürden abgebaut, heißt es vom BVLH, würde die Menge der gespendeten Lebensmittel weiter anwachsen. Das Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt. Ein Bund-Länder-Gremium soll Gesetzgebungen hinsichtlich Hürden und Barrieren beispielsweise bei der Weitergabe von Lebensmitteln überprüfen. Schließlich ist in der "Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung" vorgesehen bis 2030 die Vernichtung von Lebensmitteln um die Hälfte zu reduzieren. Auch wenn die Umsetzung auf sich warten lässt, bescheinigt der Tafel-Bundesverband Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, die Sache ernst zu nehmen.
Bei aller Konkurrenz um Lebensmittelspenden sind sich Tafeln, Foodsharing-Initiativen und andere Akteure schließlich einig in dem Ziel, dass weniger Lebensmittel auf dem Müll landen sollen. Bis das zuständige Ministerium der Absicht Taten folgen lässt, feiert es erst einmal die Aktionswoche "Deutschland rettet Lebensmittel", unter anderem mit der Verleihung des Bundespreises "Zu gut für die Tonne". Währenddessen werden die Schlangen der Bedürftigen vor den Tafeln immer länger.